Jeder vermeintliche Umweg war ein Erfahrungsbaustein
Nach ihrem Studium schlug Julia Krause einen Weg ein, der alles andere als gewöhnlich ist – Im Interview erzählt sie, wie sie ihre Zeit an der TU Chemnitz geprägt hat und welche Türen sich danach öffneten
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Prof. Dr. Julia Krause ist Alumna der TU Chemnitz. Als Dozentin, Studentin, Promovendin und als Wissenschaftliche Mitarbeiterin verbrachte sie viele Jahre in Chemnitz. Foto: HTW Dresden/Peter Sebb
Frau Krause, wie würden Sie sich mit wenigen Worten selbst beschreiben?
Neugierig. Kreativ. Interdisziplinär. Ich sehe mich als Brückenbauerin zwischen Disziplinen, Kulturen und Denkweisen. Ich habe nie Angst gehabt, neue Wege einzuschlagen oder scheinbar unvereinbare Themen miteinander zu verbinden. Was andere vielleicht als „Zickzack-Karriere“ deuten würden, ist für mich ein spannendes Lebensmosaik – voller Kontraste, die sich zu einem stimmigen Bild fügen. Ich verbinde die Welten – geografisch, sprachlich, fachlich. Und ich liebe es, damit zu spielen, zu irritieren, denn durch die Irritation entstehen neue Sichtweisen und man fängt an, weiter zu denken. Ich spreche oft vom systemischen Denken und ganzheitlichen Handeln – in Bezug auf Nachhaltigkeit, mein Herzensthema, aber auch im Verständnis einzelner Rollen, Funktionen und Aufgaben – in der Wirtschaft und Bildung. Ich denke und arbeite ganzheitlich – immer mit Leidenschaft, manchmal unkonventionell, aber stets mit Blick auf das große Ganze.
Sie haben an der Staatlichen Pädagogischen Universität Wolgograd studiert und haben 2009 ein MBA Studium an der TU Chemnitz abgeschlossen. Wie kam es dazu?
Mein Weg führte mich nach meinem ersten Studium der Erziehungswissenschaften und Fremdsprachen in Wolgograd nach Deutschland – der Liebe wegen. Übrigens ist Wolgograd eine Partnerstadt von Chemnitz und meine Uni in Wolgograd war auch die Partneruni der TU Chemnitz. In Chemnitz fand ich nicht nur ein neues Zuhause, sondern auch eine Universität, die meinen beruflichen, aber auch meinen weiteren Bildungsweg formte. Als Dozentin unterrichtete ich zunächst Deutsch als Fremdsprache, Englisch und Russisch. Doch irgendwann wollte ich mehr über die Welt der Wirtschaft verstehen – über Technik, Prozesse, globale Zusammenhänge. Ich bildete mich weiter – selbstständig, an weiterführenden Schulen oder auch bei der IHK. Ich besuchte diverse Kurse zum Energiemanagement, technisches Zeichen, Verfahrenstechnik, Elektrotechnik usw. Der MBA war für mich die Krönung und Brücke zwischen dem, was ich war, und dem, was ich werden wollte: eine interdisziplinäre Impulsgeberin an der Schnittstelle von Bildung, Technik und Wirtschaft.
Warum ist Ihre Entscheidung auf Chemnitz gefallen? Was hat Chemnitz geboten, was andere Universitäten nicht bieten konnten?
Die TU Chemnitz bot mir genau das, wonach ich suchte: ein MBA-Programm, das Betriebswirtschaft, Technik und Kommunikation miteinander verknüpfte. Diese Interdisziplinarität war wie für mich gemacht. Zudem kannte ich die TU bereits als Dozentin – es war ein schönes Gefühl, als Studentin Teil dieser akademischen Gemeinschaft zu werden. Damals auch als Mutter von zwei kleinen Kindern war die Nähe zu meinem Zuhause natürlich ein zusätzliches Plus. Das Studium an der TU Chemnitz war für mich mehr als ein Kompromiss – es war ein Türöffner in eine neue Welt. Mit dem Abschluss in der Hand bekam ich meinen Traumjob in der faszinierenden Welt des internationalen Anlagenbaus.
