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Was international für die neue Bundesregierung wichtig wird

Prof. Dr. Kai Oppermann ist Experte für internationale Politik an der TU Chemnitz und wirft Schlaglichter auf drängende Herausforderungen Deutschlands in der Welt wie eine klarere Positionierung gegenüber Russland und China

Prof. Dr. Kai Oppermann ist Inhaber der Professur Internationale Politik an der Technischen Universität Chemnitz. Im Interview spricht er über drängende internationale Aufgaben der neuen deutschen Bundesregierung. Dazu gehören das Verhältnis zu Russland und China, die Stärkung der EU und der Umgang mit Afghanistan.

Herr Professor Oppermann, als Beobachterin oder Beobachter des Wahlkampfs im Vorfeld der Bundestagswahl konnte man zu dem Schluss kommen, dass die deutsche Außenpolitik und die Frage nach der Rolle Deutschlands in der Welt eher untergeordnet ist.

Es ist nicht unüblich, dass politische Auseinandersetzungen in Wahlkämpfen – in Deutschland und anderswo – in erster Linie über innenpolitische Fragen geführt werden. Das ist auch in diesem Wahlkampf so. Aber natürlich muss und wird die Außenpolitik auch für die kommende Bundesregierung von zentraler Bedeutung sein. Deutschland ist Teil der EU sowie der NATO. Zudem unterhält Deutschland diverse internationale Partnerschaften und ist als ökonomisch stärkstes EU-Mitglied auch ein gewichtiger Akteur im internationalen Handel. Es wird in den anstehenden Koalitionsverhandlungen auch interessant sein zu sehen, welche Partei in Zukunft das Außenministerium führen wird und damit die deutsche Außenpolitik maßgeblich gestalten kann.

Auf den von Ihnen genannten außenpolitischen Feldern gibt es gewaltige Herausforderungen. Welche sind aus Ihrer Sicht die drängendsten für die neue deutsche Bundesregierung?

Hier sehe ich auf strategischer Ebene vor allem zwei miteinander verwobene Aspekte: Erstens werden Deutschlands internationale Partner in der EU und der NATO erwarten, dass sich die neue Bundesregierung in der aufziehenden Systemkonkurrenz mit autoritären Regimen klarer als bisher positioniert und insbesondere gegenüber Russland und China Stellung bezieht. Mit Blick auf Russland hat Deutschland zwar viel Anerkennung dafür erfahren, dass die amtierende Bundesregierung das russische Vorgehen auf der Krim und in der Ostukraine eindeutig verurteilt und die Sanktionen der EU gegen Russland an führender Stelle unterstützt hat. Unverständnis gab und gibt es hingegen zum Beispiel hinsichtlich der Unterstützung für die Pipeline „Nord Stream 2“. Die zweite Herausforderung besteht darin, die EU im Schulterschluss mit Frankreich nach innen zu stärken und nach außen handlungsfähiger zu machen. Ersteres ist gerade vor dem Hintergrund von Populismus und Europa-Skeptizismus in Europa zentral; letzteres vor dem Hintergrund, dass die USA in Zukunft weniger als bisher bereit sein dürften, in der europäischen Nachbarschaft Sicherheit zu stiften.

Zum Aspekt der Systemkonkurrenz wird auch über China zu sprechen sein. Eine erste Antwort haben jetzt Australien, England und die USA gegeben, die sich im sogenannten AUKUS-Bündnis zusammengeschlossen haben. Droht ein neuer Kalter Krieg?

Nein. Die Situation heute ist schon deshalb eine ganz andere, weil China viel stärker als die Sowjetunion damals in die Weltwirtschaft und in ein enges Netzwerk der Global Governance eingebunden ist. China ist ebenso darauf angewiesen, dass das auch so bleibt, wie die westlichen Staaten und die internationale Gemeinschaft insgesamt. Es gibt allerdings regionale Hegemonie-Bestrebungen Chinas und es gibt sich verschärfende Gegensätze mit Blick auf die künftige internationale Politik. Während Deutschland und seine westlichen Partner die liberale Internationale Ordnung, also eine Ordnung der multilateralen, regelbasierten Zusammenarbeit bewahren wollen, ist China der größte Herausforderer dieser Ordnung. Die Konkurrenz mit China wird auf internationaler Bühne also zunehmen – und dafür muss Deutschland gewappnet sein. Ein neuer Kalter Krieg ist das allerdings nicht.

