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Pressemitteilung vom 11.11.1998

"Zur Aufklärung der Freundin des X. wurde der Y. eingesetzt"

"Zur Aufklärung der Freundin des X. wurde der Y. eingesetzt"
Ein Chemnitzer Wissenschaftler untersucht die Sprache der Stasi

Auch Diktaturen haben es nicht einfach: Keiner mag sie, ob er nun in ihnen lebt und ihnen unterworfen ist, oder ob er sie von außen betrachtet. Nicht einmal die Nutznießer und die Mitläufer einer Diktatur bilden da eine Ausnahme. Wohl deshalb haben gerade Diktaturen den Drang, sich zu rechtfertigen, zu legitimieren.

Als ein Mittel dazu dient ihnen die Sprache. Diktaturen haben eine eigene Sprache - und diese Sprache ist anders. Sie verschleiert, sie verdeckt, sie verfälscht. Der 1989 verstorbene Politik-wissenschaftler Dolf Sternberger hat das schon vor über 30 Jahren für die Sprache des National-sozialismus nachgewiesen. Er beobachtete, daß die offizielle Sprache totalitärer Sprachen durch-setzt ist von sogenannten transitiven Verben, also Zeitwörtern, die eine Ergänzung im Wen-Fall benötigen.

Nach Meinung des Schriftstellers Günter Grass war die DDR eine "kommode Diktatur". Fragt sich nur, für wen. In der Sprache jedenfalls macht sie keine Ausnahme. Das jedenfalls hat der mittlerweile im Ruhestand lebende Germanist Prof. Christian Bergmann von der Chemnitzer Uni am Beispiel der Sprache der Stasi herausgefunden. Unter dem Titel "Lingua Securitatis - Zum Sprachgebrauch des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR" trägt er die Ergebnisse seiner Forschungen am Dienstag, dem 1. Dezember 1998, um 19.30 Uhr im Lesecafé "exlibris" in der Stadtbibliothek Chemnitz, Straße der Nationen 33, vor. Der Vortrag ist öffentlich, der Eintritt frei - die Unterstützung durch die Gesellschaft für deutsche Sprache und die Chemnitzer Uni machen's möglich.

Akribisch hat sich der Wissenschaftler für seine Untersuchungen durch Berge von Akten, ministeriellen Richtlinien und dazugehörigen Durchführungsbestimmungen gearbeitet. "Die vielen transitiven Verben scheinen kein Zufall zu sein," so Prof. Bergmann. Seine Ergebnisse belegt er an einer Fülle von Beispielen. So tritt etwa die Vorsilbe "be-" sehr häufig auf, etwa in "bearbeiten", "betreuen", "berenten". In einer der Durchführungsbestimmungen heißt es zum Beispiel, daß "ehemalige HIM (hauptamtliche inoffizielle Mitarbeiter)" nach der "Berentung" weiter zu "betreuen" seien. Schon aus dem Zusammenhang geht hervor, daß damit eine weitere Überwachung gemeint ist - nicht einmal den eigenen Leuten traute die Stasi. In vielen Fällen, so etwa bei "bearbeiten" oder "beschädigen", verschob sich auch allmählich die Bedeutung der Wörter: Sie bezogen sich nicht mehr auf Sachen, sondern auf Menschen. Daraus lasse sich aber auf Einstellungen, Haltungen und Wertsysteme rückschließen.

Der Stasi-Sprachgebrauch kann auch einmal ungewollt komisch wirken, wie bei dem Wort "aufklären", wenn etwa ein Y. "zur Aufklärung der Freundin des X." eingesetzt wird - schließlich bedeutet das Wort in den Wörterbüchern der Allgemeinsprache "jemanden über geschlechtliche Vorgänge unterrichten". Im Wörterbuch der Stasi ist damit das Ausspähen, das Bespitzeln gemeint. Zwar findet sich das Wort "aufklären" im Sinne von "erkunden" auch in der Militärsprache, dort bedeutet es aber immer "etwas", also eine Sache, und nicht "jemanden", also eine Person, erkunden.

Das sei denn auch das Charakteristische an der Stasi-Sprache, meint Prof. Bergmann: daß Men-schen zu Dingen, zu Gegenständen, zu Sachen herabgewürdigt, daß sie durch bloße Verschiebung der Bedeutung von Wörtern enthumanisiert würden. "Sprache drückt immer auch etwas aus über den, der sie gebraucht", resümiert der Chemnitzer Germanist. In ihr offenbare sich die Geisteshaltung, die Weltsicht, das Menschenbild des Benutzers. Das MfS habe die Einzigartigkeit und Unverwechselbarkeit einer Person mit der Austauschbarkeit einer beliebigen Sache gleichgesetzt - wie es typisch sei für totalitäre Staaten, die den Menschen vereinnahmen und beanspruchen. "Wo das Menschliche aus der Sprache verdrängt wird, da ist Wachsamkeit geboten, es wird Gefahr signalisiert." Und er zitiert Thomas Brussig: "Das System war nicht am Menschlichen vorbei, sondern gegen die Menschlichkeit. Es war menschenfeindlich."

Dennoch ist sich Prof. Bergmann sicher: Diktaturen haben auf Dauer keine Chance. "Wer im mentalen Bereich etwas "bearbeiten" oder "produzieren" will, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Die minimalen Ergebnisse des übermächtigen Apparats bestätigen das."

Die Ergebnisse seiner umfangreichen Untersuchungen hat Prof. Bergmann in dem Buch "Die Sprache der Stasi - Ein Beitrag zur Sprachkritik" zusammengefaßt, das im kommenden Frühjahr im Verlag Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen erscheinen soll.