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TU-Student und Profi-Bergsteiger Jost Kobusch will als erster Mensch allein im Winter ohne künstlichen Sauerstoff auf den Mount Everest

  • Mann steht vor einem hohen Berg
    Im Himalaja ist er bereits an Grenzen gekommen, doch Extrembergsteiger Jost Kobusch sucht schon wieder die nächste Herausforderung. Foto: Raphael Schardt

Ein Chemnitzer Student bricht am Wochenende zu einer Tour auf, die so noch kein Mensch geschafft hat: Er will allein im Winter ohne künstlichen Sauerstoff auf den höchsten Berg der Erde. Angst treibt ihn an.

Chemnitz. Die Verabredung bei "Frollein Sommer" ist geplatzt. Das Freiluftcafé unter hohen Bäumen im Chemnitzer Stadtteil Bernsdorf macht an diesem trüben Septembertag nicht mehr auf - der Sommer ist vorbei. Das passt, denn Jost Kobusch, der hier ganz in der Nähe seine Studentenbude hat, sucht den Winter. Den extremsten Winter, den man auf der Erde finden kann.

Der Weg dorthin steckt in einem Laptop, den der junge Mann in seinem Rucksack verstaut hat. Kobusch steigt aufs Mountainbike und radelt hinüber zum Campus der TU Chemnitz. In der Mensa klappt er den Rechner auf. Es erscheint eine Animation der Khumbu-Region im Himalaya und eine Linie, die sich an schroffen Felsflanken und über Schneefelder steil aufwärts windet - bis auf den ultimativen Gipfel.

8848 Meter. Luft mit einem Drittel des Sauerstoffgehalts auf Meereshöhe. Eine technisch anspruchsvolle Route abseits des von Sherpas präparierten Normalwegs. Temperaturen, die sich im Januar um die minus 36 Grad bewegen; sie können bis auf minus 60 Grad fallen. Und wenn der südwestliche Jetstream auf den Gipfel trifft, sind Windgeschwindigkeiten bis zu 285 km/h möglich.

Jost Kobusch, 27 Jahre alt, Student an der Technischen Universität Chemnitz, plant die Tour der Superlative: Er will als erster Mensch allein im Winter ohne künstlichen Sauerstoff auf den Mount Everest. Einen einzigen 8000er hat er erst bestiegen, er ist fast noch ein Anfänger, doch er mausert sich gerade zum neuen Star der deutschen Bergsteigerszene. Er sagt: "Wenn ein Projekt nicht fehlschlagen kann, dann ist es nicht groß genug gewählt."

Der junge Mann stammt aus Nordrhein-Westfalen, aus der Kleinstadt Borgholzhausen im Herzen des Teutoburger Waldes. Der höchste Gipfel dort ist nicht mal 450 Meter hoch. "Ich gehöre zu einer neuen Generation von Kletterern", sagt Kobusch, "ich bin indoor aufgewachsen." Mit zwölf ging er in eine Kletter-AG an seiner Schule. In der Turnhalle lernte er Sicherungstechniken und Grundlagen der Spaltenbergung. Damals habe er sich nicht einmal getraut, in einem Schwimmbad vom Dreimeterbrett zu springen; rückwärts stieg er die Leiter wieder runter. Aber diese Niederlage ließ ihm keine Ruhe.

"Mich haben schon immer die Dinge gereizt, vor denen ich Angst hatte", sagt er. Angst setze unglaubliche Energien frei. Ohne diese Fokussierung sei er heute gar nicht in der Lage, 32 Stunden nonstop zu klettern, durch Dunkelheit abzusteigen und einer lebensfeindlichen Umgebung zu trotzen. "Angst schärft meine Sinne und erzeugt Performance."

Jost Kobusch wollte von Anfang an hoch hinaus. Mit 18 nahm er als ersten Gipfel den Mount Kenya, das zweithöchste Bergmassiv Afrikas, in Angriff. Kenia hatte er bei einem Schüleraustausch kennengelernt, doch für seine Tour auf 5199 Meter fand er keinen Seilpartner. So engagierte er in Nairobi selbst einen Koch und einen Träger - und machte so ziemlich alle Fehler, die man als Greenhorn im Hochgebirge machen kann: Innerhalb von zwei Tagen war er auf 4400 Meter aufgestiegen, wurde höhenkrank und holte sich den Sonnenbrand seines Lebens. "Ich wusste nicht, dass die UV-Strahlen durch die Wolken durchgingen." Das Matterhorn Kenias hat er nicht bezwungen. "Es gab einen Schneesturm, ich bin auf 5000 Metern umgedreht." Aber er gewann damals eine wichtige Erkenntnis: "Ich brauche diesen Träger und diesen Koch nicht." Das Solobergsteigen wurde zu seinem Lebensinhalt.

