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„Angst ist ein schlechter Ratgeber“: Neue Erkenntnisse des ZKFS zeigen erstmals Zusammenhänge zwischen Kriminalitätswahrnehmung, Furcht vor Kriminalität und mangelndem Vertrauen in die Justiz auf

Repräsentative Studienreihe des Zentrums für kriminologische Forschung Sachsen e. V. gibt Aufschluss über die Bedeutung der politischen Orientierung für die Bewertung von Strafformen, Strafvollzug und Wirtschaftskriminalität

Das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen e. V. (ZKFS), ein An-Institut der Technischen Universität Chemnitz (TUC), erarbeitet im Rahmen des sogenannten „Panel zur Wahrnehmung von Kriminalität und Straftäter:innen (PaWaKS)“ eine deutschlandweit einzigartige Längsschnittstudie und legt mit den aktuellen Berichten neue Zahlen vor. Erstmals wurden Ursachen und Folgen von Kriminalitätswahrnehmung und Kriminalitätsfurcht in einer so großen Stichprobe bundesweit repräsentativ untersucht. Die aktuelle Studienreihe ist online verfügbar und basiert auf der Befragung von insgesamt rund 2.000 Personen im Frühjahr 2023.

Eine wesentliche Erkenntnis der Forscherinnen und Forscher ist, dass die wahrgenommene Häufigkeit von Kriminalität in keinem belastbaren Verhältnis zur Kriminalitätsstatistik steht. Als wichtigen Treiber dieser verzerrten Wahrnehmung identifizierten die Forscherinnen und Forscher u. a. die Angst, selbst Opfer von Kriminalität zu werden. Insbesondere Befragte, die sich politisch rechts der Mitte zuordneten, neigten zu verstärkter Kriminalitätswahrnehmung. Darüber hinaus stellte das Forschungsteam mangelndes Vertrauen in die Justiz und ihre Institutionen fest, das auch zu einer verzerrten Wahrnehmung des Strafmaßes bzw. der Strafhärte führt. Diese wurden von den Befragten überwiegend und unabhängig von der konkreten Straftat als zu gering eingeschätzt. Zudem zeigte sich in den Daten eine pauschale Befürwortung härterer Strafen unabhängig von ihrem Nutzen.

Besseres Verständnis der sozialen Dynamik im Zusammenhang mit Kriminalität

„In unseren aktuellen Berichten liegen die Schwerpunkte auf der Entwicklung von Kriminalitätswahrnehmung sowie auf den Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu verschiedenen Kriminalitäts- und Bestrafungsformen“, fasst der Direktor des ZKFS und Professor für Sozialpsychologie an der TUC, Prof. Dr. Frank Asbrock, zusammen. „Die Untersuchung dieser Aspekte ermöglicht nicht nur ein besseres Verständnis der sozialen Dynamik im Zusammenhang mit Kriminalität, sondern bietet auch wertvolle Einblicke in die Möglichkeiten zur Gestaltung von präventiven Maßnahmen und politischen Entscheidungen, um die Sicherheit und das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger zu fördern“, so Asbrock weiter.

Neben der Kriminalitätswahrnehmung haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des ZKFS untersucht, welche Ansichten in der Bevölkerung zu verschiedenen Strafformen vorliegen, wie Betroffene von Vorurteilskriminalität mit diesen Erfahrungen umgehen und wie die politischen Einstellungen mit der Wahrnehmung von Wirtschaftskriminalität sowie Gefängnissen zusammenhängt.

Befragte, die sich politisch rechts der Mitte zuordneten, neigten zu verstärkter Kriminalitätswahrnehmung

In ihrer Untersuchung kommen die Forscherinnen und Forscher u. a. zu dem Ergebnis, dass die Wahrnehmung von Kriminalität in Deutschland und anderen Ländern nicht mit der tatsächlichen Entwicklung von Kriminalität einher geht. So zeigte sich anhand der Daten u. a., dass persönliche Vorlieben für harte Strafen und mangelndes Vertrauen in die Justiz einen wesentlichen Einfluss auf die Kriminalitätswahrnehmung hatten. Hinzu kam die politische Einstellung. Demnach zeigten Befragte, die sich politisch rechts der Mitte einordneten und entsprechende Ansichten vertreten, eher eine verstärkte Kriminalitätswahrnehmung.

„Unsicherheitsgefühle führen zu Angst – und Angst ist ein schlechter Ratgeber. Wir möchten einen Beitrag dazu leisten, dass die Debatte um Kriminalität und Straftäterinnen sowie Straftäter weniger emotional, sondern auf der Grundlage von Fakten geführt wird“, formuliert die Leiterin des PaWaKS-Projekts, Dr. Deliah Bolesta, eine wesentliche Erkenntnis und den Anspruch des Projekts

Härtere Strafen unabhängig vom Nutzen gewünscht

Jennifer Führer, Dr. Deliah Bolesta und Prof. Dr. Frank Asbrock vom ZKFS zeigen in ihrer Analyse der Einstellungen zu verschiedenen Bestrafungsformen, dass sich der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung härtere Strafen für kriminelles Verhalten wünscht – unabhängig davon, wie effektiv diese z. B. hinsichtlich einer Resozialisierung sind. Konkret bevorzugten die Befragten Freiheitsstrafen gegenüber dem offenen Vollzug oder Geldstrafen. Eine weitere Erkenntnis ist, dass Menschen mit einem höheren Strafbedürfnis auch mehr Angst vor Kriminalität empfinden.

„Härtere Strafen haben keine positiven Auswirkungen auf Rückfälligkeit oder Resozialisierung", stellt Jennifer Führer fest. „Vielmehr zeigen unsere Forschungsergebnisse die Notwendigkeit einer verstärkten Aufklärung in der Bevölkerung, um die positiven Aspekte von Alternativen zur Freiheitsstrafe zu kommunizieren und das Strafbedürfnis sowie die Kriminalitätsfurcht zu reduzieren“, so Jennifer Führer weiter.

