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Grenzen überschreiten

Die Fachtagung "Regionale Erinnerungsorte" der Professur für Europäische Regionalgeschichte verband vergangene Erinnerung mit Beiträgen zur gegenwärtigen Praxis professionellen Erinnerns

  • Zu den Referenten der Tagung zählte auch Historiker und Politiker Maik Reichel. Geleitet wurde die Veranstaltung von Prof. Dr. Milos Reznik, Inhaber der Professur für Europäische Regionalgeschichte (l.). Foto: Michael Hendel

Wie wurden regionale Erinnerungskulturen historisch geschaffen und wie wird regionale Erinnerung heutzutage produziert? Diesen Fragen widmete sich eine internationale Fachtagung mit Teilnehmern aus Polen, Tschechien, der Schweiz und Deutschland im thüringischen Greiz vom 11. bis 13. November 2011. Die Veranstaltung wurde von der Professur für Europäische Regionalgeschichte an der TU Chemnitz im Rahmen des Projektes "Grenzüberschreitungen - Neue Wege von Land zu Land" ausgerichtet und knüpfte methodisch an das mittlerweile gut erforschte Feld der nationalen Erinnerungsorte an. Im Vordergrund stand der Versuch, dieses Konzept für regionale Kontexte fruchtbar zu machen.

Als Erinnerungsorte werden in der Historiographie Kristallisationspunkte des kollektiven Gedächtnisses verstanden. Grundsätzlich sind Erinnerungsorte nicht notwendig materiell und geographisch bestimmbar. Auch Ereignisse, Personen oder abstrakte Phänomene können Anknüpfungspunkte eines gemeinsamen Bewusstseins darstellen. Wie die Tagung erwies, gibt es aber gerade auf der regionalen Ebene viele sehr konkrete Orte - Denkmäler, Schlachtfelder, Burgen aber auch Marktplätze und Straßenbauelemente -, an die spezifische kollektive Erinnerungen angelagert werden. Der Anspruch der Veranstaltung bestand darin, nicht lediglich das Konzept der Erinnerungsorte von der Nation auf die Region zu übertragen und womöglich in eine gegenseitige Konkurrenz zu setzen, sondern vielmehr die Wechselseitigkeit dieser Bezugsebenen zu erkunden.

Wie groß die Variation an Identifikationsebenen, deren Verschränkungen und historische Wandelbarkeit ist, demonstrierten die verschiedenen Beiträge anschaulich. Für das Gebiet der böhmischen Länder stand, unter anderem am Beispiel der Grenzregion Egerland/Chebsko, die komplexe Erinnerungssituation angesichts des deutsch-tschechischen Nationalismus im Fokus. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die Region Galizien, wo Beiträge zu Krakau/Kraków und Lemberg/Lwów/Lwiw die Vielfalt der Bezugssysteme von Städten in einem multiethnischen und zugleich imperialen Kontext verdeutlichten. Stark vertreten waren Erinnerungsorte, die auf den Dreißigjährigen Krieg Bezug nahmen; ob es sich dabei um die Schlacht bei Lützen, den Personenkult um den Schwedenkönig Gustav Adolf oder die Rolle des Oldenburger Grafen Anton Günther in der Kriegszeit handelte. Der Dreißigjährige Krieg kann geradezu als transregionale Erinnerungsfolie gesehen werden, was sicher auch an seiner große Teile Europas erfassenden Auswirkung liegt, die jeweils auf regionaler Ebene mit einem konkreten Ort oder Ereignis verbunden werden kann.

Die Tagung behandelte jedoch nicht allein die vergangene Erinnerung. Insbesondere die Kombination von Forschungserträgen der Geschichtswissenschaft mit Beiträgen zur gegenwärtigen Praxis professionellen Erinnerns zeichnete die Veranstaltung aus. So ließ sich nicht nur der sich wandelnde Umgang mit dem Erinnerungsort Lützen seit dem frühen 19. Jahrhundert bis heute nachverfolgen. Auch die derzeitigen Ausstellungsprojekte und die gerade begonnenen archäologischen Grabungen auf dem dortigen Schlachtfeld konnten vor diesem Hintergrund reflektiert werden. Vorgestellt wurden zudem zwei aktuelle Großausstellungen - die soeben zu Ende gegangene sächsische Landesausstellung zur Via Regia in Görlitz sowie eine geplante Dauerausstellung zur Geschichte der Deutschen in Böhmen in Ústí nad Labem.

Dem zentralen Anliegen des Rahmenprojektes - Grenzen zu überschreiten - wurde die Tagung somit in mehrfacher Hinsicht gerecht. Dazu zählt auch die interdisziplinäre Zusammensetzung der Tagungsbeiträger selbst sowie die zahlreich anwesenden nicht-wissenschaftlichen Besucher und die Teilnahme von Studierenden der TU Chemnitz im Rahmen eines Seminars an der Professur für Europäische Regionalgeschichte. Das Greizer Kolloquium soll auch im kommenden Jahr seine Fortsetzung finden. Geplant ist eine unmittelbar an die vergangene Tagung anknüpfende Veranstaltung zur touristischen Vermarktung von Geschichte in der Region sowie zu Migration im regionalgeschichtlichen Kontext. Das Projekt wird gefördert durch die Europäische Union im Rahmen des Ziel3/Cíl3-Programmes.

(Autor: Jos Stübner)

Katharina Thehos
15.11.2011

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