Im April 2015 sorgte Kobusch erstmals für Aufsehen, als er in Nepal knapp dem Tod entging und dies mit seinem Handy filmte. Ein verheerendes Erdbeben suchte das Land heim, der Alpinist befand sich gerade im Everest-Basislager, als über dem Tal eine gewaltige Lawine abging. 18 Menschen starben, über 60 wurden verletzt. Kobuschs Aufnahmen gingen um die Welt.

Im Folgejahr erreichte er den Gipfel der 8091 Meter hohen Annapurna, einen der am seltensten bestiegenen und gefährlichsten 8000er, an dem schon über 60 Bergsteiger ihr Leben ließen. Und 2017 schließlich bestieg er als erster Mensch den 7296 Meter hohen Nangpai Gosum II. Der Berg galt als der höchste unbestiegene Berg Nepals; mithilfe eines Historikers der Himalayan Data Base hatte ihn der deutsche Alpinist als Ziel identifiziert. "Ich wusste von Expeditionen, die an diesem Berg gescheitert waren", erzählt Kobusch. Aber auch er selbst musste Rückschläge wegstecken. Im Januar 2019 platzte die Winterbesteigung des höchsten Berges Nordamerikas, des Mount Denali in Alaska, weil der Nationalpark wegen einer US-Haushaltssperre geschlossen blieb.

Jost Kobusch sagt, er stamme aus einfachen Verhältnissen. In einer Familie mit fünf Schwestern wuchs er auf. Seine Expeditionen finanzierte der ausgebildete Gebirgsjäger der Bundeswehr anfangs mit einem Job als Guide auf Spitzbergen, wo Touristen wegen der Eisbären nur mit bewaffneter Begleitung die Ortschaften verlassen dürfen. Inzwischen verdient er mit dem Bergsteigen selbst Geld, die Touren werden professionell vermarktet. Gemeinsam mit einer südkoreanischen Outdoor-Firma entwickelt Kobusch Textilien für Extrembedingungen. Bei der Everest-Expedition wird er neuartige lange Unterwäsche aus einem Stück tragen, hergestellt aus einem Hightech-Fleece. Und oben drüber einen von ihm mitentwickelten Daunenanzug, der inzwischen auf dem Markt ist und den er als Prototyp bei minus 46 Grad in Russland getestet hat. Selbst die Eispickel aus Carbon, gefertigt in Handarbeit, sind speziell auf seine Bedürfnisse zugeschnitten: Sie sollen weniger Kälte übertragen als Aluminium-Modelle.

Seit drei Jahren studiert der Ex-tremalpinist in Chemnitz Sports Engineering - ein Fach, das Sport- und Ingenieurwissenschaften vereint; Absolventen arbeiten als Fachleute in der Fitness- und Sportgerätebranche. "Chemnitz war Liebe auf den zweiten Blick", sagt Kobusch. Neben dem exakt auf seine Interessen zugeschnittenen Studienfach profitiert er hier auch von einem Spitzensport-Programm. Das ermöglicht ihm flexible Stundenpläne und Prüfungstermine; ein Tutor schreibt mit, wenn er wegen seiner Expeditionen bei Vorlesungen fehlt.

Entscheidend aber, so sagt er, sei bei der Wahl des Studienorts gewesen, dass es in der Umgebung von Chemnitz so viele Möglichkeiten zum Klettern gibt. Er schwärmt von den unterschiedlichsten Gesteinsarten, die man hier findet, und von dem Kletterführer "Glück auf!" für das Erzgebirge, dick und schwer wie ein Ziegelstein. "Rochlitz ist eines meiner Lieblingsklettergebiete", sagt Kobusch. Am Wochenende war er wieder dort; es wurde ein Video zum Start der Everest-Expedition gedreht. In Chemnitz selbst macht er Ausdauertraining, joggt durch den Zeisigwald, im Winter kann man ihn hier in der Boulderhalle treffen.

Am kommenden Sonntag beginnt für Jost Kobusch die vielleicht gefährlichste Reise seines Lebens. Drei Monate lang wird er im Himalaya akklimatisieren und trainieren, wird zunächst einen 6000er und einen 7000er besteigen, bevor er mit vollbepackten Yaks im Everest-Basislager ankommt. Von dort will er mit dem kalendarischen Winterbeginn am 22. Dezember aufbrechen, so bald es die Bedingungen zulassen. Bis 29. Februar gibt er sich Zeit, den Gipfel zu erreichen.

Die Tour muss dokumentiert werden, aber er will sie konsequent solo und ohne Hilfsmittel gehen. Deshalb wird Kobusch einen Fotografen bis ins Lager eins auf 6000 Meter mitnehmen, ihn wieder hinunter begleiten und erneut allein aufbrechen. Schon auf diesem Abschnitt bedeutet das Klettern im fünften Schwierigkeitsgrad - abseits der Route durch den Khumbu-Eisbruch, durch den die meisten Bergsteiger auf den Everest gehen, der aber nur passierbar ist, weil ihn in der Hochsaison im Mai Sherpas mit Leitern und Fixseilen präparieren.

