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"Ich möchte dazu beitragen, leistungsfähige Akademiker auszubilden"

Karen Roemer promovierte 2004 am Institut für Sportwissenschaft der TU Chemnitz und ist heute Professorin und Programmdirektorin an der Central Washington University – Im Interview berichtet sie über ihre Erfahrungen in den USA und in Deutschland sowie über ihre Biomechanik-Forschung

Womit genau beschäftigt man sich auf dem Forschungsgebiet der Biomechanik?

Das Forschungsgebiet der Biomechanik von menschlichen Bewegungen ist im Grunde die Physik menschlicher Bewegungen. Wir versuchen, die Mechanik von Bewegungsabläufen zu verstehen und zu erklären, wobei wir die Eigenschaften der Biomaterialien wie Muskeln, Bänder, Knochen, Knorpel usw. berücksichtigen. Ziel unserer Forschung ist es, die Grundprinzipien menschlicher Bewegungen zu verstehen, Leistung zu optimieren und das Risiko von Verletzungen zu minimieren.

Wie misst man die Bewegung beim Volleyballspringen und Laufen?

Ganzkörperbewegungen in Sportarten wie Volleyball und Laufen werden mit Hilfe von inverser Dynamik oder Vorwärtsdynamik analysiert. Für beide Ansätze verwenden wir in der Regel videobasierte Systeme, mit denen wir die menschliche Bewegung dreidimensional erfassen. Wenn möglich, verwenden wir außerdem Kraftmessplattformen, um externe Kräfte zu quantifizieren. Diese Bewegungsinformationen geben wir in einem nächsten Schritt in Computermodelle ein, um beispielsweise Gelenkreaktionskräfte zu berechnen. Das erlaubt uns zu untersuchen, wie stark wir unseren Bewegungsapparat bei bestimmten Bewegungen belasten und was wir tun können, um eine Bewegung zu optimieren.

Sie haben unter anderem auch das Gleichgewicht bei älteren Erwachsenen erforscht. Wie wirkt sich das Alter auf das Gleichgewicht aus?

Biomechanisch gesehen gibt es einige Komponenten, die sich mit dem Alter ändern. Diese Veränderungen erschweren es uns mit zunehmendem Alter, im Alltag das Gleichgewicht zu halten und aufrecht zu bleiben. Wir untersuchen speziell sogenannte Gleichgewichtsstrategien und deren Auswirkungen auf das Gleichgewicht. Der Begriff Gleichgewichtsstrategie bezieht sich auf die Gelenke, die wir hauptsächlich zur Kontrolle der aufrechten Haltung verwenden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass jüngere Erwachsene den größten Teil ihrer Gleichgewichtskontrolle mit sehr schnellen Anpassungen im Bereich des Sprunggelenks durchführen, was sehr effizient zu sein scheint. Mit zunehmendem Alter, tendieren wir dazu, dies mehr nach oben in Richtung Knie- und Hüftgelenk zu verschieben, was zu langsameren und weniger effizienten Haltungskorrekturen führt. Die ursächlichen Mechanismen, warum dies geschieht, sind schwer zu isolieren. Eine Erklärung könnte damit zusammenhängen, wie sich unsere Muskeln und Muskelfaserzusammensetzung mit dem Alter verändern d.h. dem Fakt, dass wir schnell zuckende Muskelfasern früher verlieren als langsam zuckende Fasern.

Woher kommt Ihr Forschungsinteresse am Kniegelenk?

Das Kniegelenk ist das größte Gelenk, das wir in unserem Körper haben. Es ist faszinierend, wie stabil dieses Gelenk ist, obwohl die knöcherne Absicherung und Kontaktfläche der beteiligten Knochen eher klein. Außerdem, ist es hochinteressant wie das Zusammenspiel der beiden größten Knochen, Tibia und Femur, in Verbindung mit der kleinen Patella ein sehr effizientes System aus mehreren beweglichen Gelenkachsen bildet. Dieses Design optimiert unsere inneren Hebelarme und Muskelmomente derart, dass wir zum Beispiel ohne großen Aufwand von einem Stuhl aufstehen können. Diese Mechanismen sowie deren Effizienz haben mich immer fasziniert.

Wie viel Einfluss hatte die Technologieentwicklung in den letzten 15 Jahren auf Ihr Arbeitsfeld?

