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Ein Fall für die Sprachdetektivin

Als "Sherlock Holmes der Sprachwissenschaft" ist Dr. Ruth Geier den Autoren anonymer Schreiben auf der Spur

  • Dr. Ruth Geier arbeitete bis vor wenigen Wochen an der Professur Medienkommunikation der TU Chemnitz und betreute die ehemalige Sprachberatung. Foto: Mario Steinebach

Wenn für Dr. Ruth Geier das Telefon läutet, kann es schon mal vorkommen, dass eine Firma, eine Detektei oder sogar das Bundesverwaltungsgericht zum Hörer gegriffen haben. Die Institutionen betrauen Geier, die einst das Sprachberatungstelefon der TU Chemnitz führte, mit einem ganz speziellen Auftrag: Der Zeuge, den sie auf Weisung "befragen" soll, ist nicht von menschlicher Natur und dennoch muss sie es schaffen, ihm essenzielle Antworten zu entlocken. Antworten, die den Verlauf eines Gerichtsverfahrens entscheidend beeinflussen können.

Denn Dr. Ruth Geier analysiert anonyme Texte zur Autorschaftsbestimmung. Durch Literatur, Film und Fernsehen haben sich bestimmte Erwartungen über das Erscheinungsbild krimineller Schreiben vielfach in unseren Köpfen manifestiert. Doch handschriftliche Briefe oder aus Zeitungsausschnitten zusammengeklebte Schreiben gehören heute überwiegend der Vergangenheit an. Immerhin haben auch die Straftäter unserer Zeit Zugriff zu neuen Medien. "Was aber bleibt, ist die Sprache", so Geier in ihrem Aufsatz, der Anfang Juni innerhalb der Fachzeitschrift "der detektiv" unter dem Titel "Tatort Sprache" erscheint. Hierin thematisiert sie Aspekte, die innerhalb der forensischen Linguistik zur Ermittlung des Urhebers eine unabdingbare Rolle spielen. Zudem macht Geier im Zusammenhang mit ihrem Aufsatz eines deutlich klar: "Ein Laie könnte niemals die Arbeit eines qualifizierten Sprachwissenschaftlers übernehmen."

Unterschätzen sollte man die Arbeit nicht im Mindesten. Der Umfang aller Faktoren, die innerhalb eines Sachverständigengutachtens berücksichtigt werden müssen, ist enorm. "Laien würde vielleicht auffallen, wie oft ein bestimmtes Wort von einem anonymen Autor gebraucht wird oder welche Orthographiefehler auftreten, keinesfalls aber werden sie auf alle Ebenen der Sprache dringen", erklärt Geier und weist damit auch ambitionierte Hobby-Spürnasen in die Schranken.

Detektivische Vorarbeit

Bereits dieser Schritt ist für die eigentliche Untersuchung von entscheidender Bedeutung. So steht vor jeder Analyse die kritische Betrachtung des Textkorpus: Ist das sprachliche Vergleichsmaterial ausreichend und bildet damit eine repräsentative Menge? Eine Hand voll Seiten wäre noch nicht genügend. Sind die Texte zeitgleich verfasst? Denn nicht nur die Tatsache, dass Schreibstil und Ausdrucksweise eines Menschen sich in dessen Leben verändern, spielt hier eine Rolle. Auch das Thema "Sprachwandel" darf nicht außer Acht gelassen werden. Insbesondere der Einfluss neuer Kommunikationsformen wie Chat oder SMS ist an dieser Stelle nennenswert. Im heutigen Sprachgebrauch nehmen so Anglizismen eine besondere Position ein. Wichtig ist überdies auch die Frage nach den Textsorten. Die Sprache eines offiziellen Schreibens an den Arbeitgeber wird sich in jedem Fall von der einer privaten E-Mail an die engsten Freunde unterscheiden. Der Grad an Emotionalität differenziert hier stark.

Sprachliche Fingerabdrücke

Sind die ersten Voruntersuchungen geleistet, werfen Sprachwissenschaftler wie Dr. Ruth Geier einen Blick auf die Gliederung eines Textes. Dazu zählen äußerliche Aspekte wie die Absatzgliederung und innere Betrachtungspunkte wie Argumentationsstränge. Das Hauptaugenmerk der Analyse liegt jedoch auf der Untersuchung des Wortschatzes. Dieser kann je nach Bildungsstand, Beruf, Alter, regionaler und sozialer Herkunft variieren. Laut Geier muss berücksichtigt werden, dass "jede Zeit bestimmte Modewörter hat." Wörter also, die zu einem bestimmten Zeitpunkt häufig genutzt werden, wie gegenwärtig unter anderem "außen vor lassen" oder "Schrottimmobilie". Neben dem Wortschatz sind ebenso Faktoren wie Grammatik oder Satzkonstellationen noch wichtige Anhaltspunkte für die Ermittlung des Autors.

Interessant wird es für die Sprachwissenschaftlerin vornehmlich dann, wenn Täter versuchen, bewusst Fehler einzubauen. Manch einer verstelle sich im Text gar als Nicht-Muttersprachler. Wenn die verdeckte Identität jedoch "nicht durchgängig auf allen sprachlichen Ebenen" vorhanden sei, sind Geier zufolge Zweifel sofort angebracht. Mit dem Gebrauch von dialektalen Wörtern wie "dahoam" oder "Madl" könnte sich so jemand als Oberdeutscher ausgeben, "dass ein Oberdeutscher aber auch statt "er hat gestanden" "er ist gestanden" schreiben würde, wissen viele nicht." Und genau solche Details gelte es bei der Analyse zu beachten, so Geier. Fast unmöglich ist auch die perfekte Nachahmung eines fremden Sprachstils. Hier würde die Gesamtheit der individuellen Komponenten, die den sprachlichen Stil eines Menschen ausmachen, eine zu große Hürde darstellen. Man könnte Geiers Arbeit daher auch mit dem Sammeln "sprachlicher Fingerabdrücke" vergleichen. So hätte jemand bei einem ihrer Fälle permanent Semikola gesetzt. "Ich hatte dieses Zeichen bis dahin in meinem ganzen Leben noch nicht so oft gebraucht", erzählt Geier und fügt am Ende bei: "Entscheidend ist letztendlich die Kompetenz, den Individualstil eines Autors einschätzen zu können. Nur der Duden reicht dafür nicht aus."

Weitere Informationen erteilt Dr. Ruth Geier, E-Mail ruth.geier@phil.tu-chemnitz.de.

(Autorin: Laura Richter)

Mario Steinebach
04.06.2013

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