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"Deutschland hinkt im europäischen Vergleich immer noch weit hinterher"

Weltnichtrauchertag: Drei Fragen an Prof. Dr. Stephan Mühlig, Inhaber der Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie und Leiter der Raucherambulanz Chemnitz

Deutschland gehört weltweit immer noch zu den Ländern, in denen am meisten geraucht wird. Preiserhöhungen, Werbeverboten und Aufklärungskampagnen zum Trotz. Prof. Dr. Stephan Mühlig ist Inhaber der Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie und leitet die Raucherambulanz Chemnitz. Anlässlich des Weltnichtrauchertages gibt Stephan Mühlig im Format "3 Fragen an ..." eine kurze Einschätzung zur bundesweiten Lage in Sachen Rauchverhalten und Tabak-Konsum.

Jedes Jahr sterben in Deutschland rund 127.000 Menschen an den Folgen des Rauchens. Und trotzdem raucht rund jeder fünfte Erwachsene in der Bundesrepublik, damit sind wir unter den Top 10 der Länder mit den meisten rauchenden Personen. Wie erklären Sie sich den anhaltend hohen Tabakkonsum in Deutschland?

Um diese Frage zu beantworten ist es sinnvoll, die Tabakkontrollpolitik Deutschlands mit der andere Länder zu vergleichen, die in den letzten 20 Jahren deutlich erfolgreicher gewesen sind und die Raucherquote teilweise um 50 Prozent reduzieren konnten. Tabakkontrollpolitik umfasst immer ein komplexes Bündel von Maßnahmen, die von der Einschränkung der Verfügbarkeit von Tabakprodukten über Steuererhöhungen, Jugendschutz, Präventionsmaßnahmen und Behandlungsangeboten zur Tabakentwöhnung reichen. Trotz einiger Fortschritte, zum Beispiel bei der Kontrolle von Zigarettenautomaten oder der Abgabe von Tabakprodukten an Minderjährige, hängt Deutschland im europäischen Vergleich immer noch weit hinterher. Verglichen mit den Maßnahmen dieser erfolgreichen Länder ist die Tabakkontrollpolitik in Deutschland in vielen Bereichen und über lange Zeit zu inkonsequent und halbherzig erfolgt.

Die über die Jahre erfolgten Steuererhöhungen für Tabakprodukte sind in Deutschland zum Beispiel viel zu kleinschrittig und zaghaft erfolgt. Drastische Steuererhöhungen in einem Schritt führten in anderen Ländern zu einer deutlichen Abnahme der Raucherquote, wohingegen die schrittweise Erhöhung begünstigt, dass Raucher sich an die Mehrkosten langsam gewöhnen und der finanzielle Aspekt nicht ausreichend zum Aufhören motiviert. Außerdem ist die Tabakentwöhnung in Deutschland nach wie vor keine Behandlungsleistung zu Lasten der Krankenversicherung und wird deshalb nicht in ausreichendem Umfang und in ausreichender Qualität von Ärzten, Psychotherapeuten und anderen Entwöhnungsspezialisten angeboten. Die bestehenden Raucherkurse im Rahmen von Präventionsmaßnahmen sind in der Regel unterfinanziert, nicht auf körperliche und psychische Erkrankungen spezialisiert und in viel zu geringem Umfang verfügbar.

Von verschiedenen Seiten gibt es aktuell Initiativen, um den Tabakkonsum und das Rauchen zu reduzieren. So forderte unlängst im SPIEGEL ein Bündnis von rund fünfzig Gesundheitsorganisationen und Hilfswerken eine radikale Verschärfung der Tabakpolitik nach der Bundestagswahl. Die Drogenbeauftragte Daniela Ludwig spricht sich aktuell in der Augsburger Allgemeinen für eine deutliche Verteuerung des Rauchens aus. Nur ein Tropfen auf den heißen Stein oder kommt hier etwas ins Rollen?

All diese Forderungen sind nicht neu, sondern werden von Gesundheitsexperten schon seit vielen Jahren erhoben. Die Bundesregierungen der letzten 20 Jahre konnten sich leider nicht dazu durchringen, eine ähnlich konsequente Tabakkontrollpolitik wie in den meisten übrigen europäischen Ländern durchzusetzen. Es gibt Hinweise darauf, dass die Lobby-Arbeit der Tabakindustrie und auch fiskalische Gründe, also die Befürchtung von Rückgängen bei der Tabaksteuer, hier zu einer falschen Prioritätensetzung der politischen Entscheidungsträger geführt haben.

Die Bundesdrogenbeauftragte der Bundesregierung, insbesondere die aktuelle Bundesdrogenbeauftragte Frau Ludwig, unterstützt die Bestrebungen für eine bessere Tabakkontrollpolitik vehement und glaubhaft. Allerdings können sich diese Fachpolitiker innerhalb der Bundesregierung und der Koalition häufig nicht durchsetzen. Wir setzen dieses Mal große Hoffnungen darauf, dass einige Fortschritte noch in dieser Legislaturperiode erreicht werden können. Wenn diese Maßnahmen für eine konsequente Tabakkontrolle insgesamt beschlossen werden, wird das zu einem deutlichen Fortschritt bei der Raucherquote und bei den Krankheitsfolgebelastungen führen.

Sie sind langjähriger Leiter der Raucherambulanz an der TU Chemnitz und damit sozusagen an der Basis. Wie ist Ihr Eindruck der vergangene Jahre von der Entwicklung in Sachen rauchen und Tabakkonsum? 

Mein ganz persönlicher klinischer Eindruck ist, dass sich das Image des Tabakrauchens in der Bevölkerung während der letzten Jahre kontinuierlich verschlechtert hat. Galt es früher als „cool“, mit der Zigarette zwischen den Lippen aufzutreten, trifft das beim Rauchen mittlerweile auf eine zunehmende Anzahl von Menschen nicht mehr zu. Aus diesem Grund scheint sich die Motivation, mit dem Rauchen aufzuhören, in immer weiteren Kreisen der Gesellschaft durchzusetzen. Eine überdurchschnittliche Raucherquote und besondere Schwierigkeiten beim Rauchstopp beobachte ich insbesondere bei Menschen, die unter einer anderen psychischen Störung leiden. Im Zuge der Corona-Krise haben wir gelernt, unsere Angebote auch online umzusetzen. Ich hoffe, dass es diese erweiterten Möglichkeiten in Zukunft erlauben, noch mehr Raucher in einem weiteren Umkreis erreichen zu können.

Matthias Fejes
31.05.2021

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