Technologie hat in der Analyse menschlicher Bewegungen immer eine wichtige Rolle gespielt. Um die menschliche Bewegung untersuchen zu können, müssen wir in der Lage sein, die Bewegung zu erfassen und die Kinematik zu quantifizieren. Vor 15 Jahren waren wir noch recht eingeschränkt darin, großräumige Bewegungen außerhalb des Labors zu erfassen und es bedeutete einen immensen Aufwand - zum Beispiel beim Skifahren oder bei einem Schwimmer im Wasser. Dank der neuen Technologien können wir jetzt Bewegungen in realistischeren Umgebungen, mit höherer Genauigkeit und weniger Aufwand erfassen. Da unsere Modellergebnisse nur so gut sein können wie die Informationen, die wir hineingeben können, haben sich auch unsere Modelle verbessert. Darüber hinaus hat sich die Rechenkapazität enorm erhöht, sodass wir auch komplexere Modelle mit mehr Details verwenden können, ohne stundenlang auf Ergebnisse warten zu müssen. Grundsätzlich macht der technologische Fortschritt Studien auf diesem Gebiet für uns viel praktikabler.

Können Sie beschreiben, wie es ist, in Deutschland und den USA zu unterrichten?

Meine Erfahrung ist, dass der Hauptunterschied zu Deutschland beim Unterrichten hier in den USA darin besteht, dass praktische Laboreinheiten teil aller wichtigen Vorlesungen sind. Es ist die Norm, für jede Vorlesung zwei Stunden Laborerfahrung pro Woche anzubieten. Dies bedeutet, dass wir ein voll ausgestattetes Bewegungsanalyselabor für Unterrichtszwecke haben. Ein weiterer Unterschied, der mit der Laborerfahrung einhergeht, besteht darin, dass die maximale Teilnehmerzahl etwa 30 Studenten für den Vorlesungsteil und etwa 15 Studenten für jeden Laborabschnitt beträgt. Außerdem bedeutet das, dass wir die Studenten mehrmals pro Woche sehen, somit können wir uns mehr auf die Bearbeitung angewandter Probleme konzentrieren, anstatt nur Wissen zu präsentieren.

Was mögen Sie am meisten an Ihrer Tätigkeit?

Ich denke, es ist die Vielseitigkeit, die ich an meinem Job am meisten mag. Ich bin selbst dafür verantwortlich, wie ich Inhalte vermitteln möchte und kann entscheiden, welche Themen ich in der Forschung bearbeiten möchte und als Programmdirektorin kann ich Studiengänge entwickeln und gestalten. Was ich hier in den USA besonders mag, sind unsere 9-Monats-Verträge. Das bedeutet, dass wir unsere reguläre Arbeit über 9 Monate hinweg während des akademischen Jahres erledigen und im Sommer 3 Monate Zeit haben, um zu „spielen“. Während des Sommers können wir uns dann beispielsweise wirklich auf die Entwicklung von Forschungsideen konzentrieren, an extern finanzierten Forschungsprojekten arbeiten, die Zeit für internationale Kooperationen nutzen, zu Konferenzen reisen, Sommerunterricht hinzufügen oder einfach eine Auszeit nehmen. Normalerweise nutze ich eine Mischung dieser Möglichkeiten, je nachdem, an welchem Forschungsprojekt ich arbeite.

Denken Sie, dass der Höhepunkt der Sportwissenschaften erreicht ist?

Nein, ich denke, dass neue Technologien, Materialien und Ideen weiterhin die Grenzen unseres Berufs verschieben werden. Wir werden vermutlich bei klassischen Sportereignissen, wie einem 100-Meter-Lauf in der Leichtathletik keine großen Leistungssteigerungen mehr sehen, aber ich bin überzeugt, dass wir weiterhin die Entwicklung von neuen Sportdisziplinen sehen werden und möglicherweise Veränderungen in anderen Disziplinen sehen werden. Gute Beispiele dafür sind Eisschnelllauf mit den Short-Track Events oder das Snowboarden und den Boardercross-Events. Ich bin gespannt auf die Zukunft des Sports und der Sportwissenschaften.

Worum geht es in ihrem neusten Master of Science Studiengang?

