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Von Orangen und Donuts: Physiker der TU Chemnitz erforschen reversibles Schalten des Quanten Spin Hall Isolators Bismuthen

Forschungsteam der TU Chemnitz untersucht die Synthese und die Eigenschaften von Bismuthen, einer zweidimensionalen Honigwabenstruktur aus Bismut, an der Grenzfläche zwischen Graphen und Siliziumkarbid – Veröffentlichung in renommierter Fachzeitschrift „Nature Communications“

  • Zwei Männer arbeiten an einer technischen Anlage.
    Niclas Tilgner (oben) und Dr. Philip Schädlich untersuchen in einem Labor des Instituts für Physik der TU Chemnitz die elektronischen Eigenschaften des Quantum Spin Hall Isolators Bismuthen. Foto: Dr. Susanne Wolff

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Professuren Experimentalphysik mit dem Schwerpunkt Technische Physik (Leitung: Prof. Dr. Thomas Seyller) sowie der Theoretischen Physik quantenmechanischer Prozesse und Systeme (Leitung: Prof. Dr. Sibylle Gemming) der Technischen Universität Chemnitz erforschen im Rahmen der Forschungsgruppe „Proximity-induzierte Korrelationseffekte in niedrigdimensionalen Strukturen (FOR 5242)“ (Sprecher: Prof. Dr. Christoph Tegenkamp) die Funktionalisierung niedrig-dimensionaler Elektronengase. In ihrer aktuellen Veröffentlichung in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ hat das Forschungsteam um Dr. Philip Schädlich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Experimentalphysik mit dem Schwerpunkt Technische Physik, in enger Kooperation mit dem Peter Grünberg Institut am Forschungszentrum Jülich die Synthese von Bismuthen, geschützt von Graphen, demonstriert. Diese beruht auf dem Prozess der Interkalation – dem gezielten Einbringen von Bismutatomen an die Grenzfläche zwischen Graphen und dem Substratmaterial Siliziumkarbid. Allerdings entsteht hier zunächst eine elektronisch inaktive „Precursor“-Schicht aus Bismutatomen, die nur durch zusätzliche Interkalation von Wasserstoff zum Quanten Spin Hall Isolator Bismuthen reversibel aktiviert werden kann.

Die Position ist entscheidend

Lange war das Wasserstoff-induzierte „Einschalten“ des Quantenmaterials den Forschenden ein Rätsel, doch nun ist klar: „Der Adsorptionsplatz, d. h. die Position der Bismutatome bezüglich des Substrats, spielt eine entscheidende Rolle. Während im „Precursor“-Zustand jedes Bismutatom Bindungen zu drei Atomen des Substrats hat, ist es im Bismuthen-Zustand nur ein Atom“, erläutert Niclas Tilgner, der als Doktorand die Studie entscheidend vorangetrieben hat. Auf diese Weise können sich die charakteristischen, intraplanaren Bindungen zur Honigwabenstruktur von Bismuthen ausbilden.

Die Lösung konnte mit Hilfe der Synchrotron-basierten Messmethode des „X-ray standing wave imaging“ gefunden werden, die die Forschenden an der Diamond Light Source in Didcot, UK, verwendeten. Hierfür sind die Partner aus Jülich ausgewiesene Experten. Prof. Dr. Christian Kumpf, Gruppenleiter am Forschungszentrum Jülich, erklärt: „Bei dieser Messmethode bildet die Überlagerung von einfallender und gebeugter Röntgenstrahlung eine stehende Welle aus, deren Phase über die verwendete Photonenenergie variiert werden kann. Auf diese Weise werden Photoelektronen bevorzugt aus bestimmten Bereichen der Einheitszelle emittiert, wodurch die Bestimmung der atomaren Struktur elementspezifisch und mit einer räumlichen Auflösung von weniger als einem Hundertstel eines Nanometers, ermöglicht wird.“

Auch bei dieser Studie setzen die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forscherinnen und Forscher auf eine Kombination aus experimentellen Daten und Ergebnissen der Dichtefunktionaltheorie (DFT). „Die Zusammenarbeit von Kooperationspartnern aus sowohl der experimentellen als auch der theoretischen Physik ermöglicht es, die Komplexität eines solchen Systems zuverlässig zu beschreiben. Experimentelle Strukturdaten ermöglichen die Modellierung der Bandstruktur, die wiederum bei der Interpretation von Resultaten der Photoelektronenspektroskopie hilft“, sagt Schädlich.

