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Nach dem Wandel ist vor dem Wandel?

Nordkorea nach dem Tod Kim Jong-Ils: Gastdozent Prof. Dr. Byeong-Seog Park aus Südkorea stellt sich den Fragen von Michael Giesen und Jakob Kullik, zwei Chemnitzer Studierenden der Politikwissenschaft

  • Prof. Dr. Byeong-Seog Park aus Südkorea ist derzeit an der TU Chemnitz Gastdozent an der Professur für Internationale Politik. Foto: privat

Der Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-Il im Dezember letzten Jahres versetzte nicht nur eine riesige Menschenmasse in Pjöngjang in Trauer, sondern auch die südkoreanischen Streitkräfte in Alarmbereitschaft. Und noch immer ist nicht abzusehen, ob der Wechsel zu Kim Jong-Un an der Spitze des kommunistischen Regimes zu einem Konflikt oder zu einem Wandel in dieser Region führen kann. Michael Giesen und Jakob Kullik, zwei Studenten der Politikwissenschaft an der Technischen Universität Chemnitz, haben für "Uni aktuell" den südkoreanischen Gastdozenten Prof. Dr. Byeong-Seog Park an der Professur für Internationale Politik von Prof. Dr. Beate Neuss zur politischen Bilanz Kim Jong-Ils und zu einem möglichen "Nordkoreanischen Frühling" befragt.

Herr Professor Park, am 17. Dezember 2011 wurde die Nachricht vom Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-Il bekannt. Kurz darauf wurde ein pompöser Trauergeleitzug zu Ehren des Staatenlenkers zelebriert. Wie glaubwürdig ist die Trauer im Norden?

Wie schon durch die Medien bekannt, ist das Ganze absurd, inszeniert und zwangsläufig mobilisiert. Nordkoreanische Flüchtlinge berichteten, dass bei einer Nichtteilnahme das Arbeitslager drohe. Aber trotzdem ist durch die alltägliche Gewöhnung an Kim Jong-Il als absolute Figur nach seinem Tod eine bestimmte Leere und Trauer im Volk entstanden, die auch in gewisser Weise als realer Verlust empfunden wird. Das kommt auch aus kulturellen und religiösen Gewohnheiten, in der eine Dynastie gesehen wird. In Nordkorea gab es aufgrund des absolutistischen Erbes und der kommunistischen Diktatur nie eine Chance, dass sich Emanzipation oder westliche Denkweisen etablieren konnten.

Nach 17 Jahren Herrschaft Kim Jong-Ils: Wie schätzen Sie die politische Bilanz und die Regimestabilität Nordkoreas ein?

Normativ im Sinne der allgemeingültigen menschlichen Sitten ist das Regime völlig gescheitert, weil das Volk wirtschaftlich total vernachlässigt wurde. Es gab eine Hungersnot, an der vor einigen Jahren ungefähr drei Millionen Menschen gestorben sind. Auch sind die Menschenrechtsverletzungen offenbar. Das Atomwaffenprogramm sowie illegaler Waffenhandel gefährden zudem nicht nur die Region, sondern stellen auch eine Gefahr für den Weltfrieden dar. Aber im praktischen eigensprachlichen Sinne der Kim-Dynastie ist es ein erfolgreiches Regime. Die Vererbung der Macht ist schon gelungen. Zwar gibt es noch einige Variablen und instabile Faktoren, aber bisher hat es der junge Nachfolger, Kim Jong-Un, gut geschafft, sein Machtgefüge auf Basis der Familie zu konsolidieren. Die momentane Außenbedingung wirkt auch ungewollterweise nicht gegen ihn, weil der rasche Verfall Nordkoreas mit Blick auf die schwer tragbaren Nachwirkungen weder von den Weltmächten noch von den Nachbarländern erwünscht ist.

Welche Machtbasis hat sein Sohn und Nachfolger Kim Jong-Un im Regime? Welchem "Flügel" ist er zuzuordnen?

Westliche Medien berichten zwar, dass es innerhalb der Machteliten Flügel gäbe, aber in der Tat gibt es keine. In der Mitte von allem steht Kim Jong-Un und darum die Kim-Familie. Es ist eine Familiendynastie, in der beispielsweise Kim Jong-Uns Tante, Kim Kyung-Hui und ihr Ehemann, Jang Song Thaek die obersten politischen und militärischen Ausschüsse besetzt haben.

Die Choreografie ist ein bewährtes Mittel der Machtdemonstration. Welchen Eindruck macht es auf die hungernde nordkoreanische Bevölkerung, wenn der etwas pausbackige Kim Jong-Un absolute Gefolgschaft und Opferbereitschaft einfordert?