Der Master of Science in integrativer Humanphysiologie integriert Kenntnisse aus verschiedenen Wissenschaftsbereichen, einschließlich Anatomie, Physiologie, Biomechanik, Biochemie-Metabolismus, Bewegungsphysiologie, Ernährung und Statistik, um das Verständnis der Funktion menschlichen Körpers im Kontext von Bewegung, Krankheit, Altern, Umweltstressoren und körperlichen Verletzungen zu verbessern. Der Abschluss bereitet die Studierenden auf Doktorandenprogramme und Karrieren im Gesundheitswesen wie Physiotherapie, Ergotherapie, Medizin, Krankenpflege, Chiropraktik, Prothetik und andere Bereichen des Gesundheitswesens vor.

Welche beruflichen Ziele verfolgen Sie noch?

Neben meinen Forschungsinteressen, möchte ich wirklich dazu beitragen, leistungsfähige Akademiker auszubilden. Als uns die COVID-Pandemie im März 2020 traf, haben wir einen beschleunigten Master-Abschluss entwickelt, um die zukünftigen Anforderungen im Gesundheitswesen zu erfüllen. Das war eine herausfordernde Zeit, weil gleichzeitig alle Veranstaltungen in unseren Bachelor- und Master-Abschlüssen innerhalb einer Woche auf Hybrid- und Online-Angebote umgestellt werden mussten. Wir haben uns dennoch dazu entschlossen, die Bedürfnisse im Gesundheitswesen, welche durch die Pandemie entstehen werden zu antizipieren und darauf zu reagieren, indem wir den neuen Abschluss innerhalb von 4 Monaten entwickelt haben. Wir haben die Flexibilität unseres Systems genutzt, um schnell zu reagieren, und konnten den Prozess von der Idee, der Entwicklung des Lehrplans und bis hin zum Genehmigungsprozesses beschleunigen. Jetzt im Herbst ist jeder Studienplatz belegt.

Warum hatten Sie sich für Ihre Promotion an der Technischen Universität Chemnitz entschieden?

Ich habe Chemnitz wegen der Expertise von Professor Maisser, dem damaligen Direktor des Instituts für Mechatronik, für meine Promotion ausgewählt. Außerdem war die Nähe zum Institut für Angewandte Trainingswissenschaften in Leipzig sowie zur Universität Leipzig für mein Promotionsprojekt von entscheidender Bedeutung. Nicht zuletzt war der sich neu entwickelnde Bereich Sporttechnologie, als gemeinsames Projekt des Instituts für Sportwissenschaft und dem Maschinenbau der TU Chemnitz, sehr verlockend. Die Interdisziplinarität des akademischen Umfelds und aller Projekte, an denen ich beteiligt war, ermöglichten es mir, die Forschung so umzusetzen, wie ich es mir zu Beginn meiner Promotion erhofft hatte.

Welchen Rat haben Sie für angehende und aktuelle Studierende der Technischen Universität Chemnitz?

Ein allgemeiner Rat, den ich für Studenten habe, ist, mit einem klaren Ziel zu studieren. Um das Beste aus der Erfahrung als Student herauszuholen, muss man wissen, welche Karriere man anstrebt. Dabei sollte man sich nicht nur die erforderlichen Kurse beschränken, sondern auch Vorlesungen außerhalb des eigenen Fachgebietes belegen, die dem eigenen Interesse dienen können. Außerdem sollte man alles dran setzen sich an Forschungsprojekten zu beteiligen. Oft helfen genau diese Aktivitäten dabei sich selbst weiter zu entwickeln und später auf dem Jobmarkt von Mitbewerbern ab zu setzen.

Haben Sie gute Erinnerungen an Ihre Zeit in Chemnitz?

Ja, ich habe viele schöne Erinnerungen an meine Zeit in Chemnitz und dem Erzgebirge, besonders an die Winterzeit. Ich werde immer die Adventszeit im Erzgebirge vermissen, die ich als etwas wirklich Besonderes empfunden habe. Nach der Arbeit auf den Weihnachtsmarkt zu gehen und einen Glühwein zu trinken, war immer etwas Besonderes. Außerdem habe ich es genossen im Erzgebirge Langlauf sowie Abfahrtski in Oberwiesenthal zu machen, mit einer guten Soljanka am Abend zum Abschluss.

(Das Interview führte Eva-Marie Moore.)

Matthias Fejes
08.10.2020

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