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Forscher als Unternehmer - Unternehmer als Forscher

Im Gespräch mit Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM)

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TU-Pressesprecher Mario Steinebach (r.) im Gespräch mit BITKOM-Präsident Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer. Foto: Christine Kornack

"Innovationstreiber einer Hightechuniversität" lautete das Thema der Festveranstaltung anlässlich der Wiederernennung von Eberhard Alles zum Kanzler der Technischen Universität Chemnitz. Einer der Festredner war Prof. Dr. August-Wilhelm Scheer, Präsident des Bundesverbandes Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (BITKOM), Gründer der IDS Scheer AG und Kurator der TU Chemnitz. Am Rande der Veranstaltung sprach TU-Pressesprecher Mario Steinebach mit ihm.

Der Innovationswettlauf unter den Industrienationen ist stärker denn je. Wo steht aus Ihrer Sicht die deutsche Wirtschaft?

Die konjunkturellen Aufwärtsbewegungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutsche Wirtschaft Strukturprobleme hat. Aufgrund der bekannten Standortnachteile wandern weiterhin Produktionskapazitäten in Niedriglohnländer ab und verringern damit in Deutschland die Anzahl der Arbeitsplätze. Wettbewerbsfähig sind nur Produkte mit einem hohen Innovationsgehalt. Ganz entscheidend für die Bundesrepublik Deutschland ist die Frage, ob die Hemmnisse, die es bei der Nutzung der universitären oder universitätsnahen Forschungspotenziale zweifelsfrei gibt, überwunden werden. Denn Forschungsergebnisse führen erst dann zu Produktinnovationen und damit zu neuen Arbeitsplätzen, wenn sie den langen Weg von einer Grundlagenidee über anwendungsnahe Forschungsergebnisse in Form von Machbarkeitsstudien oder Prototypen zu technisch stabilen Produkten mit einer Vermarktungs- und Vertriebsstrategie durchwandert haben.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die deutsche Forschungspolitik?

Sie konzentriert sich viel zu wenig auf in Produkte umsetzbare Ergebnisse. An vielen, insbesondere nichttechnischen Universitäten sind die Noten von Abschlussarbeiten, Dissertationen und Habilitationen der Maßstab für Erfolg. Die Bewertungskriterien sind oft weitab von einer Produktumsetzung. Vielmehr dominieren auch in vielen anwendungsorientierten Fächern künstlich aufgebaute Miniwelten die Realität, die häufig so konstruiert sind, dass sie zwar gute Beispiele für die in den Fachgebieten gerade modernen Methoden liefern, die bearbeiteten Problemstellungen aber nicht die Probleme der Realität widerspiegeln.

Welche Chancen hat die Wissenschaft aus diesem Dilemma auszubrechen?

