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A wie „App erklärt“, Z wie „Zauberuhr“

Die Nachwuchsforschergruppe „Miteinander“ lädt noch bis 30. Juni Bürger in die Rathaus-Passage ein - In ihren Workshops und Vorträgen erfuhren die Wissenschaftler zum Beispiel, was Senioren bewegt

Auf dem ersten Blick hat der kleine „Miteinander“-Laden in der Chemnitzer Innenstadt einen Hauch von einem Startup-Unternehmen, oder was man sich darunter vorstellt. Junge Männer arbeiten an ihren Laptops, die sie auf dem Schoß aufgeklappt haben, alle sind per Du. Das Ladengeschäft ist schlicht ausgestattet, aber nicht ungemütlich. Das Schaufenster lädt die Blicke der Passanten ein. Mitten im Raum an einem großem Tisch sitzt aber kein neuer Startup-Gründer, sondern TU-Wissenschaftler Dr. Albrecht Kurze. Mit zwei Senioren diskutiert er während eines Workshops mögliche technische Innovationen für den alltäglichen Gebrauch: Was ist nützlich, was sind die Nachteile?

„In den Gruppengesprächen versuchen wir in das Thema einzuführen. Mit einem Video stellen wir mehrere Produkte vor, über die wir dann gemeinsam kritisch, aber in entspannter Atmosphäre diskutieren“, so der promovierte Ingenieur Albrecht Kurze. Den Mitarbeitern der Forschungsgruppe ist es wichtig, die Lebenswelten von Senioren zu erfassen. „Oft ist von `den Senioren´ die Rede, das ist aber zu einfach gedacht. Es gibt keine homogene Gruppe Älterer, die zum Beispiel sagt, sie sei für moderne Geräte zu alt“, berichtet Techniker Sören Totzauer.

Schon in der Sprache zeigen sich Unterschiede in der Wahrnehmung von Jung und Alt

Der „Miteinander“-Forscher möchten eine Brücke bauen und Hemmschwellen beseitigen. „Uns besuchen Senioren, die dankbar für unsere Hilfe sind. Einige von ihnen berichten uns von Trickbetrügern, denen sie aufgesessen sind, weil ihr Unwissen ausgenutzt wurde“, sagt Projektleiter Dr. Arne Berger. An der Eingangstür lädt ein Schild die Besucher ein: „Problem mit Handy oder Smartphone? Forscher der TU Chemnitz helfen! Kommen Sie herein“. „Das ist auch ein Test von uns, wie man die Zielgruppe am besten anspricht. Es kommen dadurch viel mehr Hilfesuchende als gedacht“, erzählt Berger. Viele Senioren lassen sich vom „Miteinander“-Team Funktionen wie das Nachrichtenprogramm „WhatsApp“ auf dem Smartphone erklären.

Bereits die Sprache kann eine Hürde sein, wie die Forscher feststellten. Denn oft seien es schon die Begriffe, unter denen sich ältere Menschen nichts vorstellen können. So prangte über dem Ladengeschäft in der Webergasse 1 erst das Logo mit der Aufschrift „Living Lab“ („lebendiges Labor“). „Wir haben das Schild nach einigen Tagen abgehangen und uns ‚Stadtlabor‘ genannt, worauf viel mehr Interessenten kamen“, schmunzelt Projektleiter Arne Berger. Auch bei Produktbezeichnungen zeigen sich Unterschiede in der Vorstellungswelten von Alt und Jung: Bei einem Workshop mit digitalen Armbändern überraschten die Senioren das Projektteam mit einem ganz eigenen Namensvorschlag für die smarten Bänder – „Zauberuhren“.

Produkte gemeinsam entwickeln

Trotz allem Erstaunen über die neuen technischen Möglichkeiten, bleiben viele ältere Menschen noch skeptisch gegenüber der digitalen Kommunikation. Es geht um sensible Daten und die Frage, wo und wie diese eigentlich verarbeitet werden. Warum nicht Technologie entwickeln, die nicht alle Daten auf einem fremden Server in einem fremden Land speichert? „Wir befinden uns in einem Prozess, in welchem wir verstehen wollen, was die Menschen haben wollen und auch brauchen“, sagt Arne Berger, „Produkte sollten nicht erst entwickelt und dann in ihrer Anwendung erklärt werden, sondern direkt auf die Bedürfnisse der Zielgruppen abgestimmt werden“. Partizipatives Design ist das Stichwort unter dem diese Art von Forschung bekannt ist.

„Ich habe bereits mein gesamtes Berufsleben mit Computern zu tun gehabt. Zum Workshop bin ich gekommen, um mehr darüber zu erfahren, wie vernetzt Mensch und Technik mittlerweile sind“, erzählt Steffen Schönfeld nach dem Interview mit Dr. Albrecht Kurze. „Oft wird ein Bedarf an Produkten künstlich erzeugt. Aber es gibt auch sehr sinnvolle Hilfsprodukte, zum Beispiel für den Notruf“, findet der 65-jährige Rentner. Auch Skype, E-Mail und Filme auf dem Notebook schauen seien sehr nützlich für den Alltag. Magdalena Böttger fing nicht nur wegen der Vorteile neuer Medien an, sich mit Technik und Software intensiver auseinander zu setzen. „Mit Beginn meiner Rente habe ich mich in Computerkurse eingeschrieben, um auch im Kopf weiterhin fit zu bleiben“, erzählt die 65-Jährige. Dass die Technik nicht immer selbsterklärend ist, sind sich die beiden Teilnehmer einig. „Wir sind eine Generation, die nicht mit Computern aufgewachsen ist. Die heutige Jugend kriegt das bereits mit der Muttermilch mit.“

Das Ladengeschäft „Miteinander“ bietet noch Vorträge und Workshops

Das „Living Lab 2016“ war der erste erfolgreiche Versuch, im Herzen der Stadt mit Bürgern intensiv ins Gespräch zu kommen. Im Projekt „Miteinander“ arbeiten seit eineinhalb Jahren sechs wissenschaftliche und studentische Hilfskräfte zusammen. Ihre Arbeit fördert auch das Bundesbildungsministerium. „Wir werden in nächster Zeit unsere bisherigen Forschungsergebnisse auswerten und publizieren. Wir bleiben aber mit den Menschen weiterhin im Kontakt. So hoffen wir darauf, noch einen weiteren Raum in der Universität zu erhalten, um die Bürger in unser Labor einladen zu können, auch ohne Stadtladen“, sagt Projektleiter Arne Berger. Das Ladengeschäft „Miteinander“ in der Webergasse 1 in Chemnitz habe nämlich nur noch bis Ende Juni geöffnet.

Das gesamte Projekt läuft noch bis 2019. In der Zeit sollen noch weitere interaktive Labore folgen. Bis Ende des Monats bieten die Forscher noch Workshops und Veranstaltungen in der Webergasse 1 an. Unter anderem beantwortet Dr. Hanno Sauer von der Uni Duisburg-Essen am Dienstag (28. Juni 2016) die Frage „Welche Moral steckt in Technik?“. Am folgenden Tag bietet Dr. Sauer vormittags eine „philosophische Technik-Sprechstunde“ an.

Weitere Informationen und Veranstaltungshinweise: www.nebeneinander-miteinander.de

(Autor: Timon Ostermeier)

Mario Steinebach
24.06.2016

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