Welche Eindrücke oder besonderen Erinnerungen haben Sie an Ihre Zeit an der TU Chemnitz? Gab es prägende Erlebnisse oder Menschen, die Sie nachhaltig beeinflusst haben?
Die TU Chemnitz hat mich über viele Jahre in unterschiedlichen Rollen begleitet – als Dozentin, Studentin, als Promovendin und schließlich als Wissenschaftliche Mitarbeiterin. Jede dieser Stationen war mit neuen Perspektiven, Menschen und Lernmomenten verbunden, die mich geprägt haben. Ich erinnere mich noch genau an meine ersten Tage als junge Dozentin, mit 22 Jahren vor Studierenden zu stehen. Die meisten waren älter als ich, das war eine Herausforderung. Doch genau diese Erfahrung lehrte mich, dass Wirkung nicht vom Alter, sondern von Haltung, Begeisterung und von der Art, wie wir kommunizieren, kommt. Im MBA-Studium haben mich Persönlichkeiten wie Dr. Frank Löschmann im Bereich Innovationsmanagement, der Diskussionen lebendig machte, oder Studiengangsleiter Prof. Dr. Andreas Schubert, der an mich von Anfang an glaubte, geprägt. Und später mein Doktorvater, Prof. Dr. Ludwig Gramlich, der immer erreichbar war und meine Fragen in kürzester Zeit beantwortete. Diese Haltung des offenen Austauschs prägt bis heute meine eigene Lehrphilosophie – Studierende zu inspirieren, zu begleiten und mit Engagement zu unterstützen. Auch Prof. Dr. Marlen Arnold bin ich sehr dankbar dafür, dass sie mir die Welt der Nachhaltigkeit öffnete und damit meine spätere wissenschaftliche und persönliche Orientierung entscheidend beeinflusste. Nachhaltigkeit ist für mich weit mehr als ein Forschungsfeld – sie ist eine Haltung und ein Leitprinzip, welches Denken, Handeln und Lehren verbindet. All diese Menschen und Erlebnisse sind tief mit meiner Biografie verwoben und machten die TU Chemnitz für mich nicht nur zu einem Ort des Lernens, sondern zu einem Ort des Wachsens.
Wie verlief Ihr Weg nach dem MBA-Studium weiter?
Ich habe die Bildungswelt verlassen, weil ich die reale Welt da draußen kennenlernen wollte. Mit dem MBA öffneten sich mir neue Türen: ich arbeitete an internationalen Projekten mit unterschiedlichen Stakeholdern – innerhalb und außerhalb des Unternehmens. Schon damals verstand ich die Bedeutung der Konnektivität, Über-die-Grenzen-hinweg-Denkens. Ich arbeitete an diversen Schnittstellen zwischen dem Qualitätsmanagement, Einkauf, Vertrieb, Anlagenplanung, mit diversen technischen Gewerken, aber auch mit allen Lieferanten und stets im Dialog mit Kunden. Mich faszinierte diese Arbeit mit globalen Lieferketten und ich entwickelte gleichzeitig mein wissenschaftliches Profil weiter. Eine Promotion im Bereich öffentliches Recht mit Fokus auf technische Regulierung im internationalen Projektmanagement folgte.
Und was kam danach?
Nach zehn Jahren in der Wirtschaft führte mich mein Weg zurück in die Lehre. Ich war nun bereit, die zwei Welten Bildung und Wirtschaft sowie Theorie und Praxis zu vereinen - als Professorin, Forscherin und Zukunftsgestalterin mit einem klaren Profil: international, interdisziplinär, interaktiv und nachhaltig.
Wie gestaltet sich heute Ihr beruflicher Alltag und was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit besonders wichtig?