Die deutsche Forschungsinfrastruktur mit universitären und außeruniversitären Forschungsinstituten ist nach wie vor im internationalen Vergleich recht gut. Es fehlt aber eine geschlossene Strategie zur Koordination der vielfältigen Forschungseinrichtungen und zur Weiterführung der Forschungsergebnisse in Produkte und deren erfolgreiche Marktdurchdringung. Viele Ideen sind in Deutschland entwickelt worden, die daraus entstandenen Arbeitsplätze befinden sich aber im Ausland. Ein viel zitiertes Beispiel ist die Entwicklung des MP3-Formates am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen, das in Deutschland aber keinen industriellen Verwerter gefunden hat. Die MP3-Player werden heute vornehmlich in Asien produziert und umrankende Dienstleistungen, wie die Musikbörse iTunes, kommen aus den USA. Ausgründungen aus renommierten Universitäten in den USA zeigen, wie die Innovationsklammer zwischen Hochschulen und der Wirtschaft aussehen und junge Leute faszinieren und anspornen kann - ich denke da beispielsweise an SUN, Google und Cisco. Die großen Chancen für interessante und zukunftsorientierte Hightecharbeitsplätze aus der Forschung sind auch in Europa nicht zu übersehen. Diejenigen Länder, die einen turn-around in der Hightechindustrie schafften, haben eine enge Verquickung zwischen Forschung, Bildung und industrieller Umsetzung realisiert. Beispielsweise Irland, das heute als einer der wichtigsten europäischen Standorte für IT-Unternehmen gilt, hat sich auf die Ausbildung von Computerspezialisten an seinen Universitäten konzentriert, um qualifizierte Mitarbeiter für die ins Land kommenden IT-Unternehmen bereitzustellen. Und Finnland hat eine klare Strategie entwickelt, um aus dem Hersteller für Gummistiefel und Autoreifen den Weltmarktführer NOKIA im Bereich von Handy-Geräten zu entwickeln. Diese Beispiele zeigen, wie wichtig eine geschlossene Strategie zur Unterstützung der gesamten Wertschöpfungskette von der Grundlagenforschung über Anwendungsforschung, Spin-off-Unternehmen und deren Markterfolg ist. Dies setzt aber voraus, dass Forscher und Unternehmer sich gegenseitig nicht nur besser verstehen, sondern darüber hinaus in der Zusammenarbeit ähnlichen Zielvorstellungen und Führungsmethoden folgen. Beide müssen bereit sein, voneinander zu lernen.

Sollten sich deshalb Forscher künftig mehr wie Unternehmer verhalten?

Ja, denn heute gibt es noch immer Universitätsprofessoren, die erwarten, dass ihre Forschung durch eine vom Staat erhaltene Basisausstattung ihrer Lehrstühle finanziert wird. Bereits das Einwerben von Drittmitteln durch Forschungsanträge etwa bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft oder beim Bundesministerium für Bildung und Forschung wird nicht als normale Pflicht eines Professors angesehen, sondern eher als zusätzliche Anstrengung. Die Finanzenge der Länder und damit auch die Finanzenge der Universitäten führen nun aber immer mehr dazu, dass die durch die Grundausstattung unterstützten Ressourcen nicht mehr ausreichen, um den gewünschten Forschungsthemen nachgehen zu können. Gleichzeitig wird die Einwerbung von Drittmitteln auch als Maßstab für die Beurteilung der Leistung von Universitäten, Fakultäten, Fachbereichen und Lehrstühlen gewählt. Rankings treiben die Kundenorientierung und Exzellenzinitiativen verstärken den Wettbewerb. Damit werden gerade Fähigkeiten zur Einwerbung von Drittmitteln immer wichtiger. Ein erfolgreicher Hochschullehrer in einem ressourcenintensiven Fach - zum Beispiel in der Informatik, Physik und in den Ingenieurwissenschaften - muss auch ein unternehmerisch denkender Manager sein. Er muss in der Lage sein, eine Strategie für seine Organisation aufzustellen und ein Finanzierungskonzept zu entwickeln. Er muss Netzwerke zu anderen Forschungsinstitutionen und möglichen Partnern aus der Wirtschaft unterhalten, ein Netzwerk zu den Forschungsförderungsorganisationen aufbauen, um rechtzeitig von neuen geplanten Forschungsprojekten zu erfahren und sich mit seiner Forschungskompetenz frühzeitig darauf vorzubereiten. Weiter muss er, wenn sein Forschungsprojekt bewilligt wird, in der Lage sein, dieses durch ein professionelles Projektmanagement zeit-, qualitäts- und kostengerecht abzuwickeln.

Wie können aus Ihrer Sicht Wirtschaft und Wissenschaft besser zueinander finden?

