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Ergebnisse und Fallstricke der wissenschaftlichen Forschung zu PEGIDA

Auf einer Podiumsdiskussion an der TU Chemnitz wurden zentrale Ergebnisse verschiedener Studien zu PEGIDA präsentiert und Probleme bei der wissenschaftlichen Erforschung des neuen Populismus eruiert

Am 28. Januar 2016 lud die Professur Politische Theorie und Ideengeschichte der TU Chemnitz acht Forschende zu PEGIDA und zum rechten Populismus zur Diskussion. Der Moderator PD Dr. Tom Thieme gab die Leitfragen vor: Wie lassen sich PEGIDA und der neue Populismus wissenschaftlich untersuchen? Mit welchen Herausforderungen werden Forscher dabei konfrontiert? Welche Aussagen zur soziodemographischen Zusammensetzung von PEGIDA sowie zur politischen Einstellung der Demonstranten sind vor diesem Hintergrund möglich? Und nicht zuletzt: Wie belastbar sind diese Ergebnisse?

Die Diskutanten ? Nico Dietrich (Friedrich-Schiller-Universität Jena), Christian Eichardt (TU Dresden), Dr. Lars Geiges (Göttinger Institut für Demokratieforschung), Michael Hilbert (TU Dresden), Dr. Piotr Kocyba (TU Chemnitz), Dr. Steven Schäller (TU Dresden) sowie Dr. Anna-Maria Schielicke (TU Dresden) – erörterten zunächst Herausforderungen bei der Datenerhebung: Von der Art der Befragung (Face-to-Face Interviews, Fragebögen, Online-Umfragen, Gruppendiskussionen oder eine Kombination mehrerer Methoden) bis zur Wahl geeigneter Items spannte sich die erste Debatte. Ganz praktische Problemen kamen zur Sprache: eine teils geringe Auskunftsbereitschaft der Demonstranten, verbale sowie körperliche Angriffe auf die Forscherteams, Einflüsse durch Dritte, Effekte sozialer Erwünschtheit oder niedrige Ausschöpfungsquoten. Ein Bündel von Faktoren führte zu Verzerrungen in den Daten. Repräsentativität kann jedenfalls keine der Studien reklamieren, daraus machten die Diskutanten keinen Hehl.

Aussagen über den „Durchschnitts-Pegidisten“ wurden also nur unter Vorbehalt getroffen, auch wenn mehrere Studien ein sehr ähnliches soziodemographisches Bild der Demonstranten zeichnen. Demnach ist „der typische PEGIDA-Demonstrant“ besser gebildet und besser verdienend als der bundesdurchschnittliche Bürger. Piotr Kocyba wies darauf hin, dass zivilgesellschaftliches Engagement stets von besser Gebildeten getragen werde. Insoweit seien die Kundgebungsteilnehmer typische Demonstranten, aber keine „Normalbürger“. Auch Michael Hilbert konnte sozioökonomisch keine Unterschiede zu anderen Protesten wie etwa um „Stuttgart 21“ ausmachen, wohl aber hinsichtlich der politischen Einstellungen. Er verortete die PEGIDA-Demonstranten ebenso wie Kocyba insgesamt weiter rechts im politischen Spektrum.

Warum findet PEGIDA in Sachsen, insbesondere Dresden, einen solchen Zulauf? Steven Schäller verwies auf den stärker ausgeprägten Patriotismus, Nationalismus und Chauvinismus in Ostdeutschland. Aufgrund der spezifischen ostdeutschen bzw. sächsischen Identität und Mentalität könnten ethnozentristische Einstellungen eher politisch aktiviert werden. Schließlich hob Lars Geiges die imposante Kulisse Dresdens hervor, die dem Protest eine Bühne verschaffe und wirkmächtige Bilder produziere.

PEGIDA-Demonstranten befürworten die eher abstrakt gehaltene Idee der Demokratie, kritisieren aber die tatsächliche Umsetzung, darin waren sich die Diskutanten einig. Anna-Maria Schielicke betonte jedoch, dass Politikverdrossenheit nicht der einzige Faktor ist, der Menschen zu PEGIDA bewegt. Es müssten Nationalismus und Xenophobie hinzutreten. Für Schäller könne PEGIDA indes mehrheitlich nicht als islamfeindliche Bewegung gelten, auch nicht als eine mehrheitlich rechtsextremistische Bewegung.

Abschließend fragte Tom Thieme nach dem Umgang mit der Bewegung – Ausgrenzen oder Einbinden? Schäller verwies auf das Potenzial zur Aktivierung bisher unpolitischer Menschen. Positiv gedeutet könne PEGIDA als Form einer konfliktiven Annäherung an das politische System verstanden werden. Die Frage, ob die Bewegung als „Frischzellenkur der Demokratie“ (Hans Vorländer) oder als Gefahr für die Demokratie wirke, ließe sich jedenfalls noch nicht beantworten. Er plädierte für Gespräche mit dialogbereiten Demonstranten. Auch Christian Eichardt empfahl, die Kommunikationskanäle aufrechtzuerhalten. Geiges sprach sich für eine Differenzierung zwischen führenden Agitatoren und Demonstranten aus. Denn trotz aller Ressentiments seien Populismen immer auch ein Seismograph der Gesellschaft.

Der Lokalradiosender Radio T (Chemnitz UKW 102.70 MHz, www.radiot.de) sendet am Sonntag, dem 7. Februar 2016, um 20 Uhr einen Beitrag zur Podiumsdiskussion. Die Professur Politische Theorie und Ideengeschichte dankt dem Verbund Lehrpraxis im Transfer für die finanzielle Unterstützung.

(Autor: Christoph Adler)

Katharina Thehos
04.02.2016

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