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Pressemitteilung vom 14.09.1998

"Jugend forscht": Preisgekrönter Einfall war kein Zufall

Preisgekrönter Einfall war kein Zufall
Sonderpreis bei "Jugend forscht": Chemnitzer Schüler trifft Nobelpreisträger in Stockholm

Wenn im Dezember dieses Jahres die Nobelpreisträger in Stockholm aus der Hand des schwe- dischen Königs Carl XVI. Gustav ihre Preise entgegennehmen, wird unter den Ehrengästen auch ein junger Chemnitzer sitzen: Martin Sturm. Der 18jährige hat vor kurzem sein Abitur am Johannnes-Kepler-Gymnasium bestanden und leistet zur Zeit seinen Zivildienst ab. Die Einladung zu der hochkarätigen Feier verdankt er seinen Mathekenntnissen. Martin Sturm hat nämlich ein Computerprogramm namens "WINRAN" entwickelt, mit dem sich Zufallszahlen untersuchen lassen. Auf Anhieb gewann er damit einen Sonderpreis beim Wettbewerb "Jugend forscht" - es war die Einladung zur Nobelpreisverleihung. Außerdem ist er zu einem internationalen Wissenschaftsseminar für Jugendliche eingeladen. Mehr als 6000 junge Leute aus ganz Deutschland hatten an dem Wettbewerb teilgenommen, doch nur 180 schafften es über verschiedene Regionalausscheidungen bis zur Endrunde in München.

Auch wenn vielleicht die Wenigsten bisher etwas von Zufallszahlen gehört haben - eigentlich kennt sie jeder. Denn die Lottozahlen, die jeden Sonnabend kurz vor acht Uhr aus einer großen Trommel gezogen wird, sind Zufallszahlen reinsten Wassers. Auch wenn immer mal wieder Geschäftemacher auftauchen, die das Gegenteil behaupten: kein System kann die Zahlen vorhersagen, die in der nächsten Woche gezogen werden. Das ist auch der Grund dafür, warum in manchen Wochen nicht ein einziger Spieler die sechs "Richtigen" tippt, sich in anderen aber mehrere Dutzend oder gar Hunderte den Hauptgewinn teilen müssen. Der Rekord liegt bei 222 Spielern, die alle in der gleichen Woche einen "Sechser" hatten. Da blieben für jeden nicht mehr als rund 80.000 Mark übrig - doch das ist immer noch ein schönes Sümmchen.

Solche Zufallszahlen wie beim Lotto interessieren zunehmend auch die Wissenschaftler. Mit ihnen kann man nämlich technische Vorgänge wirklichkeitsgetreu nachahmen (Fachwort: simulieren). Ein Beispiel: Eine Straße wird ausgebaut und während der Bauzeit muß der Verkehr mit einer statt zwei Spuren auskommen. Geregelt wird das mit einer Ampel, die mal die eine, mal die andere Richtung passieren läßt. Doch wie stellt man deren Schaltzeiten ein, wenn man einen übergroßen Rückstau und ein Verkehrschaos möglichst vermeiden will? Da die Autos zufällig eintreffen, kann man sie für die Simulationsrechnung durch die Zufallszahlen ersetzen. Ähnlich funktioniert die Sache auch bei Aufzügen, Behördensprechstunden und an Abfertigungsschaltern. Ebenso lassen sich mit Zufallszahlen die Arbeitszeiten der Mitarbeiter eines Kaufhauses besser einteilen oder die nötige Leitungszahl für ein Telefonnetz berechnen. Auch absolut sichere Verschlüsselungssysteme fürs Militär und die Diplomatie, die kein noch so starker Computer knacken kann, sind auf Zufallszahlen angewiesen.

Dazu braucht man allerdings sehr große Mengen von Zufallszahlen - und die sind sehr schwer zu bekommen. Denn echte Zufallszahlen lassen sich nur auf wenigen Wegen gewinnen. Einer davon ist das Ziehen aus einer Lostrommel, wie beim Lotto, doch mit Würfeln oder dem Werfen einer Münze geht es auch. Auch der Zerfall von radioaktiven Stoffen und das sogenannte Rauschen von Elektronenröhren können ausgewertet werden, denn bei beidem handelt es sich um zufällige Ereignisse.