Hinsichtlich der Bewertung von Wirtschaftskriminalität – insbesondere Korruption – konnten die an PaWaKS beteiligten Forscherinnen und Forscher am ZKFS zunächst eine überwiegend einheitliche Verurteilung durch die Befragten feststellen. Allerdings fanden sie auch einen Zusammenhang zwischen der politischen Orientierung und dem Grad der Verurteilung. So bewerteten die Befragten, die sich im rechten politischen einordnen, diese Straftaten als weniger verwerflich.

Kriminalitätswahrnehmung beruht auf Furcht, Strafbedürfnis und mangelndem Vertrauen in die Justiz

Eine wichtige Erkenntnis der vorliegenden Studie ist, dass die Wahrnehmung von Kriminalität nicht mit der tatsächlichen Entwicklung einhergeht. So wird trotz sinkender Kriminalitätsbelastung eine Steigerung angenommen, die mit entsprechender Kriminalitätsfurcht einhergeht. Jennifer Führer und Dr. Deliah Bolesta, Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am ZKFS, und Dr. Henrik Andersen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der TUC bestätigen auch im aktuellen PaWaKS-Bericht diesen Befund. Zudem können sie zeigen, dass die Wahrnehmung von Kriminalität auf das Vermeiden von möglichen Gefahren (konative Kriminalitätsfurcht), auf das persönliche Bedürfnis nach harten Strafen und auf das mangelnde Vertrauen in die Justiz zurückzuführen ist. Auch zeigen Befragte, die sich politisch rechts der Mitte einordnen, eher eine verstärkte Kriminalitätswahrnehmung.

Weniger Anzeigen und weniger Vertrauen in die Justiz bei Opfern vorurteilsmotivierter Gewalt

In einem weiteren Bericht wurde vorurteilsmotivierte Gewalt, also Gewalt aufgrund von Vorurteilen des Täters bzw. der Täterin, untersucht. Kristin Weber und Rowenia Bender, Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am ZKFS, konnten zeigen, dass unter den Befragten ca. 17% (indirekte oder direkte) Gewalt aufgrund der eigenen Ethnie/Religion erfahren haben, fast 16% aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und fast jede fünfte befragte Person aufgrund ihres Migrationshintergrundes. Kristin Weber macht auf einen wichtigen Befund aufmerksam: „Die Betroffenen erstatten deutlich seltener Anzeige als Opfer vieler anderer Straftaten und sie zeigen auch weniger Vertrauen in die Polizei und Justiz.“

Je weiter politisch rechts, desto nachsichtiger bei Wirtschaftskriminalität

Die Forscherinnen und der Forscher des ZKFS haben zudem untersucht, wie Wirtschaftskriminalität im Vergleich zu anderen Straftaten wahrgenommen wird. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass Wirtschaftskriminalität, insbesondere Korruption, von der deutschen Bevölkerung als sehr verwerflich bewertet wird. Allerdings gibt es einen Zusammenhang mit der politischen Orientierung: Wer sich von den Befragten rechts der Mitte einordnete, bewertete diese Straftaten als weniger verwerflich.

Je weiter politisch rechts, desto weniger Interesse an besseren Haftbedingungen

Das Bild des Strafvollzugs in Deutschland, über den in der Öffentlichkeit nur sehr wenig bekannt ist, haben Dr. Aaron Bielejewski und Anika Radewald in ihrem Teil der PaWaKS-Studie analysiert. Hier zeigte sich, dass der derzeitige Zustand der Gefängnisse in Deutschland als relativ gut eingeschätzt wurde. Deutliche Unterschiede zeigten sich bei der Bewertung der Haftbedingungen. Je weiter rechts sich die Befragten einordneten, desto weniger sprachen sie sich für eine Verbesserung der Aktivitätsangebote und Unterstützung für die Strafgefangenen aus.

Weitere Informationen erteilt Dr. Deliah Bolesta, Leiterin der PaWaKS-Studie am Zentrum für Kriminologische Forschung Sachsen e. V., Tel. +49 371 335638-32, E-Mail deliah.bolesta@zkfs.de

Hintergrund: PaWaKS-Studie

In der PaWaKS Studie wird eine für die deutsche Erwachsenenbevölkerung repräsentative Stichprobe (N = 5.174) mehrfach über einen Zeitraum von drei Jahren zu ihrer Kriminalitätswahrnehmung und verschiedenen anderen Themen befragt. Aktuell liegen Daten aus drei Erhebungszeiträumen für 1.925 Personen vor. Damit ist es nun erstmals möglich, Ursachen und Folgen der Kriminalitätswahrnehmung und Kriminalitätsfurcht in einer so großen Stichprobe in Deutschland kontrolliert zu analysieren.

Hintergrund: ZKFS

Das Zentrum für kriminologische Forschung Sachsen (ZKFS) ist seit Dezember 2021 An-Institut der Technischen Universität Chemnitz und somit die erste sozialwissenschaftliche Einrichtung, die diesen Status erhalten hat. Das ZKFS ist die erste selbstständige Forschungseinrichtung zur Kriminologie in Ostdeutschland und führt grundlagen- und praxisorientierte kriminologische Forschung mit einem sozialwissenschaftlichen Schwerpunkt durch. Hierfür ist unter anderem eine fortlaufende Erhebung von Daten zur Kriminalitätsentwicklung und zur Wahrnehmung dieser in der Allgemeinbevölkerung sowie in öffentlichen Diskursen essentiell.

Matthias Fejes
05.10.2023

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