Wie bereits gesagt, haben nordkoreanische Flüchtlinge darauf hingewiesen, was passiert, wenn die vom Regime eingeforderte Gefolgschaft verweigert wird. Es gibt beides: eine unterdrückte Opferbereitschaft und eine innere kulturelle und religiöse Bereitschaft der Bevölkerung, in der es als nicht sittlich erachtet wird, dem Staat den Gehorsam zu verweigern. Beide zusammen tragen das Regime. Kim Il-Sung ist in der nordkoreanischen Gesellschaft immer noch wie eine Art Gott. Es ist wie ein religiöses Moment.

Die Ereignisse des Jahres 2011 in der arabischen Welt haben viele bis dahin als stabil geglaubte autokratische Regime ins Wanken oder gar zum Zusammenbruch gebracht. Wie wahrscheinlich ist ein "Nordkoreanischer Frühling"?

In diesem Moment ist das kaum denkbar. Aus drei Aspekten ist es zurzeit unmöglich: erstens aufgrund der brutalen Unterdrückung. Wenn irgendwo etwas passiert, dann wird mit Panzern einfach alles niedergedrückt, wie es aus einigen vergangenen Fällen bekannt ist. Zweitens ist die Bevölkerung aus kultureller oder religiöser Sicht schon sehr an das Regime gewöhnt. Und drittens hängt es auch vom Verhalten Chinas ab, das das nordkoreanische Regime auch von innen her schützt.

Wie hoch schätzen Sie die Chance für einen Militärputsch?

Die Machtbasis des Regimes basiert auf dem Machtgefüge der Familie, deswegen ist ein Militärputsch für die meisten koreanischen Experten kaum zu denken.

Wichtig für die Entwicklung Nordkoreas ist das internationale Umfeld. In den entscheidenden Staaten stehen in diesem Jahr wichtige Veränderungen an: Parlamentswahlen im Nachbarland Südkorea, Wechsel der Staats- und Parteiführung in China und Präsidentschaftswahlen in den USA und Russland. Außerdem wird der 100. Geburtstag des verstorbenen Staatsgründers und "ewigen Präsidenten" Kim Il-Sung gefeiert. Ergeben sich daraus eher Impulse für einen Wandel oder eine Verfestigung des Regimes?

Ich glaube eher irgendeine Art von Wandel. Besonders für China, wo im Oktober dieses Jahres Xi Jinping der neue Parteisekretär werden wird. Er ist ein guter Kenner von Nordkorea und interessiert sich sehr für einen Reformkurs des Landes. Er hat selber einen gewissen empfehlenden Druck auf die nordkoreanische Führung ausgeübt, den Reformkurs zu akzeptieren und durchzusetzen, aber Kim Jong-Il hat das immer verweigert. Für die USA ist keine Veränderung in ihrer Nordkoreapolitik zu erwarten, solange das Land nicht auf sein Atomwaffenprogramm verzichtet. Putins Russland ist sehr an wirtschaftlicher Zusammenarbeit, besonders im Gasexport nach Südkorea und dem Ausbau des Schienennetzes, interessiert. Viel eher hängt, denke ich, der Wandel von der südkoreanischen Regierung ab. Wenn eine linksorientierte progressive Regierung im Dezember dieses Jahres gewählt wird, ist zu erwarten, dass die politischen Kontakte zu Nordkorea und der Versuch zur Zusammenarbeit verstärkt werden. Generell sehe ich jedoch keine ernsthaften Änderungen in Nordkorea in absehbarer Zeit, da Kim Jong-Un jetzt erst einmal seine eigene Machtbasis innerhalb des Systems konsolidieren muss.

Nordkoreas Überleben hängt maßgeblich von seinen großen mächtigen Nachbarn ab, allen voran China. Wann glauben Sie, macht es für China keinen Sinn mehr, seinen Vasallen-Staat zu subventionieren?

Ich würde Nordkorea nicht als Vasallen-Staat von China bezeichnen. Es sind zwar außenpolitische Verbündete, aber innenpolitisch hat China keinen großen Einfluss. Forderungen der Volksrepublik nach innenpolitischen Veränderungen zum Beispiel, würde Nordkorea kaum akzeptieren. Politikwissenschaftlich nennt man das eine "non-intervention asymmetric alliance". Das heißt, China braucht Nordkorea für seine eigenen sicherheits- und verteidigungspolitischen Interessen als Pufferzone insbesondere gegen die USA, von der sich China geostrategisch von Afghanistan über Südostasien bis nach Südkorea eingekreist fühlt. Im Falle eines Volksaufstandes muss China vielleicht auch auf Nordkorea verzichten. Also könnte China Kims Regime zwar von Außen her schützen, aber von Innen her nicht so einfach. Wir haben gerade den Fall Libyen gesehen, wo Gadaffis Regime durch den strategische Verzicht auf das Atomprogramm zwar von außen her gesichert wurde, aber nicht vor dem Aufstand des Volkes im Inneren.