Mein beruflicher Alltag ist ein lebendiger Dreiklang aus Lehre, Forschung und Inspiration. Ich habe eine weltweit einzigartige Professur – International Industrial Sourcing and Sales, die nun den Blick auf die gesamte Wertschöpfung vom Einkauf bis zum Vertrieb hat. Dabei ist Nachhaltigkeit kein Extra, sondern der rote Faden, der sich durch alle Themen zieht. Besonders wichtig ist mir, Menschen zum Denken zu bringen. Ich möchte Studierende dazu befähigen, in Systemen zu denken, mutige Fragen zu stellen und eigene Lösungen zu entwickeln. Denn Lehre ist für mich nicht die Weitergabe von Antworten, sondern die Einladung zum Forschen und zum Entdecken. Und ich bleibe weiterhin mit der Wirtschaft in Verbindung, das ist für mich sehr wichtig, in diversen Formaten bei Verbänden und in diversen Initiativen. Ich versuche meine Impulse zu setzen und ich arbeite an kreativen Herangehensweisen für die Etablierung der ganzheitlichen Nachhaltigkeit in der Bildung oder Wirtschaft.
Auf welche Stationen, Projekte oder Erfolge in Ihrer beruflichen Laufbahn blicken Sie mit besonderem Stolz zurück?
Es gibt viele Momente, auf die ich mit Dankbarkeit und Stolz zurückblicke. Als auf einer Konferenz ein Key-Speaker mein Buch zitierte und in der Hand hochhielt, ohne dass er wusste, dass ich im Publikum saß, war ein stiller, aber großer Moment. Auch die 200ste betreute Abschlussarbeit war ein Meilenstein, denn jede dieser Arbeiten steht für ein begleitetes Leben. Mit meinem jüngst erschienenen Buch „Vom Green Campus zur ORANGE Alma Mater“ möchte ich dazu beitragen, die Bildungslandschaft nachhaltiger zu gestalten, und freue mich über die entstehenden nationalen und internationalen Kooperationen in diesem Bereich. Besonders stolz bin ich auch darauf, den Chemnitzer Stern tragen zu dürfen – eine Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger für engagierte Bürger. Der Stern steht für Nachhaltigkeit, Freundlichkeit und Offenheit – Werte, die ich mit großer Freude von Chemnitz aus in die Welt trage. So bin ich dankbar, Botschafterin meiner zweiten Heimatstadt zu sein. Auch ein immer bewegender Erfolg für mich ist, wenn ehemalige Studierende mir erzählen, dass meine Lehrveranstaltungen sie dazu inspiriert haben, genau den Weg einzuschlagen, den sie heute gehen. Solche Momente erinnern mich daran, dass Lehre weit über Wissenstransfer hinausgeht. Sie berührt Lebenswege. Und genau diese Verantwortung, Schicksale positiv beeinflussen zu können, empfinde ich als ein großes Geschenk.
Gab es in Ihrer Karriere auch schwierige Phasen oder Rückschläge? Wie sind Sie damit umgegangen? Gibt es etwas, das Sie heute anders machen würden?
Ja – gerade meine Vielseitigkeit wurde lange Zeit von einigen nicht als Stärke gesehen und das hat mich selbst etwas verunsichert. Zu viele Themen, kein roter Faden, hieß es dann. Doch genau diese Breite an Erfahrungen ist heute mein größter Schatz. Rückblickend würde ich vielleicht etwas gelassener mit Kritik umgehen. Aber ich bereue nichts und bin heute sehr stolz auf meinen Weg. Denn jeder vermeintliche Umweg war ein Erfahrungsbaustein. Mein Rat: Vertraut eurem inneren Kompass, auch wenn der Weg nicht linear ist. Leidenschaft ist wichtiger als Logik. Solange man brennt, wird der Weg gut.
Sie sind Mutter und beruflich stark eingebunden – wie gelingt es Ihnen, Familie und Karriere miteinander zu vereinbaren?
