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Seniorenkolleg an der TU Chemnitz
Wie (un)regierbar ist Deutschland?
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Seniorenkolleg 4. Oktober 2016

Referent: Prof. Dr. Gerd Strohmeier, neuer Rektor der TU Chemnitz

„Im internationalen Vergleich ist das politische System in Deutschland sehr schwerfällig“, das war der Tenor  von Professor Gerd Strohmeier bei der Vorlesung des Seniorenkollegs am 4. Oktober 2016. Vor nahezu 600 Teilnehmern im großen Hörsaal der TU wurde die Frage aufgeworfen: Wie (un)regierbar ist Deutschland? Und der neugewählte Rektor der TU machte  an verschiedenen Beispielen deutlich, dass dies nicht immer einfach ist.

Zu Beginn seiner Ausführungen nannte  der Politikwissenschaftler ein Zitat von Roman Herzog, das er 1997 in seiner Funktion als Bundespräsident  sagte: „Die Aufgaben, vor denen wir stehen, sind gewaltig. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen.“ Und dieser Ruck ist nach den Worten von Strohmeier ausgeblieben. Grund dafür sei ein mangelnder Entscheidungsraum. Diesen wären oftmals Grenzen gesetzt. „So werden beispielsweise 80 Prozent der Gesetze in Deutschland durch die EU eingeschränkt“, betonte der Referent.

Im weiteren Verlauf seines Vortrages ging Strohmeier auf die einzelnen Entscheidungsträger in Deutschland ein. Zuerst nannte er den Bundestag. Im jetzigen, dessen Wahlperiode im nächsten Jahr endet, sind  die CDU/CSU, die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Linke vertreten. Aber die Entscheidungen treffen nur die beiden Regierungsparteien CDU/CSU und SPD. „Das heißt, die zwei Regierungsparteien müssen sich einigen, sonst kommt es zu keiner Entscheidung“, machte der Redner deutlich. Dann ging er auf die aktuelle Sonntagsfrage vom 23. September 2016 ein. Die lautet: Wem würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre? Demnach käme die CDU/CSU auf 32 Prozent, die SPD auf 22 Prozent, Grüne 12 Prozent, FDP 6 Prozent, Linke 8 Prozent AfD 16 Prozent. „Somit  würden die beiden großen Volksparteien nur noch auf 54 Prozent kommen, in den 1970-er Jahren waren es fast 90 Prozent“, ergänzte Strohmeier. Interessant waren in dem Zusammenhang einige Rechenspiele vom Referenten. Und er kam zu dem Schluss: Die SPD kann auch künftig wahrscheinlich nur mit dem Koalitionspartner CDU/CSU regieren. Andersherum bleibt auch für die CDU/CSU nur die jetzige große Koalition mit der SPD.

Als einen weiteren wichtigen Entscheidungsträger bezeichnete der Redner den Bundesrat. Er ist ein Verfassungsorgan durch das die Länder bei der Gesetzgebung mitwirken. Die Anzahl der Stimmen für jedes Land richtet sich nach der Einwohnerzahl. Die aktuelle schwarz-rote Koalition findet derzeit im Bundesrat keine Mehrheit. „Da die Grünen in vielen Landesregierungen vertreten sind, braucht der Bundesrat deren Zustimmung, wenn er ein Gesetz durchbringen will“, sagte Strohmeier.

Die einzigen, die ein Gesetz des Bundestages beziehungsweise Bundesrates für nichtig erklären können, sei das Bundesverfassungsgericht. „Es kann das tun, wenn das beschlossene Gesetz gegen das Grundgesetz verstößt“, begründete der Rektor. Etwa 40 Prozent der Beschlüsse würden dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Ein gewisses Prüfungsrecht habe auch der Bundespräsident. Er habe ebenso die Möglichkeit, ein Gesetz abzulehnen, falls es verfassungswidrig ist. „Zuletzt hat Bundespräsident Horst Köhler 2006 das Gesetz zur Neureglung des Rechts der Verbraucherinformation nicht ausgefertigt. Es war die achte Ablehnung  eines Gesetzes durch einem Bundespräsidenten“, so Strohmeier.

„Warum kann die Bundeskanzlerin allein bei den Flüchtlingsfragen entscheiden?“, lautet eine Frage der Senioren. Nach den Worten von Strohmeier könne die Bundeskanzlerin nur allein entscheiden, solange diese Meinung auch von der eigenen Partei und dem Koalitionspartner getragen wird. Ein anderer Teilnehmer vom Seniorenkolleg wollte wissen, warum es sein kann, dass eine Partie, die die meisten Stimmen bei einer Wahl bekommt, nicht regiert. Der Referent nannte ein Beispiel aus dem Jahr 1976: „Die CDU/CSU hatte damals knapp unter 50 Prozent der Stimmen bekommen. Die SPD erhielt 42 und die FDP 8 Prozent. Anschließend haben sich die Sozialdemokraten und die FDP zusammengeschlossen und die Regierungsparteien gebildet.“

Bernd Wild, Seniorenkolleg