Topologisch geschützte Randkanäle haben das Potential für verlustfreien Stromfluss

Mit ihren Forschungsergebnissen leisten die Wissenschaftler einen wichtigen Beitrag zu einem hochaktuellen Thema der Festkörperphysik: der Frage, ob alle Materialien mit einer Bandlücke – also elektrische Isolatoren – dieselben quantenphysikalischen Eigenschaften zeigen wie das Vakuum – also ein Zustand ohne jede leitfähige Struktur. Die überraschende Antwort lautet: nein. Denn es gibt eine ganze Klasse neuartiger Materialien, die sich trotz Bandlücke völlig anders verhalten – sogenannte topologische Isolatoren. Wie gewöhnliche Isolatoren besitzen auch diese in ihrem Inneren eine Bandlücke, leiten also keinen Strom. Doch an ihren Oberflächen oder Rändern tritt ein erstaunlicher Effekt auf – hier entstehen leitfähige Kanäle, in denen Elektronen verlustfrei fließen können. Diese Randkanäle sind robust gegenüber Störungen wie Verunreinigungen oder kleinen Defekten. Man spricht deshalb von topologisch geschützten Zuständen.

„In der Topologie geht es nicht um Formen, sondern um die grundlegende Struktur – etwa darum, wie viele Löcher ein Objekt hat“, erklärt Tilgner. Eine Orange hat zum Beispiel null Löcher, ein Donut hingegen eines. Diese Anzahl – das sogenannte Genus – lässt sich nicht verändern, ohne das Objekt grundlegend umzubauen. In der Festkörperphysik gibt es eine ähnliche Unterscheidung zwischen gewöhnlichen und topologischen Isolatoren. Wenn ein Material vom einen zum anderen Typ übergeht – bildlich gesprochen also vom Donut zur Orange wird –, muss sich seine Bandstruktur ändern. Dabei entsteht ein Übergangsbereich, in dem Elektronen plötzlich frei fließen können: der metallische Randkanal. Besonders faszinierend sind sogenannte nQuanten Spin Hall Isolatoren wie z. B. Bismuthen. Ihre leitfähigen Randkanäle sind nicht nur stabil, sondern auch noch Spin-polarisiert: Der Elektronenspin bestimmt dabei die Bewegungsrichtung der Elektronen. Diese Eigenschaften eröffnen für aktuelle Forschung weitreichende Perspektiven für Elektronik und Quantenphysik.

Hintergrund: DFG-Forschungsgruppe „Proximity-induced correlation effects in low dimensional structures” unter Federführung der TU Chemnitz

Gerade Phänomene wie das aktuell beschriebene sind das Herzstück der DFG-Forschungsgruppe unter Leitung von  Tegenkamp. Die mit über vier Millionen Euro geförderte Forschungsgruppe hat sich die Untersuchung von Korrelationseffekten in 2D-Materialien auf die Fahne geschrieben und blickt nun hoffnungsvoll einer zweiten Förderperiode entgegen. Ziel ist es, 2D-Materialien gezielt zu manipulieren und so exotische Effekte wie Supraleitung, Ladungsdichtewellen, Mott-Zustände sowie den Quanten-Hall-Effekt und Klein-Tunneln zu erforschen.

Publikation: Niclas Tilgner, Christian Kumpf, Philip Schädlich et al: Reversible Switching of the environment-protected quantum spin Hall insulator bismuthene at the graphene/SiC interface, Nature Communications (2025).

DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-025-60440-x

Weitere Informationen erteilt Dr. Philip Schädlich, E-Mail philip.schaedlich@physik.tu-chemnitz.de.

(Autoren: Niclas Tilgner, Philip Schädlich, Christian Kumpf)

Mario Steinebach
28.07.2025

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