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Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Pressemitteilungen

Pressemitteilung vom 26.07.2012

"Karlsruhe ist von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen"

Die Änderungen des Bundeswahlgesetzes sind verfassungswidrig - Laut Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Strohmeier von der TU Chemnitz ist eine zeitnahe Neufassung des Gesetzes nicht einfach

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat am 25. Juli 2012 verkündet, dass das mit der Änderung des Bundeswahlgesetzes neu gestaltete Verfahren der Zuteilung der Abgeordnetensitze des Deutschen Bundestages gegen die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien verstößt. Dem vorausgegangen war am 3. Dezember 2011 das Inkrafttreten des "Neunzehnten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes", das wiederum einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2008 Rechnung traten sollte. Geklagt gegen das Änderungsgesetz hatten die Fraktionen von SPD und Bündnis90/Die Grünen sowie 3.063 Mitglieder einer Bürgerinitiative.

Bevor das Änderungsgesetz erlassen wurde, hatten die Bundestagsfraktionen vier verschiedene Entwürfe erstellt. Im September 2011 waren acht unabhängige Sachverständige in den Innenausschuss des Deutschen Bundestages geladen, um diese Entwürfe einzuschätzen. Darunter war auch Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Inhaber der Professur Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der Technischen Universität Chemnitz. Im Vorfeld zur Verhandlung und zur Urteilsverkündung durch das Bundesverfassungsgericht war er davon ausgegangen, dass es zu keinen oder nur marginalen Beanstandungen kommen würde - denn das Gericht selbst habe in seinem Urteil aus dem Jahr 2008 das der Wahlrechtsreform zugrunde liegende Modell als eine von drei möglichen Alternativen vorgeschlagen und die Überhangmandate nicht beanstandet. "Karlsruhe ist von seiner bisherigen Rechtsprechung abgewichen", sagt Strohmeier im Nachgang zur Entscheidung am 25. Juli. Vor allem die Beanstandung der Überhangmandate sei "äußerst überraschend", so der Chemnitzer Politikwissenschaftler, zumal das Gericht zuvor in ständiger Rechtsprechung Überhangmandate bzw. deren Wirkung "als die notwendige Folge des besonderen Charakters der personalisierten Verhältniswahl mit der Wahlgleichheit" für vereinbar erklärt hat, "solange die Wahlkreise im Rahmen des Möglichen annähernd gleich groß seien" - so sein Urteil vom 10. April 1997. "Es hat zwar erklärt, dass sich die Zahl der Überhangmandate in Grenzen zu halten habe, dabei aber darauf hingewiesen, dass bei der Bestimmung dieser Grenzen die Sperrklausel in Höhe von fünf Prozent als Orientierungspunkt dienen möge", so Strohmeier. "Damit lag die Grenze bei einer regulären Gesamtsitzzahl von 598 Abgeordneten bei 30 Überhangmandaten, die noch nie erreicht wurden. Jetzt liegt sie plötzlich bei 15."

"Gemessen an früheren Urteilen hätte das Bundesverfassungsgericht die jetzige Fassung in dieser Form nicht beanstanden dürfen. Das Urteil sei in einigen Punkten schwer nachvollziehbar, aber nun zu akzeptieren. Über die letztverbindliche Auslegung des Grundgesetzes entscheide allein Karlsruhe und den Urteilen müsse mit Respekt begegnet werden. Die Karlsruher Richter hätten mir ihrem Urteil allerdings viele Fragezeichen hinterlassen. "Es ist grundsätzlich nicht leicht, Überhangmandate ohne ungewünschte Nebenwirkungen zu vermeiden beziehungsweise auszugleichen", sagt Strohmeier, der eine zeitnahe Neufassung des Gesetzes vor der nächsten Bundestagswahl, bei der dem Regelungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen wird, bei der keine allzu großen ungewünschten Nebenwirkungen entstehen und die von einem breiten Parteienkonsens getragen wird, als nicht einfach einschätzt.

Weitere Informationen zum Urteil des Bundesverfassungsgesetzes: http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg12-058.html

Kontakt: Prof. Dr. Gerd Strohmeier, Telefon 0371 531-37612, E-Mail gerd.strohmeier@...