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Verwirrende Klischees und freundliche Arbeitsatmosphäre im Land der Mitte

Henrike Koester, Studentin der Technikkommunikation, berichtet von ihrem sechsmonatigen Praktikum in China

  • Henrike Koester absolvierte ihr Praktikum in verschiedenen Städten Chinas. Foto: privat

"Darf ich mein Kind neben Ihnen fotografieren?" Insgesamt neunmal hörte ich diesen Satz während meines sechsmonatigen Praktikums im sogenannten Land der Mitte. Dabei war es vollkommen egal, ob ich mich gerade in der Stadt oder auf dem Land, beim Einkaufen oder in einer großen Touristengruppe aufhielt. Immer wieder lächelten mich jüngere oder ältere Paare aufgeregt an, während die Kinder neugierig oder auch ziemlich verängstigt hinter einem der Elternteile verharrten. Ein Foto mit der blonden "laowai" ist offenbar eine beliebte Trophäe. Und dennoch muss ich sagen: So bekannt diese durchaus klischeebehaftete Situation ist, so neu und verwirrend erlebt man sie in der Realität.

Mitte August des vergangenen Jahres begann mein Praktikum bei der DB International GmbH, die in Beijing (China) eine Repräsentanz betreibt und verschiedene Bauprojekte für Hochgeschwindigkeitsstrecken überwacht. Deutsche und chinesische Ingenieure arbeiten hier gemeinsam in der Qualitätssicherung und Arbeitssicherheit, sie unterstützen und schulen die Mitarbeiter vor Ort oder kontrollieren unabhängige Messverfahren. Aufgrund des Umzugs dieser Repräsentanz wurde ich nach gerade einer Woche in der Hauptstadt an eines dieser Projekte "verliehen". Noch ein wenig verunsichert von den ungeahnten Größenverhältnissen der Metropole (etwa den knapp 20 Millionen Einwohnern) begann meine eigentliche Tätigkeit in Yuncheng, einer chinesischen Kleinstadt (mit wiederum 630.000 Einwohnern).

Meine Aufgaben orientierten sich hier an meinem Technikkommmunikations-Studium, ich war also zunächst für das Dokumentenmanagement und den Ausbau des Ablagesystems zuständig. Die in verschiedene Sektionen eingeteilten Teams waren verpflichtet, wöchentlich eine Mindestzahl von Sicherheits- und Testberichten zu verfassen und zu übersetzen. Neue gesetzliche Regelungen, Designänderungen oder eingeleitete Baustopps mussten zeitnah für die über mehrere Bauabschnitte verstreuten Ingenieure zur Verfügung gestellt werden. Die dabei anfallenden Dokumente und Versionen wurden digitalisiert, archiviert und über interne Projektseiten auf einem aktuellen Stand gehalten. Um nicht "nur" Büroarbeit zu verrichten - oder bei den doch regelmäßig auftretenden Stromausfällen untätig zu sein - erhielt ich mehrmals die Gelegenheit, die Arbeiten "live" zu erleben. Berichte über 30 Meter hohe Pfeiler im Gelben Fluss sind vielleicht nicht die spannendste Lektüre, doch selbst auf diesen Betonwerken zu stehen und den Fluss entlang zu blicken, war eine spannende Abwechslung. Auch der Aufstieg über Bambusgerüste mag inzwischen zu den Ausnahmen zählen, findet sich aber vereinzelt auch bei modernen Brücken, über die in naher Zukunft Züge mit 300 Kilometern pro Stunde fahren werden.

Nach eineinhalb Monaten wechselte ich das Projekt und übernahm neue Aufgaben in einem anderen Streckenabschnitt, diesmal in der Stadt Xi`an, die in Europa vor allem für die Terrakotta-Armee bekannt ist. Da sich der Baubeginn in diesem Projekt verzögert hatte, standen weder eine Projektwebsite noch ein funktionierendes Ablagesystem zur Verfügung. Während eine chinesische Kollegin die Überprüfung und Archivierung der Dokumente übernahm, fielen die Erstellung und Pflege der neuen Projektwebsite in meinen Aufgabenbereich. Nach weiteren zwei Monaten zog ich erneut mit meinem immer schwerer werdenden Koffer um und kehrte in den Hauptsitz in Beijing zurück. Hier erwarteten mich weitere administrative Aufgaben sowie die Einführung in Rechnungsprüfung und Finanzbuchhaltung, die mir trotz der Ferne zu meinem eigentlichen Studium überraschend viel Spaß machten.