All diese Methoden sind jedoch zu langsam und zu aufwendig. Daher suchen Mathematiker seit längerer Zeit nach Verfahren, um Zufallszahlen zu berechnen - eigentlich schon ein Widerspruch in sich, den Rechnen ist so ziemlich das Gegenteil von Zufall. Dennoch kann man auch mit solchen, von Fachleuten deshalb auch Pseudo-Zufallszahlen genannten, Zahlenfolgen etwas anfangen. Das erste derartige Verfahren, das Mathematiker fanden, funktioniert so: man nimmt eine beliebige vierstellige Zahl und nimmt diese mit sich selbst mal. Dabei ergibt sich eine achtstellige Zahl. Die mittleren vier Ziffern dieser Zahl sind dann die erste Zufallszahl. Nun nimmt man diese mit sich mal, die vier mittleren Ziffern sind die zweite Zufallszahl. Diese zweite Zufallszahl wird dann wiederum mit sich selbst malgenommen, usw. Solche Verfahren, die jede Zufallszahl aus der vorherigen berechnen, bezeichnen die Mathematiker als "rekursiv".

Derartige Rechnungen können heutige Computer in Windeseile ausführen. Sogar bessere Taschenrechner erzeugen nach diesem Prinzip nach Eingabe einer Startzahl solche Pseudo-Zufallszahlen. Doch diese Methode hat einen großen Nachteil: Mit dem gleichen Anfangswert bekommt man die gleiche Zahlenfolge und die Zahlen wiederholen sich ziemlich schnell - sie sind "zyklisch". Deshalb haben die Mathematiker eine Vielzahl weiterer Verfahren, im Fachjargon Zufallszahlengeneratoren genannt, entwickelt.

Zwölf solcher Zufallszahlengeneratoren hat Martin Sturm mit WINRAN auf ihre Tauglichkeit untersucht und so ihre jeweiligen Vorteile und Nachteile herausgefunden. Anwender können jetzt den für ihre Zwecke am besten geeigneten Generator wählen. Außerdem entwickelte der Chemnitzer Schüler sogar eigene Zufallsgeneratoren, die mit den bisher bekannten durchaus mithalten können. Bei seinen über zwei Jahre dauernden Forschungsarbeiten erhielt Sturm tatkräftige Unterstützung von der Chemnitzer Uni. Die Chemnitzer Mathematiker hatten schon immer ein offenes Ohr für begabte Schüler der Region. So führen sie etwa Seminare für Schüler durch und helfen ihnen bei Projektarbeiten. Auch das WINRAN-Programm nahm ursprünglich als Projektarbeit seinen Anfang. Betreut wurde Martin Sturm von dem Diplom-Mathematiker Matthias Richter, der derzeit über seiner Doktorarbeit an der TU Chemnitz brütet. Der half zwar, wenn es um rein technische Dinge ging, aber die eigentliche Arbeit mußte Sturm ganz allein machen. Dennoch schätzt Richter ein: "Was der Martin da geleistet hat, geht allemal schon in Richtung einer Diplomarbeit." Bei so weitreichenden Kenntnissen ist schon klar, welches Fach Martin Sturm nach seinem Zivildienst einmal studieren wird: natürlich Mathe. Und ebenso klar ist auch der Studienort: Chemnitz. Denn gerade Chemnitz bietet angehenden Mathematikern umfassende Möglichkeiten und eine intensive, gründliche Betreuung.

(Autor: Hubert J. Gieß)

Weitere Informationen: Technische Universität Chemnitz, Fakultät für Mathematik, Reichenhainer Str. 41, 09107 Chemnitz, Prof. Dr. Jürgen vom Scheidt, Tel. 0371/531-2152 oder -8358, Fax 0371/531-2141, e-mail: v.scheidt@mathematik.tu-chemnitz.de

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