Unternehmensgründer aus dem Hochschulbereich, die mit einer Anfangsidee gestartet sind, brauchen weiteren Ideenzufluss aus ihrer alten Forschungsumgebung. Sie sind deswegen gehalten, den Kontakt zu ihrer früheren Forschungsstätte zu pflegen. Etablierte Unternehmen müssen in der Lage sein, interessante Forschungspartner zu evaluieren und auszuwählen. Auch zeigt sich, dass für eine erfolgreiche Karriere in der Wirtschaft ein akademischer Hintergrund mittlerweile selbstverständlich ist und eine längere, aber nicht zu lange forschungsintensive Tätigkeit an einem Institut hilfreich ist. Sowohl im Forschungsumfeld als auch in der Wirtschaft haben heute diejenigen die besten Karrierechancen, die in der Wissenschaft und in der Wirtschaft gleichermaßen ausgewiesen sind und von beiden Bereichen die besten Anforderungsmerkmale erfüllen.

Wie sollte der Strukturwandel im Forschungsbereich beschleunigt werden?

Im Forschungsbereich ist der wichtigste, aber am schwierigsten umzusetzende Beschleunigungsfaktor die Änderung des Wertesystems. Nicht mehr derjenige Forscher, der die meisten Fußnoten produziert, der in hoch spezialisierten und wenig gelesenen Zeitschriften Insiderwissen publiziert, ist allein der ideale Forscher, sondern auch derjenige, der seine Ideen bis zur marktreifen Umsetzung verfolgt. Dies bedeutet, dass neben introvertierten und der Welt abgewandten Persönlichkeiten auch extrovertierte, der Welt aufgeschlossene und dynamische Forschungsmanager anerkannt werden müssen. Sie auszubilden und für das Forschungssystem zu interessieren, ist aber keine leichte Aufgabe. Personen mit dem Profil, sowohl in Forschung als auch im Management und Unternehmertum gleichermaßen ausgewiesen zu sein, sind selten und deshalb auch nicht durch eine übliche Bezahlung, wie sie im Öffentlichen Dienst vorgesehen ist, anzuziehen. Solange der Leiter des F+E-Bereiches in einem mittleren Unternehmen in der Automobilzulieferindustrie rund zweieinhalb- bis dreimal so hoch bezahlt wird wie ein Universitätsprofessor, kann nur eine tief greifende wettbewerbs- und leistungsorientierte Reform des Vergütungssystems helfen. Verändert werden muss in diesem Zusammenhang auch der Berufungs- und Einstellungsprozess an Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten. So sollten Ausschreibungen auch in ausländischen Zeitungen veröffentlicht und Personalberater eingeschaltet werden. Ein flexibler Besoldungs- und ein effizienter Berufungsprozess sind die wesentlichen Voraussetzungen, um Forschungsinstitutionen effizienter und effektiver zu organisieren.

Und wo sehen Sie Möglichkeiten, dass sich die Wirtschaft an öffentlich finanzierten Forschungsprojekten beteiligt?

Vor allen Dingen durch einen Abbau bürokratischer Hemmnisse. Die Beantragung von Forschungsmitteln zum Beispiel bei der EU ist für kleinere und mittlere Unternehmen mit einem unverhältnismäßig hohen bürokratischen Aufwand verbunden. Das Antragswesen muss deshalb für KMU vereinfacht werden. Insbesondere sollten solche Unternehmen, die sich bereits erfolgreich an Forschungsprojekten beteiligt haben, bei neuen Antragsstellungen bevorzugt werden. Um das Forschungssystem für die Wirtschaft transparenter zu machen, sollten möglichst viele Vertreter der Wirtschaft in Aufsichtsgremien von Instituten, Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen berufen werden. Der persönliche Kontakt ist immer noch der beste Weg, um Vorurteile abzubauen und Felder gemeinsamer Interessen zu entdecken. Auch das Angebot von Universitäten, Informationsveranstaltungen, Weiterbildungsseminare und die Nutzung ihrer apparativen Ausstattung für Wirtschaftspartner zu öffnen, ist eine wirksame Möglichkeit, die Bereitschaft zu einer engeren Zusammenarbeit zu erhöhen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mario Steinebach
12.06.2008

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