Doch was ist nun das Besondere an einem Praktikum in China? Eigentlich alles. Das beginnt bereits bei der Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Ingenieuren. Die direkte, offensive und durchaus auch mit lauter Stimme gepolterte Kritik eines deutschen Bauingenieurs führte sehr schnell zu betroffenen und unglaublich verunsicherten Mitarbeitern, die nur durch gutes Zureden der chinesischen Übersetzer wieder beruhigt werden konnten. Gleichzeitig zeigten die meisten der Mitarbeiter, vom leitenden Ingenieur bis zum ungelernten Arbeiter, ein enormes Interesse an den Schulungen, sie beobachteten neugierig die Anleitungen des Bauleiters und versuchten, sich bei der praktischen Erprobung der neuen Kenntnisse gegenseitig zu übertreffen. So entstand, egal ob im Büro oder auf den Baustellen, eine zwar von Hierarchie geprägte, aber stets freundliche Atmosphäre. Die Herzlichkeit, mit der ich gleich in der ersten Woche von zwei Übersetzerinnen zu ihrem Karatekurs und regelmäßigen Schwimmbesuchen eingeladen wurde, überraschte mich besonders, ebenso die oftmals kindlich anmutende Neugier. Vor allem in kleineren Ortschaften wird man als Ausländer unverhohlen angestarrt. Zeigende Finger, flüsternde Stimmen und auch der eine oder andere offene Mund beim Betreten eines Ladens erschienen mir am Anfang natürlich unangenehm. Aber da mit diesen Gesten in China keine Abwertung oder Bösartigkeit verbunden wird, fiel mir der Umgang damit zunehmend leichter. Ein Lächeln und ein paar chinesische Worte lösen die Anspannung, es wird Tee angeboten und ein kleines Interview beginnt. Am Ende dessen stehen beste Wünsche für Beruf und Gesundheit, die Bitte, doch bald mal wieder herzukommen - und das eine oder andere mal die Frage, ob ich nicht Interesse hätte, den netten und erfolgreichen Sohn der Familie - der zufällig Germanistik oder Anglistik studiert - kennenzulernen. Trotz all dieser Forschheit hat man aber stets das Gefühl, wirklich willkommen zu sein.

Eine neue Erfahrung für mich war zudem das Bild von Deutschland, das einem in China in verschiedenen Situationen begegnet: Der Taxifahrer am Flughafen fragte gleich, ob ich für Mercedes oder Volkswagen arbeiten würde. Einer der Übersetzer versicherte mir, dass er sich nur deutsche Autos kaufen würde, weil diese für Qualität, wirtschaftliche Stärke und Innovation stünden. Eine andere Kollegin fragte, welche Biersorte denn Deutsche am besten fänden (sie kenne nur Paulaner) und wozu man fest- und mehligkochende Kartoffeln bräuchte. Es war beruhigend zu erfahren, dass der chinesische Eindruck von Deutschland genauso auf Banalitäten beruht wie umgekehrt.

Und so lässt man Fragen nach der Haarfarbe, kleinere Fotoshootings und die ständige Neugier über sich ergehen, gewöhnt sich an sie, denkt nicht weiter darüber nach. Und dann gibt es diese kleinen Momente, in denen man feststellt, dass es eine der vermutlich besten Ideen war, in dieses riesige und so "andere" Land zu reisen. Sei es der erhoffte Anblick eines kleinen Teehauses, in dem bei Minusgraden und Schneegestöber die besten Teesorten der Welt zum Probieren gereicht werden. Sei es die Überraschung und Freude des Restaurantpersonals, wenn man seine Bestellung auf Chinesisch vorbringen konnte. Oder der atemberaubende Anblick eines winterlichen Sonnenaufgangs über den Wachtürmen der Großen Mauer. Hat man mich vor dem Praktikum gefragt, ob ich noch mal nach China reisen würde, sagte ich immer "Vielleicht. Mal sehen." Mittlerweile lautet meine Antwort "Nichts auf dieser Welt wird mich davon abhalten."

(Autorin: Henrike Koester)

Studierenden, die sich ebenfalls für einen Aufenthalt in China interessieren, steht Henrike Koester gern Rede und Antwort: henrike.koester@s2009.tu-chemnitz.de

Wer ein Praktikum im Ausland plant, erhält Unterstützung im Internationalen Universitätszentrum: http://www.tu-chemnitz.de/international

Katharina Thehos
22.06.2012

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