Arbeiten mit Krankheit zehrt an den Kräften – und zwar länger als gedacht
Forschende der TU Chemnitz, der Universität Groningen und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigen in einer Studie, welche kurz- und mittelfristigen Folgen es hat, wenn Berufstätige trotz Krankheit zur Arbeit gehen
In der kalten Jahreszeit steigt das Risiko für gesundheitliche Beschwerden zum Beispiel durch Erkältungen oder Grippe. Viele Beschäftigte kennen die Situation, krank zur Arbeit zu gehen, weil dringende Termine anstehen oder sie ihr Team nicht hängen lassen möchten. Doch dieses Verhalten, bekannt als „Präsentismus“, hat Folgen: Eine aktuelle Studie der Technischen Universität Chemnitz, der Universität Groningen und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigt, dass die Erschöpfung, die mit dem Arbeiten trotz gesundheitlicher Beschwerden einhergeht, deutlich länger anhält, als bisher angenommen.
16-wöchige Tagebuchstudie mit 123 Berufstätigen
Gemeinsam mit weiteren Forschenden aus Deutschland und den Niederlanden untersuchte das Forschungsteam um Dr. Carolin Dietz von der Professur Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der TU Chemnitz, welche kurz- und mittelfristigen Folgen Präsentismus für die Erholung hat. Im Rahmen einer wöchentlichen Tagebuchstudie wurden 123 Berufstätige über einen Zeitraum von bis zu 16 Wochen begleitet. Die Teilnehmenden berichteten regelmäßig, ob sie trotz Krankheit gearbeitet hatten und wie erschöpft sie sich fühlten.
Arbeiten trotz Krankheit – eine unterschätzte Belastung
Das Ergebnis: In den Wochen, in denen Beschäftigte krank zur Arbeit gingen, stieg das Erschöpfungsniveau deutlich an – und blieb auch in den darauffolgenden Wochen erhöht. „Wer krank arbeitet, braucht also wesentlich länger, um sich zu regenerieren. Viele unterschätzen, wie lange der Körper braucht, um sich vom Arbeiten trotz Krankheit zu erholen“, erklärt Dr. Carolin Dietz, Erstautorin der Studie: „Unsere Daten zeigen, dass sich Erschöpfung nach solchen Phasen nur langsam über mehrere Wochen hinweg abbaut.“
Gefahr einer Spirale aus Überforderung und dauerhafter Erschöpfung
Etwa zwei Drittel der Teilnehmenden berichteten von mindestens einer Episode von Präsentismus während des Untersuchungszeitraums. Einige von ihnen gaben an, mehrfach krank gearbeitet zu haben. Auffällig ist: Je häufiger Menschen krank arbeiten, desto stärker häufen sich Anzeichen chronischer Müdigkeit. „Wer Präsentismus regelmäßig zeigt, läuft Gefahr, in eine Spirale aus Überforderung und dauerhafter Erschöpfung zu geraten“, warnt Co-Autor Dr. Oliver Weigelt von der Universität Groningen. Um sicherzustellen, dass die beobachteten Effekte tatsächlich auf das Arbeiten trotz Krankheit zurückzuführen sind, berücksichtigten die Forschenden in ihren Analysen auch Faktoren wie Krankheitssymptome, Arbeitsbelastung und Zeitdruck. „Die Erschöpfung ist also nicht einfach eine Folge der Krankheit selbst, sondern vor allem eine Folge des Verhaltens, trotzdem weiterzuarbeiten“, betont Prof. Dr. Christine Syrek, Inhaberin der Professur für Wirtschaftspsychologie/insbes. Kommunikation und angewandte Sozialpsychologie an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Relevanz für Betriebe und Beschäftigte
Die länderübergreifende Studie liefert somit neue Erkenntnisse für das betriebliche Gesundheitsmanagement. „Präsentismus kann aus Sicht der Beschäftigten kurzfristig pragmatisch erscheinen, führt aber mittelfristig zu Leistungsabfall und höheren Belastungskosten“, resümiert Prof. Dr. Bertolt Meyer, Inhaber der Professur Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der TU Chemnitz: „Betriebe sollten deshalb Beschäftigte aktiv dazu ermutigen, sich bei Krankheit auszukurieren. „So lässt sich nicht nur eine Ansteckung vermeiden, sondern insbesondere die mittelfristigen Folgekosten im Sinne einer verringerten Leistungsfähigkeit.“ Auch für die Beschäftigten selbst sei die Botschaft klar: „Ausruhen ist keine Schwäche, sondern eine Investition in nachhaltige Leistungsfähigkeit“, so Meyer.
Die Studie „It’s getting kind of heavy – Linking episodes of sickness presence to changes in fatigue over time“ (Dietz et al., 2025) ist im renommierten Journal of Occupational Health Psychology erschienen. Sie gehört zu den ersten Untersuchungen, die Präsentismus als wiederkehrendes Verhalten über mehrere Wochen hinweg in Alltagsverläufen erfassen.
Originalpublikation: Dietz, C., Weigelt, O., Meyer, B., & Syrek, C. (2025). It’s getting kind of heavy – Linking episodes of sickness presence to changes in fatigue over time. Journal of Occupational Health Psychology. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/ocp0000411
Weitere Informationen erteilen Dr. Carolin Dietz, Professur Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der TU Chemnitz, E-Mail carolin.dietz@psychologie.tu-chemnitz.de, Telefon +49 (0)371 531-38882, sowie Dr. Oliver Weigelt, Lehrstuhl Organisationspsychologie der Universität Groningen, E-Mail o.weigelt@rug.nl, Telefon +31 50 36 36259.
Mario Steinebach
07.11.2025