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Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Pressemitteilungen

Pressemitteilung vom 24.03.2000

Keine Angst vor der Narkose

Der interessante Vortrag

Keine Angst vor der Narkose Wie die moderne Medizin Operationen ohne Schmerz ermöglicht

Gott, was haben wir es heute gut, in den Zeiten von Narkose, Röntgenbild und Antibiotika. Vor noch nicht einmal 200 Jahren war das anders: Wer damals ernsthaft krank wurde, hatte wahrlich nichts zu lachen. Wenn operiert werden musste, hielten sechs oder sieben Leute den vor Schmerzen brüllenden Patienten fest, und dann griff der Wundarzt zu Messer oder Säge - oft unter auch hygienisch unbeschreiblichen Zuständen. Damit der Kranke diese Tortur überhaupt aushielt, wurde er meist vorher gut mit Schnaps abgefüllt. Sogar bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt wurden manche Kranke, und dann musste schnell, schnell, operiert werden, bevor der Siechende aus seiner Ohnmacht erwachte. Daneben benutzte man auch "ägyptisches Haschisch" als Schmerzmittel. Meist aber ging's ohne jegliche Betäubung zur Sache. Wie Patienten damals eine Operation empfanden wissen wir zum Beispiel aus einem Brief, den die englische Schriftstellerin Fanny Burney, verheiratete Madame d'Arblay, an ihre Schwester Esther schrieb. Im September 1811 wurde ihr in Paris die Brust amputiert: "Ich sah den blitzenden Stahl und schloss die Augen. Ich zitterte, rasend vor Angst. Dann fuhr das Messer mir tief in die Brust, durchschnitt Venen, Arterien, Fleisch und Nerven. .... Ich schrie während der ganzen Operation und wundere mich, dass ich es nicht noch heute in meinen Ohren höre. .... Und wieder Schnitte und da, oh Himmel, fühlte ich das Messer an meinem Brustbein schaben."

Dass heute bei einem medizinischen Eingriff niemand mehr so leiden muss, verdanken wir der Entdeckung der Narkose. Rund acht Millionen Narkosen werden jedes Jahr allein in Deutschland durchgeführt, davon über 20.000 in Chemnitz. Dennoch haben viele Menschen, die vor einer Operation stehen, mehr Angst vor der Narkose als vor unerwarteten Schwierigkeiten beim Eingriff selbst. Welche Fortschritte die Mediziner auf dem Gebiet der Betäubung in den letzten Jahren gemacht haben, darüber spricht der Chefarzt für Anästhesie und Intensivtherapie am Klinikum Chemnitz, Dr. med. Manfred Kögel, am Mittwoch, dem 29. März 2000, um 17.30 Uhr im Hörsaal 201 der Chemnitzer Uni, Straße der Nationen 62. Dr. Kögel kann auf 33 Jahre Berufserfahrung als Anästhesist (so das Fachwort für einen Narkosefacharzt) zurückblicken. Sein Vortrag trägt den Titel "Keine Angst vor der Narkose" und ist Teil der äußerst erfolgreichen Reihe "Medizin im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Gesellschaft", die die Uni seit dem Wintersemester 1997/98 gemeinsam mit dem Klinikum Chemnitz anbietet.

Die erste Narkose führte der amerikanische Zahnarzt William Morton am 30. September 1846 in seiner Praxis durch: Er betäubte einen Patienten mit Äther und zog ihm dann einen Backenzahn - ein Meilenstein in der Geschichte der Medizin. Zuvor hatte Morton an sich selbst Versuche mit äthergetränkten Tüchern vorgenommen. Auch schon vorher war die Wirkung von Äther bekannt. Man atmete aber nicht seine Dämpfe ein, sondern nahm ihn tropfenweise ein, etwa in den bekannten Hoffmannstropfen, einem Gemisch aus Äther und Alkohol. Von dem Chemiker Bouquet, der an Darmkrebs litt, ist sogar bekannt, dass er Äther gleich gläserweise trank und überdies noch 100 Gramm Opium am Tag zu sich nahm, um seine fürchterlichen Schmerzen zu bekämpfen. Auch Todesfälle durch Äther waren schon bekannt. So war etwa eine Dienstmagd gestorben, nachdem eine Flasche mit mehreren Liter Äther zerbrochen war.

Neu war die Verwendung zur Schmerzausschaltung aber bei Operationen. Schnell sprach sich das neue schmerzlose Verfahren herum, und schon zwei Wochen später, am 16. Oktober 1846, führte Morton seine Narkose am Massachusetts General Hospital in Boston öffentlich vor - vor mehr als 2000 geladenen Gästen. Ein anderer Arzt schnitt danach dem Patienten einen Tumor aus dem Unterkiefer.

Bereits Anfang 1847 wurden als weitere Narkosemittel das Chloroform und bald auch das Lachgas benutzt. Im gleichen Jahr erschien das Buch "Der Äther gegen den Schmerz" des seinerzeit weltbekannten Berliner Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach. Seine Klinik, die Charité, und die Uniklinik in Göttingen führten damals als erste in Deutschland schmerzlose Operationen durch. Allerdings passierte es in den Anfangsjahren nicht selten, dass Patienten aus der Narkose nicht mehr aufwachten oder schwere Schäden davontrugen. Wohl auch deshalb standen viele Ärzte dem neuen Betäubungsverfahren misstrauisch gegenüber. Das änderte sich erst, als 1853 die britische Königin Victoria ein Kind unter Chloroform gebar. Zudem wurden in den folgenden Jahren eine Reihe von Verbesserungen erfunden, mit denen sich die Narkose besser kontrollieren ließ. Doch selbst vor zwanzig Jahren starb noch einer von 2500 Operierten an der Narkose, meist durch Atemlähmung. Der Grund: Schmerz- und Atemzentrum liegen im Gehirn nebeneinander, Schmerzmittel hemmen deshalb auch die Atmung.

Doch diese Zeiten sind vorbei, seit die Narkoseverfahren immer weiter verbessert wurden: Schon vor fünfzehn Jahren gab es nur bei jedem zehntausendsten Patienten Komplikationen unter der Narkose, heute muss nur noch einer von einer Viertel Million Operierter mit einem Zwischenfall rechnen - überzogene Ängste vor einer Betäubung sind deshalb unbegründet. Diesen Fortschritt verdankt die Medizin vor allem neuen, nebenwirkungsarmen Medikamenten. Schon lange nämlich werden Vollnarkosen nicht mehr mit Äther eingeleitet. Stattdessen bekommt der Patient eine Spritze mit einem schnell wirkenden Einschlafmittel und kurz darauf mit einem weiteren Mittel, dass seine Muskeln erschlaffen lässt. Dann führen die Ärzte einen Schlauch in die Luftröhre ein, über den die eigentlichen Narkosegase geleitet werden. Manchmal kommen noch weitere Medikamente dazu, etwa zur Kreislaufstabilisierung.

Derartige Narkosezwischenfälle sind aber extrem selten. Dazu hat auch die erheblich verbesserte Ausbildung - sie dauert fünf Jahre - der Anästhesisten beigetragen. Es kommt auch nicht mehr vor, dass ein Anästhesist drei oder vier Operationen gleichzeitig betreuen muss. Zudem werden alle wichtigen Körperfunktionen wie Kreislauf, Blutdruck, Körpertemperatur und Narkosemittelkonzentration im Blut laufend sorgfältig überwacht, so dass der Arzt im Notfall sofort helfend eingreifen kann.