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Kleine Marken und die große Politik

Standortbestimmung auf gezacktem Papier: Politikwissenschaftler Sebastian Liebold von der TU Chemnitz erklärt, wie Briefmarken seit mehr als 60 Jahren die deutsche Geschichte abbilden

  • Ein Blick ins Sammelalbum: Sebastian Liebold hat sich die deutschen Briefmarken genauer angeschaut. Ein Exot unter den Marken ist der "Rote Adenauer" - links auf dem Bildschirm zu sehen. Er wurde noch vor dem Erscheinungstag eingestampft. Auch die Marke, auf die der Politikwissenschaftler zeigt, ist eine besondere: Sie wurde 1990 noch von der Post der DDR herausgegeben und zeigt anlässlich der Friedlichen Revolution die Nikolaikirche in Leipzig. Foto: Hendrik Schmidt
  • Freundschaft des Herzens und der Tat: Zum 25. Gründungsjubiläum der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft erschien eine Marke, auf der der Generalsekretär des Zentralkomitees der SED, Erich Honecker, gemeinsam mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew abgebildet ist - es ist die einzige Marke, auf der Honecker zu sehen ist. Foto: Hendrik Schmidt

"Die ersten Briefmarken der Bundesrepublik zeigen ein Richtfest. Sie erschienen am 7. September 1949 zur Eröffnung des Deutschen Bundestages", berichtet Sebastian Liebold und ergänzt: "Die Entstehung der DDR wurde zur selben Zeit in Sachen Briefmarken mit Porträts von Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann sowie mit Motiven zum 3. Volkskongress von 1949 flankiert." Der Politikwissenschaftler der Professur Politische Systeme, Politische Institutionen an der Technischen Universität Chemnitz ist mit einem Beitrag zum Thema "Symbole unserer Demokratie - 60 Jahre deutscher Geschichte auf Briefmarken" am Sammelband "Das vereinigte Deutschland" beteiligt. Der Band erscheint im Herbst 2011 bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Herausgeber ist Prof. Dr. Eckhard Jesse, Inhaber der Professur Politische Systeme, Politische Institutionen an der TU Chemnitz.

Was Liebold bei seinen Recherchen besonders aufgefallen ist: "Die Farben Schwarz-Rot-Gold sind inzwischen ebenso selbstverständlich wie bunte europäische Gemeinschaftsausgaben. Weltoffenheit fördert eine neue Art von Standortbestimmung, nicht nur auf gezacktem Papier." Dabei hatte es bis zum 3. Mai 1990 gedauert, bis anlässlich des Burschenschaftsjubiläums erstmals die Nationalflagge Hauptmotiv einer deutschen Briefmarke war.

Deutsche Einheit und Mauerfall - von schlicht bis schwungvoll

Eine Zäsur auch in Sachen Briefmarken brachten der Mauerfall und die Deutsche Wiedervereinigung mit sich - vor allem in der DDR kamen 1990 neue Motive auf den Markt, wenn auch mit dem ungebräuchlichen Wert von 35 Pfennig: "Am 28. Februar hieß es `Wir sind das Volk´, am 15. Mai `70. Geburtstag von Papst Johannes Paul II.´. Christliche Motive waren bis dato tabu gewesen. In der Bundesrepublik und in West-Berlin gab es hingegen zunächst kein philatelistisches Echo der Revolution und des Einigungsprozesses", weiß Liebold zu berichten. Nur ein einfacher Schriftzug zierte dann die Marke "Deutsche Einheit" vom 3. Oktober 1990. "Die Marken zum 9. November, dem ersten Jahrestag der Öffnung der Mauer, hatten dagegen Schwung. So zeigt sich schon damals im Bild, welcher Geist auch 20 Jahre später die Feierlichkeiten umwehte: Der 3. Oktober wurde 2010 als künstlich empfunden, des 9. Novembers hingegen wurde als Beginn des friedlichen Aufbruchs zur deutschen Einheit auch 2009 aus ganzem Herzen gedacht", so Liebold. In der DDR erschienen übrigens von 1949 bis 1990 genau 3.124 verschiedene Briefmarken. In der Bundesrepublik waren es im gleichen Zeitraum lediglich 1.366.