Was den Umgang mit China betrifft, sitzt Deutschland mehr oder weniger zwischen allen Stühlen. Sollte die neue Regierung eine Richtungsentscheidung treffen?

Die neue Bundesregierung muss zu einer neuen Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen auf der einen Seite und sicherheits- und allianzpolitischen Erwägungen auf der anderen Seite kommen. Die Kritik an der deutschen Chinapolitik ist bislang, dass ökonomische Gesichtspunkte zu sehr im Vordergrund stehen. Dies belastet sowohl das transatlantische Verhältnis als auch die EU. Hier erwarte ich eine neue Akzentsetzung der künftigen Bundesregierung. 

Sie haben die Europäische Union angesprochen: Welche Rolle sollte Deutschland Ihrer Ansicht nach künftig in der EU einnehmen - eher zurückhaltend und vermittelnd wie bisher oder dominanter und führungsstärker?

Ich halte es für eine Fehlwahrnehmung, dass Deutschland in der EU besonders zurückhaltend auftritt. Die Eurokrise und die regelmäßigen Verhandlungen zum EU-Haushalt zeigen doch beispielhaft, dass Deutschland seine Interessen durchaus nachdrücklich vertritt. Dies gelingt allerdings besser, wenn Deutschland vermittelnd auftreten kann und nicht versucht, den anderen Mitgliedstaaten seine Sicht der Dinge aufzuzwingen. Das funktioniert in der EU nicht - auch nicht für das ökonomisch stärkste Mitglied. Ein gutes Beispiel sind die Verhandlungen über das künftige Verhältnis der EU zum Vereinigten Königreich nach dem Brexit. Hier waren Deutschland und die amtierende Bundesregierung - zusammen mit Frankreich - ganz ausschlaggebend dafür, dass es gelungen ist, eine gemeinsame Linie der EU-27 zu finden und durchzuhalten. Dies gelang gerade dadurch, dass man die Interessen und Sorgen der kleineren EU-Staaten – zum Beispiel Irland – sehr ernst genommen und berücksichtigt hat. Eine führende Rolle Deutschlands in der EU verlangt es, dass andere Staaten bereit sind, Vorschlägen und Initiativen der Bundesregierung zu folgen.

Eine weitere drängende und sehr aktuelle Frage ist die zum Umgang mit Afghanistan. Die französische Regierung hat jüngst erklärt, sie werde die Taliban-Regierung nicht anerkennen. Sollte sich die künftige Bundesregierung hier an Frankreich orientieren oder zum Beispiel mit Blick auf den Schutz im Land verbliebener Ortskräfte sich offener gegenüber den Taliban zeigen?

Eine schwierige Frage, die immer auch im Lichte der Entwicklungen in Afghanistan und angesichts ganz konkreter Anlässe beantwortet werden muss. Grundsätzlich ist dies aber auch ein Thema, das in die eben besprochenen Zusammenhänge hineinspielt. Alleingänge der nächsten Bundesregierung werden keinen Erfolg haben und eine gemeinsame europäische Linie, vor allem eine enge Abstimmung mit Frankreich, wäre sehr wünschenswert.

Vielen Dank für das Gespräch.

Multimedia

Im Wissenschafts-Podcast "TUCscicast" der TU Chemnitz ordnet Prof. Dr. Kai Oppermann die Wahl Joe Bidens sowie seine innen- und außenpolitischen Leitlinien ein. Der Podcast mit dem Titel "Die Welt nach der US-Wahl" ist online im Web der TU Chemnitz verfügbar und überall dort, wo es Podcasts gibt. 

Matthias Fejes
28.09.2021

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