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Umweltpolitik 3.0

Bundesumweltministerium feierte sein 30-jähriges Bestehen mit „Festival der Zukunft“ - Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre der TU Chemnitz beteiligte sich mit Vortrag zum Luftverkehr

Vergangenes Wochenende feierte das Bundesumweltministerium (BMUB) sein 30-jähriges Bestehen mit einem „Festival der Zukunft“, das „Umweltpolitik 3.0“ genannt wurde. Rund 120 Gruppen behandelten zwei Tage lang aktuelle umweltpolitische Themen. Auch die Technische Universität Chemnitz war vertreten.

Heutzutage erscheint es unverzichtbar, ein Bundesministerium speziell für die Umwelt zu haben. In der Vergangenheit war dies nicht immer so. Viele erinnern sich noch an die weißen Schaumkronen auf den Flüssen, den sauren Regen, das Ozonloch und vieles andere, für das sich niemand zuständig fühlte. Heute kann man wieder in Flüssen baden, und die Luft ist viel sauberer geworden. Aktuelle Themen der Umweltpolitik sind die Energiewende, die Klimaerwärmung, Lebensqualität in den Städten oder das Lärmproblem. Zu dem letzteren leistete die TU Chemnitz einen Beitrag.

Aber wie vollzieht sich eigentlich Umweltpolitik? Wer am Wochenende über das Gelände der Festveranstaltung des BMUB streifte, musste überrascht sein. Wer glaubt, Umweltpolitik vollzieht sich in großen Plenumsveranstaltungen, auf denen sich politische und fachliche Schwergewichte miteinander streiten, der liegt falsch. Umweltpolitik vollzieht sich ganz anders. Sie zerfällt in eine Unzahl von ganz spezifischen Detailthemen, die jeweils nur von wenigen Fachleuten und Interessenten bearbeitet werden. Überall sah man deshalb auf dem Gelände kleine und kleinste Gruppen von Menschen ganz detaillierte Fragen bearbeiten. Es war eine geradezu familiäre Stimmung zu erspüren, weil konkretes, ideologiefreies Arbeiten am Problem die Menschen sehr schnell näher bringt.

Nur um ein Beispiel zu nennen: In einer Arbeitsgruppe wurde darüber diskutiert, wie der Straßenraum der Zukunft genutzt werden sollte. Wie viel des knappen Platzes zwischen zwei Häuserzeilen soll öffentlichem und Individualverkehr, Radfahrern, Fußgängern, spielenden Kindern, Jugendlichen, Bäumen, Beeten, Bänken etc. überlassen werden? Heute werden 17% der Wege in einer Stadt mit dem PKW zurückgelegt, aber 58 Prozent des Straßenraums gehören ihm. Die einhellige Meinung: Verkehr jedweder Art muss zurückgedrängt werden. Der Straßenraum muss Aufenthaltsqualität bekommen. Die Straße erweitert den Wohnraum. Menschen sollen aus ihren engen Wohnungen flüchten können und die Städte insgesamt lebenswerter werden.

Die TU Chemnitz beleuchtete in einem einstündigen Vortrag von Prof. Dr. Friedrich Thießen, Inhaber der Professur Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, mit anschließender Diskussion das Spannungsfeld von Wirtschaft und Umwelt beim Luftverkehr. Der Luftverkehr belastet die Umwelt mit CO2, Schadstoffen und Lärm. Ständig gibt es erbitterte Rechtsstreite insbesondere von Lärmbetroffenen, für welche die Erweiterung eines Flughafens oder die Neuaufnahme einer Flugroute aufgrund des hinzunehmenden Lärms oft einen schweren Schicksalsschlag darstellt. Dabei wird die Schuld immer wieder dem Prinzip Marktwirtschaft gegeben, weil gewinnmaximierende Unternehmen eben keine Rücksicht auf die Umwelt nehmen könnten. Der Vortrag zeigte nun, dass praktisch genau das Gegenteil der Fall ist: Umweltprobleme treten gerade deshalb auf, weil die Prinzipien der Marktwirtschaft verletzt werden. Diese sehen vor, wie in jedem volkswirtschaftlichen Lehrbuch nachzulesen ist – darunter z.B. dem berühmten amerikanischen von Mankiw, das von dem früh verstorbenen Chemnitzer Professor Klaus Dieter John ins Deutsche übersetzt wurde – dass ein Umweltschädiger den oder die Geschädigten finanziell entschädigen muss. Auf diese Weise kalkuliert er die Schäden, die er verursacht, ein und überlegt dreimal, ob er nicht eine andere Handlungsalternative wählen, also z.B. statt mehrmals mit kleinen Maschinen weniger häufig mit einer großen Maschine, oder mit einem leiseren Flugzeug oder von einem anderen Flughafen aus fliegen soll. Man nennt diese Entschädigungszahlungen „Internalisierung externer Effekte“. Die Internalisierung externer Effekte wird nun seit Jahren von einer Politik verhindert, die falsch verstandene Rücksicht auf eine Branche nimmt, die mittlerweile zu den umweltschädigendsten Branchen überhaupt gehört. Hoch subventionierte Regionalflughäfen zeugen von dieser merkwürdigen Präferenz der Politik für die Luftverkehrsbranche. Die Branche übt erheblichen Druck auf die Politik aus, die Internalisierung ihrer Umweltschäden nicht kommen zu lassen. Deshalb hat das Lärmproblem des Luftverkehrs weniger mit Marktwirtschaft als viel mit Lobbyismus und Klüngel zu tun.

Insgesamt zeigte die Veranstaltung des BMUB, dass Umweltpolitik janusköpfig ist: Zum einen werden Lösungen der drängendsten Umweltprobleme verlangt. Zum anderen wird die Kraft der Politik verlangt, die Lösungen auch umzusetzen und nicht am Lobbyismus der Interessenten zu scheitern. Es wäre schön, wenn die Studierenden dieses Problem erkennen und in ihrem Berufsleben einen wahrhaftigen Beitrag zu seiner Lösung leisten könnten.

(Autor: Prof. Dr. Friedrich Thießen)

Mario Steinebach
12.09.2016

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