„Freundschaften entstehen nicht im Chat, sondern draußen“
Boran Bogdanow, der an der TU Chemnitz Wirtschaftswissenschaften im Bachelor sowie Value Chain Management und Business Intelligence & Analytics im Master studierte, entwickelte eine Social-App gegen die Einsamkeit
Herr Bogdanow, Sie haben eine App entwickelt, die lokale Begegnungen Gleichgesinnter in kleinen Gruppen initiiert, und damit berufsbegleitend den Weg in die Selbstständigkeit gewagt. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Angefangen hat alles im Mai 2021 – ganz unspektakulär unter der Dusche. Ich hatte plötzlich diesen Gedanken: Warum gibt es eigentlich keine App, mit der man in der unmittelbaren Umgebung Menschen findet, die jetzt gerade Lust haben, etwas zu unternehmen – und man landet dabei nicht im endlosen Chat, sondern automatisch in einer kleinen Gruppe? Der Kern dahinter ist aber viel persönlicher. Ich kenne dieses Gefühl, neu in einer Stadt zu sein und trotzdem allein zu bleiben. Als ich 2013 in Dresden angefangen habe zu studieren, habe ich keinen Anschluss gefunden – nicht, weil ich keine Lust auf Menschen hatte, sondern weil ich nicht der Typ bin, der einfach rübergeht und ein Gespräch startet. Ich saß manchmal in der Mensa und dachte: Hier sind so viele Leute – aber wie macht man den ersten Schritt, ohne sich komplett zu überwinden? Genau dafür soll Groopia – so heißt die App – da sein: als kleiner Schubs, der aus ‚allein‘ wieder ‚zusammen‘ macht, ohne dass man dafür extrovertiert genug sein muss.
Gibt es dafür nicht schon Dating-Apps?
Das wird oft gefragt – und genau da liegt das Missverständnis. Dating-Apps wie Tinder & Co. sind auf ‚eins zu eins‘ und Romantik ausgelegt. Und in der Realität passiert dort häufig dasselbe: Man schreibt, man schreibt noch mehr – und am Ende verläuft es im Sand. Oder es kommt gar kein vernünftiges Gespräch zustande. Selbst wenn der Chat gut ist, kommt es oft nie zu einem echten Treffen. Groopia dreht das bewusst um: nicht erst wochenlang tippen, sondern schneller ins echte Leben – in kleinen Gruppen, ohne Dating-Vibes und ohne diesen Druck, sich präsentieren zu müssen. Man wird anhand von Interessen und Standort in kleine Gruppen gematcht und sitzt sofort im selben Boot: Gemeinsam etwas planen, kurz abstimmen – und losziehen. Denn Freundschaften entstehen nicht im Chat, sondern draußen – beim Machen. Und klassische Online-Communities wie zum Beispiel Facebook-Gruppen lösen das Problem auch nicht wirklich: Sie sind oft riesig, überregional und unübersichtlich. Da entsteht selten dieses spontane Gefühl von: ‚Lass uns heute was machen.‘ Groopia soll genau diesen Moment möglich machen.
Konnten Sie die Umsetzung Ihrer Idee während des Studiums vorantreiben?
Ja – allerdings kam die Idee erst im Mai 2021, also gegen Ende meiner Studienzeit. Ich war 2015 zurück in Chemnitz, habe an der TU Chemnitz Wirtschaftswissenschaften im Bachelor studiert und anschließend den Master in Value Chain Management gemacht. Als die Idee dann da war, habe ich sie parallel zur Arbeit am Fraunhofer-Institut Schritt für Schritt konkretisiert – nicht nur als Gedanken, sondern als Konzept, das man testen kann. In dieser Phase war das Gründungsnetzwerk SAXEED für mich ein wichtiger Anker. Die Beratung war nicht nur nett, sondern sehr konkret – vor allem, um aus einer persönlichen Idee etwas zu machen, das man verständlich erklären und validieren kann. Ein echter Schlüsselmoment war dann der TUClab-Hackathon: In 48 Stunden entstand ein erster Prototyp, da hat sich Groopia zum ersten Mal real angefühlt. Kurz darauf habe ich mit einem Freund am SAXEED-Ideenwettbewerb teilgenommen und wir haben den 3. Platz erreicht. Das hat mir Rückenwind gegeben, weil es gezeigt hat: Andere sehen darin ebenfalls Potenzial. Eine anschließende Umfrage an der TU Chemnitz mit über 100 Teilnehmenden hat das bestätigt – viele kannten dieses Gefühl, neu zu sein, allein zu sein oder zwar Lust auf Aktivitäten zu haben, aber niemanden, mit dem man loszieht. Genau diese Lücke wollte ich schließen.
