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"Hätte man vor Beginn des Wahlkampfs ein solches Ergebnis vorhergesagt, hätte das kaum jemand geglaubt"

Politikwissenschaftler Arndt Leininger von der TU Chemnitz blickt nach der Bundestagswahl auf die Verlässlichkeit von Prognose-Modellen, den Einfluss von Social Media auf die Bundestagswahl und warum viele junge Wählerinnen und Wähler ihr Kreuz bei der FDP gemacht haben

Juniorprofessor Arndt Leininger, PhD, ist Inhaber der Juniorprofessur Politische Forschungsmethoden und Experte für Wahlumfragen. Nach der Bundestagswahl spricht er im Interview über die Verlässlichkeit von Prognose-Modellen, den Einfluss von Social Media auf das Wählerinnen- und Wählerverhalten und weshalb vor allem viele junge Wählerinnen und Wähler die FDP gewählt haben.

Herr Leininger, Sie sind Experte für Wahlumfragen und haben kürzlich gemeinsam mit einer Kollegin und einem Kollegen ein neues Prognosemodell vorgestellt. Das entsprechende Paper ist im Journal PS: Political Science & Politics erschienen. Hat Sie das gestrige Ergebnis überrascht?

Jein. Natürlich war das Ergebnis vor dem Hintergrund der heißen Phase des Wahlkampfs und der letzten Umfragen nicht überraschend. Die letzten Umfragen lagen wie auch schon bei der letzten Wahl relativ nah am letztlichen Wahlergebnis. Hätte man vor Beginn des Wahlkampfs ein solches Ergebnis vorhergesagt, hätte das kaum jemand geglaubt. Ähnliches habe ich jedoch mit Kolleginnen und Kollegen Ende Juni dieses Jahres gemacht. Mit Hilfe eines statistischen Modells, welches ohne Umfragedaten auskommt, haben wir die Bundestagswahl vorhergesagt. Mit unserer Prognose von 14,3 Prozent für die Grünen, die damals in den Umfragen noch bei über 20 Prozent lagen, waren wir ziemlich nah am tatsächlichen Endergebnis. Für die SPD prognostizierten wir 19,7 Prozent, damals lag die Partei noch bei 15,9 Prozent. Damit haben wir zumindest teilweise deren Aufwärtstrend antizipiert. Aber, so ehrlich muss man sein, bei der Union lagen wir ziemlich daneben: Ihr Wahlergebnis von 24,1 Prozent ist weit entfernt von den von uns vorhergesagten 29,9 Prozent.

Auch wenn das Modell nicht ganz richtig liegt, bietet es aus meiner Sicht wichtige Lehren für die Parteien: Die CDU muss sich eingestehen, dass sie ihr elektorales Potential, also ihr Wahl-Protential, weit verfehlt hat. Demgegenüber darf sich die SPD zu Gute halten, auch dank ihrer Kampagne ihr langfristiges Wählerinnen- und Wählerpotential übertroffen zu haben. Und die Grünen sollten nach der nun dritten enttäuschenden Wahl nach 2013 und 2017, zumindest relativ zu Umfrageergebnissen noch Wochen und Monate vor der Wahl, langsam realisieren, dass die Sonntagsfrage aktuelle Stimmungen, aber kein reales elektorales Potential abbildet.

Wie stark haben nach Ihrer Ansicht die Kandidatinnen beziehungsweise Kandidaten den Wählerinnen- und Wählerwillen beeinflusst?

Kandidatinnen und Kandidaten sind und werden wichtiger. Deutschland folgt da einem Trend, der in anderen Ländern teils schon deutlich weiter vorangeschritten ist. Für die SPD und Union scheinen die Kandidaten, glaubt man den jüngsten Umfragen, eine wichtige Rolle für die Wahl für beziehungsweise auch gegen die Partei gewesen zu sein. Bei den anderen Parteien ist das deutlich weniger der Fall, weshalb ich mir auch mit einem Kanzlerkandidaten Habeck kein deutlich anderes Ergebnis erwartet hätte.

Wer bei Twitter unterwegs ist, dürfte festgestellt haben, dass die Bundestagswahl und insbesondere das Verhalten der Kandidatinnen und Kandidaten nahezu Dauerthema war, vor allem vermeintliche Verfehlungen der Kandidatinnen und Kandidaten. Welchen Einfluss hatte Ihrer Ansicht nach Twitter bzw. hatten Social Media auf den Wahlkampf und was heißt das für künftige Wahlkämpfe?

Die sozialen Medien werden immer heterogener: Junge Menschen sind nicht mehr auf Facebook, sondern auf Instagram und anderen Plattformen zu finden. Für die ältere Bevölkerung ist Facebook aber ein wichtiges Medium, mit dem die Parteien sie in der Breite erreichen können. Twitter entfaltet seine Wirkung aus meiner Sicht vor allem als Medium für eine interessierte Fachöffentlichkeit aus Politikerinnen, Politikern, Politikpraktikerinnen, -praktikern sowie für Journalistinnen, Journalisten und für Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftler. Soziale Medien gewinnen so auf zwei Arten Bedeutung für Wahlkämpfe: Einerseits sind sie Vehikel für die Botschaften der Parteien, andererseits beeinflussen insbesondere die Diskurse auf Twitter zunehmend die Tonalität der Berichterstattung.

Die FDP konnte vor allem bei jungen Wählerinnen und Wählern punkten. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg, insbesondere vor dem Hintergrund großer Umweltbewegungen wie Fridays For Future, die ja vor allem junge Menschen mit grünen Themen aktiviert und mobilisiert hat?

Bei der großen Aufmerksamkeit für das Thema Klimawandel, was ganz besonders junge Menschen, zum Beispiel in der Form von #FridaysForFuture, umtreibt, ist vielleicht etwas untergegangen, dass es natürlich noch andere Themen gibt, die junge Menschen bewegen. Junge Menschen waren in der Corona-Pandemie in besonderem Maße von den Einschränkungen betroffen. Insbesondere Schülerinnen, Schüler und Studierende litten darunter, dass die Digitalisierung der Schulen und der Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland jahrelang verschleppt wurden. Das mag die FDP, die in ihrer Kampagne auch Akzente auf die Themen Bildung und Digitalisierung legt, attraktiv für junge Menschen gemacht haben.

Abgesehen davon gilt, dass jüngere Generationen und insbesondere Erstwählerinnen und -wähler stärker dazu neigen, Parteien jenseits der – vielleicht inzwischen ehemaligen – Volksparteien zu wählen, sodass es nicht überraschend ist, dass SPD oder CDU nicht unter den stärksten Parteien in dieser Altersgruppe sind. Das hat es auch schon bei früheren Wahlen insbesondere in den Ländern gegeben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Multimedia

Im wissenschaftlichen Podcast "TUCscicast" der TU Chemnitz spricht Politikwissenschaftler Arndt Leininger unter anderem über politische Auswirkungen von Corona - auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2021. Der Podcast mit dem Titel "Wahlen und Demokratie in Zeiten der Pandemie" ist online im Web der TU Chemnitz verfügbar und überall dort, wo es Podcasts gibt. 

Matthias Fejes
27.09.2021

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