Auf diesem Weg erreichte der Chemnitzer Jörg Stingl 2001 ohne künstlichen Sauerstoff den Mount Everest. Der erfahrene Extrembergsteiger, der als erster Deutscher die Seven Summits, die höchsten Berge aller Kontinente, ohne Sauerstoffflaschen bestieg, lobt Kobuschs puristischen Ansatz: "Die Idee ist eisenhart. Ich drücke ihm die Daumen."

Besonders wichtig werde windstilles Wetter sein, sagt Stingl. Denn kämen zu den niedrigen Temperaturen auch noch stärkere Luftbewegungen, werde das Unterfangen wegen des Windchill-Effekts aussichtslos und lebensgefährlich. Bereits bei einer Windgeschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde fühlen sich minus 30 Grad wie minus 50 Grad an; binnen einer halben Stunde kann es zu Erfrierungen kommen.

Jost Kobusch wird am Everest seine Füße und Hände mit einer Salbe aus Ameisensäure und Chilipulver einreiben, um die Durchblutung anzuregen. "Hier würde das ordentlich abgehen", sagt er in der Mensa in Chemnitz. "Aber wenn du da oben bist, dann prickelt das ein bisschen." Er wird sich auf die Westschulter des höchsten Bergs der Welt begeben und über den Westgrat gehen, 1991 wurde diese Route zum letzten Mal begangen. "Hier traversiere ich über die Felsen", erzählt er und deutet in der Computeranimation auf eine extrem steil anmutende Stelle an der Nordflanke des Berges.

Etliche Male hat er den Everest schon virtuell bestiegen. Aber wenn es dann wirklich soweit ist, dann wird er Angst haben. Er wird diese Angst nicht bezwingen, sondern sie überstreifen wie eine zweite Haut, er wird sich an ihr berauschen und sich von ihr tragen lassen.

"In dieser steilen Rinne", so fährt Kobusch fort, "werde ich mein letztes Camp aufbauen. Falls ich beim ersten Versuch überhaupt bis hierhin kommen sollte, dann wäre das ein Megaerfolg." Es wird eine Nacht auf 8000 Metern werden. Die Rinne ist das Hornbein-Couloir, eine Steilschlucht, benannt nach dem US-Amerikaner Thomas Hornbein, der sie 1963 erstmals mit einer Expedition auf dem Weg zum Gipfel durchquerte. Die Route erwies sich als so schwierig, dass ein Abstieg dort aussichtslos erschien und die Gruppe einen anderen Rückweg wählte.

Vergangene Woche an der TU Chemnitz: ein letzter Gesundheitscheck am Institut für Angewandte Bewegungswissenschaften. Jost Kobusch bewegt sich auf einem Laufband, Sportwissenschaftler analysieren seine Atemluft und prüfen seine maximale Ausdauerfähigkeit. Unter den Bedingungen auf dem Gipfel des Mount Everest werde Jost Kobusch nur noch 20 Prozent seiner Leistungsfähigkeit haben, erläutert der Sportmediziner Steffen Öhmichen. "Er wird auf jeden Fall zu kämpfen haben", sagt er. Aber seine Sauerstoffaufnahme sei gut. "Seine Werte sind auf hohem Niveau."

Bei allem Risiko: Jost Kobusch wird das Extrem-Abenteuer strategisch angehen. "Meine Philosophie ist: Es gibt kein besseres Training als am eigentlichen Ziel." Für ein solches Training werde er zum Everest aufbrechen. Einige hätten das vielleicht missverstanden. Er wolle keinen Erfolg um jeden Preis, sondern in erster Linie die Bedingungen dort oben kennenlernen. "Der Gipfel ist Bonus." Das Projekt sei so schwer, "das wird beim ersten Mal nicht funktionieren." Aber: "Wenn du dir ein schweres Ziel setzt, dann hält es meistens auch länger."

Es klingt, als mache sich Jost Kobusch fast mehr Sorgen, was passiert, falls er es tatsächlich schaffen sollte. "Das Schlimmste ist, wenn du das Ziel erreichst", sagt er. "Dann musst du dir ein neues suchen."

(Autor: Oliver Hach)

Multimedia: Jost Kobusch erläutert im Video, auf welcher Route er den Mount Everest besteigen möchte. Und hier erzählt er etwas zum Programm "Partnerhochschule des Spitzensports".

Hinweis: Dieser Beitrag erschien am 20. September 2019 in der Freien Presse , die der Veröffentlichung auf "Uni aktuell" zugestimmt hat.

Mario Steinebach
20.09.2019

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