Im Falle einer Öffnung bieten sich verschiedene Transformationsmodelle an: eine radikale Schock-Strategie wie im Falle des post-sowjetischen Russlands, eine schrittweise Perestrojka mit anschließender Treuhandverwaltung wie in der ehemaligen DDR oder der chinesische Weg aus autokratischer Staatslenkung und marktwirtschaftlicher Öffnung. Welches Modell erscheint aus Ihrer Sicht für die nordkoreanischen Ausgangsbedingungen am geeignetsten?

Ideal für die südkoreanische Seite ist ein "soft landing", also eine "weiche Landung". Das heißt realistisch: der chinesische Weg oder mindestens wie im Falle der DDR. Eine "hard landing" hingegen würde Südkorea wirtschaftlich und politisch in eine unerträgliche Lage versetzen. Und international gesehen wäre diese Variante auch nicht so glücklich. Der plötzliche Zusammenbruch Nordkoreas könnte die Lage auf der koreanischen Halbinsel zu einer gefährlichen Zuspitzung und zu einer Konkurrenz der Weltmächte um die Hegemonialmacht in der Region führen. Das könnte im schlimmsten Fall einen militärischen Zusammenstoß zwischen China und den USA bedeuten. Deswegen muss eine Nordkoreapolitik sehr vernünftig angegangen werden.

Die nordkoreanische Bevölkerung lebte - abgesehen von der sowjetischen - am längsten unter einer totalitären Diktatur. Sind die mentalen Barrieren in den Köpfen der Menschen nicht schon zu groß, um überhaupt einen Wandel oder gar eine Wiedervereinigung zu ermöglichen?

Ich denke die Barrieren sind in der Tat nicht so groß. Gerade nach dem Verfall der Sowjetunion haben die Botschaften europäischer Länder, die in Seoul und auch in Pjöngjang tätig waren, immer gesagt: Die Mentalitäten in beiden Koreas sind gleich. Beide sind hastig, temperamentvoll, launisch und sehr fleißig. Denn im Grunde genommen haben sich die Mentalitäten meistens an die institutionellen Strukturen des Kommunismus - und im Süden natürlich auch an die des Kapitalismus - angepasst. Der Wandel ist ein Lernprozess und dazu brauchen wir viel mühsame Aufklärungsarbeit und das kostet Zeit. Dafür könnten als ersten Schritt Deutschland und die westeuropäischen Länder den kulturellen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Austausch fördern oder zumindest in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit aktiv werden, um einen ständigen Kontakt zu halten. Wenn ich mir aber Deutschland und Korea anschaue, sehe ich das gleiche Problem: die Vorurteile. Kontakt aufzunehmen und zusammen zu leben, ist nicht so problematisch - nur die Vorurteile übereinander sind das Problem.

Taugt der historische Vergleich zwischen dem geteilten Deutschland und dem geteilten Korea heute überhaupt noch?

Deutschland war und ist immer ein lebendiges Vorbild für Korea. Nicht nur zu Zeiten des Kalten Krieges, sondern auch nach der Überwindung der Teilung. Die südkoreanische Regierung hat immer versucht, aus dem deutschen Fall etwas zu lernen oder nachzuahmen. Willy Brandts Ostpolitik ist zum Beispiel von Kim Dae-Jung nachgeahmt worden. Aber natürlich gibt es große Unterschiede zwischen beiden Fällen. Das wirtschaftliche Verhältnis zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland war ein ganz anderes als das Verhältnis zwischen Süd- und Nordkorea. Und das Verhältnis der Bevölkerungszahlen war in Deutschland vier zu eins, bei uns in Südkorea aber ist es zwei zu eins. Zwei Südkoreaner müssten einen Nordkoreaner nach der Wiedervereinigung unterstützen - das ist ein großer Unterschied. Und die Nordkoreaner haben eben sehr lange in einer geschlossenen Gesellschaft gelebt.

Der berühmte Philosoph Karl Popper meinte einst, dass alle geschlossenen Systeme früher oder später zum Untergang verdammt seien. Ihre Prognose: Wann fällt Nordkorea dem Druck der globalen Kräfte des Wandels zum Opfer?

Für eine Öffnung oder Änderung Nordkoreas ist es wichtig, dass die Weltgemeinschaft, allen voran die USA, nicht direkt Nordkorea unter Druck setzt, sondern China. Menschenrechte sind hier ein gutes Thema. Wenn es in China zu einer Änderung kommt, wird das auch positive Ausstrahlungseffekte auf Nordkorea haben - das wird entscheidend sein. Zeitlich tippe ich auf einen kleinschrittigen Wandel innerhalb der nächsten zehn Jahre.

Herr Professor Park, vielen Dank für das Interview.

Mario Steinebach
05.02.2012

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