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Frauenfußball: eine deutsch-deutsche Sportgeschichte

Pünktlich zur Frauenfußball-WM ist die Dissertation von TU-Absolventin Carina Sophia Linne zum Thema "Freigespielt - Frauenfußball im geteilten Deutschland" als Buch erschienen

  • Freigespielt Teil 1: Carina Sophia Linne greift in ihrer Freizeit auch selbst häufig zum Ball und schreibt so ein kleines Stück an der Geschichte des Frauenfußballs mit - zurzeit ist sie aktiv beim SV Blau-Gelb Berlin. Foto: Laura Soria
  • Freigespielt Teil 2: Das Cover des Buches zeigt eine Szene vom Heimspiel der BSG Motor Mitte Karl-Marx-Stadt gegen Pentacon Dresden am 9. Juli 1971. Cover: be.bra verlag

Zum Auftaktspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Frauenfußball-Weltmeisterschaft strömten 73.680 Fans ins Berliner Olympiastadion, 14,09 Millionen Zuschauer verfolgten das Spiel gegen Kanada vor dem Fernseher. Dass dem Frauenfußball in Deutschland einmal soviel Beachtung zuteil werden würde, war lange Zeit nicht zu erwarten. 1897 waren es die Fußballerinnen in Großbritannien, 1911 die in Russland und 1923 Studentinnen in Deutschland, die den Ball in ihren Ländern ins Rollen brachten. Die Entwicklung des Frauenfußballs im geteilten Deutschland - von 1960 bis 1990 - betrachtet Carina Sophia Linne in ihrer Dissertation, die pünktlich zur Frauenfußball-WM im eigenen Land im be.bra Verlag erschienen ist. Linne hat an der Technischen Universität Chemnitz Politikwissenschaft, Sportwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation studiert. Seit Februar 2009 arbeitet sie an der Professur Zeitgeschichte des Sports der Universität Potsdam an ihrer Promotion. Zweitbetreuer der Arbeit mit dem Titel "Freigespielt - Frauenfußball im geteilten Deutschland" ist Prof. Dr. Albrecht Hummel, Inhaber der Professur Sportpädagogik/-didaktik an der TU Chemnitz. "Neben der Einordnung des Frauenfußballs in die ohnehin problembehaftete und konfliktbeladene Entwicklung des leistungsorientierten Frauensports in den letzten hundert Jahren - eine Geschichte voller Vorurteile, wissenschaftlicher Fehleinschätzungen und politischer Diskriminierungen - ist es der besondere Verdienst von Carina Sophia Linne, im Rahmen ihrer Dissertationsschrift eine wissenschaftlich fundierte vergleichende Betrachtung zur Entwicklung des Frauenfußballs im geteilten Deutschland durchgeführt zu haben. Dabei wurden die jeweils wirkenden gesellschafts- und sportpolitischen Barrieren und Impulse identifiziert und gut verständlich beschrieben", schätzt Hummel ein.

"Im Fokus meiner Arbeit steht der Frauenfußball in der DDR, allerdings stets mit dem vergleichenden Blick über die Mauer, auch wenn beide Seiten sich zwangsläufig unabhängig voneinander entwickelten", berichtet Linne. Entstanden ist dadurch eine deutsch-deutsche Sportgeschichte, inklusive der Wiedervereinigung am Beispiel des Frauenfußballs im geteilten Berlin. Neben der Auswertung von Originaldokumenten und Sekundärquellen führte Linne Zeitzeugeninterviews mit 30 ehemaligen Fußballerinnen und Trainern der bekanntesten Frauenfußball-Betriebssportgemeinschaften der DDR, darunter die BSG Turbine Potsdam, die BSG Wismut Karl-Marx-Stadt, die BSG Post Rostock, Chemie Leipzig und Chemie PCK Schwedt.