Präsidenten - Besonderheiten auf beiden Seiten der innerdeutschen Grenze

Werden normalerweise nur verstorbene Personen auf Briefmarken gezeigt, so gab es bei den Bundespräsidenten über einige Jahre hinweg eine ungeschriebene Ausnahmeregel. Theodor Heuss, der erste Bundespräsident, erhielt 1954 zu seiner Wiederwahl eine eigene Marke, Heinrich Lübke zehn Jahre später. Die 30-Pfennig-Marke mit Gustav Heinemann erschien sogar in einer Auflage von 2,4 Milliarden Stück. "Solche alltägliche politische Bildung findet im Zeitalter der elektronischen Post nicht mehr statt: Seit Walter Scheel haben die Bundespräsidenten ihr Abbildungsrecht nicht mehr wahrgenommen", berichtet Liebold. Inzwischen sind auch Bundespräsidenten erst nach ihrem Tod auf Briefmarken zu sehen - wie Johannes Rau auf einer Marke vom 2. März 2006. Die Ausnahmeregel kann heute nur noch der Papst in Anspruch nehmen: Papst Benedikt XVI. erschien im Jahr 2007 aus Anlass seines 80. Geburtstages auf einer Marke.

Auch in der DDR setzte die Postverwaltung die Staatsführung ins Bild: "Der erste und einzige DDR-Präsident Wilhelm Pieck gehörte nach 1950 zu den am häufigsten abgebildeten Politikern in ganz Europa. Nur drei Tage nach seinem Tod erschien am 10. September 1960 eine Marke. Im Jahr darauf folgte eine Ausgabe zu Piecks 85. Geburtstag. Nach 1970 endete die Abbildungspolitik allerdings jäh: Erich Honecker erschien bis 1989 nur auf der Marke aus Anlass des 25. Gründungsjubiläums der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft." Und dort musste er sich den Platz sogar teilen mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Leonid Breschnew.

Eingestampft - und heute heiß begehrt

Auch Briefmarken selbst können zum Politikum werden, wie Liebold berichtet: "Am 19. April 1968 sollte zum ersten Todestag Konrad Adenauers eine scharlachrote Marke mit dessen Konterfei erscheinen. Die Farbwahl führte zu einem mittleren politischen Beben, die Ausgabe wurde vor dem Ersttag gestoppt." Genau drei Monate später erschien dann eine bildgleiche orangefarbene Marke. "Rote Mustermarken waren jedoch längst im Umlauf. Der `Rote Adenauer´ ist heute von Sammlern sehr gesucht", ergänzt der Chemnitzer Politikwissenschaftler, der auch von einem philatelistischen Fehltritt im Osten Deutschlands weiß: "Eine Marke der Oberpostdirektion Dresden wurde noch am Ausgabetag, dem 23. Juni 1945, wieder zurückgezogen und für ungültig erklärt - wegen ihrer kyrillischen Inschrift `Potschta´."

Im 21. Jahrhundert wird Demokratie nicht nur abgebildet: "Statt der Ausgabehoheit betont der Bundesfinanzminister die Möglichkeit zur Mitgestaltung. 2007 gab es einen Fotowettbewerb für die Wertstufe 25 Cent - die Gartennelke setzte sich durch", sagt Liebold und zieht ein aktuelles Fazit seiner Forschung rund um die gezackten Marken: "Briefmarken zeigen in Krisenzeiten nicht den Kontrast gegenüber prosperierenden Zeiten - sie wollen vielmehr die Erinnerung an bessere Ereignisse in neue Initiativen verwandeln." Und: "Aktuelle politische Motive zeugen von einem pragmatischeren Umgang mit der Staatsordnung, den Akteuren und Entscheidungsprozessen. Bequem muss es sein, patriotisch darf es sein - mit deutscher Fahne."

Sebastian Liebold hat in seiner Dissertation das deutsche Frankreichbild und das französische Deutschlandbild von Publizisten der intellektuellen Kollaboration verglichen. Der Band erscheint Ende des Jahres bei Duncker & Humblot in der Reihe "Beiträge zur politischen Wissenschaft".

Weitere Informationen erteilt Sebastian Liebold, Telefon 0371 531-27720, E-Mail sebastian.liebold@phil.tu-chemnitz.de.

Katharina Thehos
12.09.2011

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