Ihre App geht in diesen Tagen an den Start, warum hat es bis zur Umsetzung so lange gedauert?
Es hat so lange gedauert, weil ich auf dem Weg immer wieder gemerkt habe: Eine Idee kann man in einem Satz erklären – aber damit sie wirklich umgesetzt und unterstützt wird, muss sie verstanden werden. Ich habe versucht, Groopia über Förderprogramme wie EXIST oder SAB zu realisieren. Und bin dabei immer wieder an denselben Punkt gekommen: Nicht die Nachfrage war das Problem, sondern die Einordnung und das Verständnis der Idee. Sobald man sagt ‚Leute kennenlerne‘, denken viele sofort an Dating oder an eine weitere Community, wo man wieder endlos schreibt. Und ich habe gemerkt: Ich rede eigentlich über Einsamkeit, über diesen Moment, in dem man zwar raus will, aber niemanden hat – und beim Gegenüber kommt an: Ach, sowas gibt’s doch schon. Das war frustrierend, weil ich wusste: Genau das gibt es eben noch nicht. Ich musste also nicht nur bauen, sondern auch immer wieder erklären, schärfen, nachjustieren: Worum geht es wirklich? Lokal. Spontan. Kleine Gruppen. Nicht reden, sondern machen. Und bevor daraus ein fertiges Produkt werden konnte, musste ich noch eine entscheidende Hürde überwinden.
Und welche Hürde war das?
Ganz ehrlich: das war der Punkt, an dem aus einer Idee plötzlich Umsetzung werden muss. Ich habe monatelang versucht, jemanden zu finden, der programmieren kann und die Vision mitträgt – aber ich bin immer wieder ins Leere gelaufen. Und dann kommt dieser Moment, in dem man sich fragt: War’s das jetzt? Nicht, weil ich nicht an die Idee geglaubt habe, sondern weil sie ohne technische Umsetzung einfach zu groß wirkte. Ich war tatsächlich kurz davor aufzugeben. Und genau da hat sich etwas gedreht: Mein Ehrgeiz hat übernommen. Ich habe mir gesagt: Okay, dann mache ich es selbst. Also habe ich mir das Programmieren beigebracht – ohne Abkürzung. Lernen, bauen, testen, wieder verwerfen, von vorn. Nicht ein paar Wochen mal reinschnuppern, sondern wirklich dranzubleiben, bis es funktioniert.
Und in dieser Phase haben Sie sich ja noch für ein zweites Masterstudium an der TU Chemnitz entschieden.
Genau – und das war tatsächlich weniger der Drang nach noch einem akademischen Titel, sondern eine strategische Entscheidung. Mir war klar: Wenn ich Groopia wirklich umsetzen will, brauche ich mehr technisches Verständnis und ich wollte gleichzeitig den Zugang zum Uni-Ökosystem nicht verlieren. Der Master in Business Intelligence & Analytics war dafür perfekt: Ich konnte meine Programmierkenntnisse gezielt ausbauen, im Umfeld bleiben und ich hatte auch die Hoffnung, dort Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden, die sich für das Projekt begeistern. Nach dem Studium bin ich 2023 dann in meinen Vollzeitjob bei eins energie in sachsen gestartet. Ab da wurde die Entwicklung endgültig zum Feierabend- und Wochenendprojekt – im positiven wie im anstrengenden Sinne – jede freie Minute, immer mit dem Gedanken, das nicht wieder einschlafen zu lassen. Zwischendurch habe ich dann die Groopia UG (haftungsbeschränkt) gegründet, damit das Ganze nicht mehr nach Hobby“wirkt, sondern sauber, offiziell und professionell aufgestellt ist. Und jetzt ist es so weit: Der Launch im App Store steht an.
Wie fühlt sich das an?
Es ist – ehrlich gesagt – ein ziemlich emotionaler Moment. Weil es sich nicht wie ein App-Release anfühlt, sondern wie der Abschluss von etwas, das mich über Jahre begleitet hat – mit Ideen, Zweifeln, Rückschlägen und sehr vielen Abenden, an denen ich einfach weitergemacht habe. Und am Ende geht es für mich nicht um eine App als Produkt, sondern um das, was sie auslösen kann: dass Menschen in einer neuen Stadt oder in einer neuen Lebensphase nicht wochenlang allein bleiben müssen, nur weil ihnen dieser erste Schritt so schwerfällt. Wenn Groopia es schafft, dass aus ‚Ich würde gern, aber ich hab niemanden!‘ wieder ‚Wir machen was!‘ wird und daraus echte Freundschaften entstehen, dann hat sich das alles gelohnt.
(Das Gespräch führte Mario Steinebach.)
Mario Steinebach
09.12.2025