Für mich ist Familie keine Einschränkung, sondern eine Quelle der Kraft. Ich wollte immer Kinder haben und gleichzeitig wollte ich auch Karriere machen. Eins ohne das Andere fühlte sich nicht rund, nicht vollständig, ja, vielleicht nicht ganzheitlich an. Ich wollte mich nicht für eins entscheiden! Ja, es ist manchmal sehr herausfordernd. Einige Sachen bleiben auf der Strecke. Man muss Prioritäten setzen und diese dann vielleicht auch ändern. Und Perfektion loslassen. Es ist in Ordnung, wenn nicht alles gleichzeitig gelingt, wenn Wäsche ungebügelt bleibt. Wichtig ist, dass die Richtung stimmt. Ich möchte meine berufliche Leidenschaft leben und gleichzeitig für meine Familie da sein – präsent, liebevoll und verbunden. Es geht nicht um das Entweder-Oder. Es geht um das mutige Sowohl-als-auch.
Welche beruflichen oder privaten Ziele möchten Sie in Zukunft noch verwirklichen? Gibt es Träume, auf die Sie hinarbeiten?
Beruflich möchte ich mich weiter qualifizieren und meine Modelle der nachhaltigen Transformation international verankern – als Brücke zwischen Bildung, Wirtschaft und Gesellschaft. Ich träume davon, weltweit in der Bildung und Wirtschaft Projekte zu begleiten, die konkrete Wirkung entfalten. Ich würde gerne mein Italienisch auffrischen und sehr gerne tanzen. Und ich möchte eines Tages eine Weltreise machen: die Schönheit unseres Planeten dokumentieren – und die Geschichten der Menschen, die ihn lebendig machen.
Welchen Rat würden Sie Frauen geben, die Familie und Karriere verbinden möchten? Und was möchten Sie Studierenden mit auf den Weg geben?
An Frauen: Lasst Euch nicht sagen, dass Ihr euch entscheiden müsst. Familie und Karriere sind keine Gegensätze, sondern zwei Seiten eines erfüllten Lebens. Sucht Euch Vorbilder und glaubt an Eure Stärke – auch und gerade dann, wenn andere zweifeln. Hört auf Euer Bauchgefühl! Macht das, worauf ihr Lust habt! An Studierende: Geht nicht den bequemsten, sondern den bedeutendsten Weg – Euren eigenen. Hinterfragt, entdeckt, gestaltet. Macht mit. Probiert aus. Die Welt braucht nicht mehr Anpassung – sie braucht mutige Denker mit Haltung und Herz. Leidenschaft ist Euer bester Kompass. Folgt ihm! An alle: Geht die Extra-Meile – denn Erfolg beginnt dort, wo die Komfortzone endet.
(Die Fragen stellte Stephanie Höber, Alumni-Koordinatorin der TU Chemnitz.)
Zur Person: Prof. Dr. Julia Krause
Prof. Dr. Julia Krause ist Inhaberin der Professur International Industrial Sourcing & Sales an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden. Zuvor leitete sie die Masterstudiengänge International Management sowie German Business Culture and International Management. In Lehre und Forschung widmet sie sich der Frage, wie ganzheitliche Nachhaltigkeit in Unternehmensprozessen und entlang globaler Lieferketten verankert werden kann. Diese Themen basieren auf ihrer langjährigen Erfahrung in einer international agierenden Unternehmensberatung sowie im internationalen Anlagenbau. Darüber hinaus ist Julia Krause Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des JARO-Instituts für Nachhaltigkeit und Digitalisierung. Sie engagiert sich für die Harmonisierung von Standards – unter anderem im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft und in GIZ-Projekten – sowie für die frühzeitige Integration von technischer Compliance in internationalen Projekten. Als Autorin und Impulsgeberin publiziert und spricht sie regelmäßig über die ganzheitliche Umsetzung von Nachhaltigkeit in Bildung und Wirtschaft.
Mario Steinebach
23.10.2025