Frauenfußball in Deutschland: vom Spielverbot bis zur Bundesliga

"Erstmalig 1960 für die DDR nachgewiesen, gliederte sich der Frauenfußball ab 1967 in das Feld des Freizeit- und Erholungssports ein", berichtet Linne. 1971 nahm der Deutsche Fußball-Verband (DFV) der DDR den Frauenfußball als Volkssport in die Spieleordnung auf. Acht Jahre später reagierte er auf die steigende Anzahl von Frauenmannschaften mit der Einführung der so genannten DDR-Bestenermittlung. In der Bundesrepublik gab es ab 1955 ein informelles Verbot des Deutschen Fußball-Bundes (DFB): Ein Frauenfußballbetrieb war ausdrücklich nicht erwünscht. Am 31. Oktober 1970 hob der DFB dieses Verbot offiziell auf. "Von da an ging die Entwicklung in der Bundesrepublik rasant vorwärts. Ab 1974 gab es eine Deutsche Amateur-Meisterschaft", so Linne. Damit hatte die BRD in Sachen Frauenfußball fünf Jahre Vorsprung vor der DDR. "Dort konnte zu keinem Zeitpunkt das spielerische Niveau der westdeutschen Fußballerinnen erreicht werden, was auch bei der Zusammenführung in die zweigleisige Bundesliga 1991/92 deutlich wurde", berichtet die TU-Absolventin. Gleiches galt für die Nachwuchsarbeit, die in der BRD bereits 1979 in Gang kam. "In Kooperationen zwischen Schulen und Vereinen richtete man die Grundlagen für einen geregelten Mädchenfußball-Spielbetrieb zwischen München und Hamburg ein. Defizite in diesem Bereich konnte die DDR bis zum Ende ihres Bestehens nicht aufholen, was in den ostdeutschen Bundesländern noch heute spürbar ist", so Linne.

Die Mitgliederzahlen, die Linne für ihre Dissertation eruiert hat, sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache: Während 1981 der DFV der DDR 6.000 Spielerinnen und 360 Mannschaften meldete, waren es in der Bundesrepublik schon 383.171 Spielerinnen in 2.701 Mannschaften. "Selbst vor dem Hintergrund der Bevölkerungsentwicklung in beiden deutschen Staaten bedeutete dies ein enormes Übergewicht für den Damenfußball der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1989 gingen die Mitgliederzahlen im DDR-Frauenfußball sogar noch zurück. Vor der Wiedervereinigung sollen 5.500 Fußballerinnen im Osten gespielt haben, während in der Bundesrepublik die Anzahl zwischenzeitlich auf 479.098 angestiegen war", sagt die Sporthistorikerin der Universität Potsdam.

Nationalmannschaft: von einer Hauruck-Aktion bis zum WM-Titel

Auch bei der Einführung einer Nationalmannschaft hinkte die DDR hinterher. Erst 1988 wurden hier die entsprechenden Strukturen erarbeitet, in der BRD entstand eine Nationalmannschaft bereits sechs Jahre zuvor. Das erste und einzige offizielle Länderspiel der DDR fand am 9. Mai 1990 statt. "Spielerinnen aus jener Zeit betrachten die Umsetzung dieses Länderspiels als Hauruck-Aktion, auch wenn es gleichzeitig den größten emotionalen Moment ihrer Sportlerinnenkarriere bedeutete", berichtet Linne. Die Episode der DDR‐Nationalmannschaft der Frauen wertet sie dennoch "als eine wahre Erfolgsgeschichte": "Der Frauenfußball hatte es durch den Einsatz einzelner Personen erreicht, am 9. Mai 1990 für 90 Minuten auf der gleichen Ebene zu stehen, wie der erfolgreiche DDR-Leistungssport der vergangenen 40 Jahre", so Linne.

Bei der Zusammenführung der beiden deutschen Frauenfußballsysteme gab der westdeutsche DFB den Ton an. Die ostdeutsche Auswahl wurde aufgelöst. Allerdings schafften es drei Spielerinnen aus diesem Team in den erweiterten Kreis der Damen‐Nationalmannschaft sowie eine Spielerin in den Kader der U19. "Als versöhnlicher Ausgang konnte die Nominierung von Birte Weiß zum Länderspiel der Bundesrepublik Deutschland gegen Polen in Aue am 9. Mai 1991 gewertet werden", sagt Linne und erklärt: "Genau ein Jahr nach dem ersten und einzigen offiziellen Länderspiel der DDR-Nationalmannschaft war es gelungen, nicht nur ein Länderspiel der Nationalmannschaft in die neuen Bundesländer zu holen, sondern gleichzeitig eine Spielerin aus dem Osten zu integrieren." Die gesamtdeutsche Nationalmannschaft kann seit 1991 sechs Europameister-Titel und drei Bronzemedaillen bei Olympischen Sommerspielen verbuchen. 2003 und 2007 gewann das Team die Weltmeisterschaften. Im 21-köpfigen Kader für die Frauenfußball-WM 2011 stehen übrigens 17 Fußballerinnen aus westdeutschen und vier aus ostdeutschen Vereinen.

Bibliographische Angaben: Carina Sophia Linne: Freigespielt - Frauenfußball im geteilten Deutschland, Berlin 2011. be.bra verlag, 304 Seiten, ISBN 978-3-937233-89-5, Preis: 24,95 Euro

Weitere Informationen erteilt Carina Sophia Linne, Telefon 0331 977-1685, E-Mail clinne@uni-potsdam.de.

Katharina Thehos
28.06.2011

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