Springe zum Hauptinhalt
Pressestelle und Crossmedia-Redaktion
Pressemitteilungen

Pressemitteilung vom 14.11.2002

PM zum Projekt "Bürger-Behörden-Kontakte in Chemnitz"

Institut für Soziologie
Technische Universität Chemnitz
Projekt Bürger-Behörden-Interaktion
Prof. Dr. Ditmar Brock
Prof. Dr. Klaus Boehnke

Behörden - besser als ihr Ruf ?

Vor einiger Zeit schwärmten die Interviewer der TU Chemnitz aus, um 1000 Bürger der Stadt zu befragen. Ziel der Befragung im Auftrag des Instituts für Soziologie und der gemeinnützigen Volkswagen-Stiftung: wie steht es um das Verhältnis der Chemnitzer und ihrer Behörden. Dabei machten es die Chemnitzer den Studenten und ihren Professoren, Prof. Dr. Ditmar Brock und Prof. Dr. Klaus Boehnke nicht leicht, es musste mehrfach nachgehakt werden, und zwischenzeitlich stand die Untersuchung fast vor dem Aus. Mit viel Mühe gelang es, die tausend geforderten Interviews doch noch durchzuführen. Jetzt liegen die Ergebnisse dieser Studie vor.

Die folgenden Auswertungen stützen sich auf die Befragung von insgesamt 1048 Chemnitzer Bürgerinnen und Bürger und spiegeln das Meinungsklima der Chemnitzer Bevölkerung über Behörden und Ämter im allgemeinen und die Verwaltung innerhalb der Stadt Chemnitz im speziellen. Neben städtischen Behörden war hier z.B. auch das Arbeitsamt und das Regierungspräsidium Teil der Untersuchung. Das Projekt selbst hat weniger Evaluationscharakter für die regionalen und überregionalen Behörden - eine Bewertung einzelner Behörden ist also nur von sekundärer Bedeutung - sondern zielt auf den Kontakt - die Interaktion - zwischen Bürger und Behörde, sowie auf Konfliktfelder in diesem Zusammenhang. Weiterhin wurde in Kooperation mit der Universität Bielefeld an einem Vergleich zwischen alten und neuen Ländern gearbeitet, der in gesonderter Form der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll.

Ein Ziel der Befragung war es, die Meinung der Bevölkerung über Behörden und deren MitarbeiterInnen im allgemeinen zu erheben. Neben diesen allgemeinen Einstellungen und gängigen Vorurteilen gegenüber Behörden - so genannten Stereotypen - wurden jedoch auch die realen Erfahrungen der Bürger mit ihrer Verwaltung vor Ort abgefragt. Hintergrund dessen ist die Absicht Unterschiede zwischen Voreinstellungen und tatsächlichen Erfahrungen zu messen und - sofern diese vorhanden sind - deren Ursache herauszufinden. Hierbei erwies sich die Bevölkerung als ein echter Kenner der hiesigen Verwaltungslandschaft und als ein erstaunlich fairer Kritiker ihrer Mitarbeiter. Ein durchaus erwartbarer Rundumschlag gegen “Amtsschimmel“ und “Behördendschungel“ bleib weitestgehend aus. Statt dessen lieferten die Bürgerinnen und Bürger ein erfahrungsbasiertes Bild vom Behördenalltag in ihrer Stadt und differenzierten hierbei deutlich zwischen allgemeinen Aussagen über den öffentlichen Dienst und den realen Geschehnissen auf den Amtsstuben der Stadt.

So fielen die Bewertungen über tatsächliche Kontaktsituationen immer positiver aus, als die generalisierten Bewertungen entlang von Stereotypen und allgemeinen Einstellungen. Die Befragten unterschieden also deutlich zwischen “Vorurteil“ und tatsächlichem Behördenkontakt.

Die Bürger nahmen weiterhin innerhalb der Befragung an den meisten Stellen eine Trennung zwischen Behördenmitarbeiter und der Behörde selbst vor: während die Arbeitsweise und Organisation einzelner Behörden durchaus kritisch unter die Lupe genommen wurden, fiel die Bewertung der Arbeitsleistung, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der öffentlichen Bediensteten durchaus wohlwollend aus.

38 % der Befragten halten Behördenmitarbeiter und Mitarbeiterinnen für hilfsbereit und freundlich, nur 13,3 % sind hier anderer Ansicht. Knapp über 47 % zeigen sich mit dem persönlichen Umgang bei Behördenkontakten als zufrieden und fast 50 % beurteilen die fachlichen Fähigkeiten der öffentlichen Bediensteten als zufriedenstellend (nur 16 % stellen diese fachlichen Fähigkeiten in Abrede).

Probleme scheinen die Chemnitzer weniger mit den einzelnen Personen, sondern vielmehr mit den Strukturen, Regulierungsrahmen und der Arbeitslogik der Behörden zu haben. Mehr als 54 % sind der Ansicht die Vorschriften lassen den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Behörden kaum Spielraum, eine ähnlich große Zahl an Bürgern glaubt, dass die Mitarbeiter durch die Vorschriften überfordert seien. Dennoch zeigen sich die Chemnitzer im allgemeinen durchaus zufrieden mit ihrem letzten Behördenbesuch: 34,9 % waren zufrieden, 5,3,% sogar sehr zufrieden, während nur 3,3 % sehr unzufrieden und 13,0 % unzufrieden waren. In der Bewertung der Chemnitzer Bürger schnitt im übrigen das Einwohnermeldeamt mit Abstand am besten ab. Bei der Bewertung von Einzelbehörden gilt es jedoch darauf zu achten, welchen Aufgabenbereich die einzelne Behörde abdeckt und welche Bürgerinteressen durch das Handeln der Behörde berührt werden. Geht es z.B. um finanzielle Fragen wie den Bezug von Transferleistungen wie Wohngeld oder dauerhafte Hilfe zum Lebensunterhalt oder auch um das Thema von Steuer- und Gebührenzahlungen, sind natürlich tiefersitzende Interessen der Bürger betroffen, die sich direkt in der Bewertung wiederspiegeln.

Insgesamt scheinen die Behörden - bezogen auf die Zufriedenheitswerte - jedoch besser als ihr häufig unterstellter Ruf zu sein. Allerdings äußerten die Befragten durchaus einige Kritikpunkte im alltäglichen Umgang mit dem Amtsschimmel.

Öffnungszeiten und Bearbeitungsdauer

Den Unmut der Bevölkerung zogen insbesondere die Öffnungszeiten der Behörden - mit denen 20,4 % sehr unzufrieden und weitere 23,6 % unzufrieden waren, sowie die Bearbeitungszeiten innerhalb der Behörden auf sich. Über 60 % der Befragten stimmten der Aussage, dass die Bearbeitungszeiten länger als notwendig dauerten zu und 56,8 % halten eine schnellere Bearbeitung der Vorgänge für eine sehr wichtige Verbesserung der Behördenarbeit.

Papierkrieg und Kompetenzenverschiebungen

Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen den Papierkrieg, der im allgemeinen mit Behördenbesuchen in Verbindung gebracht wird: über 80 % stimmen der Aussage zu, dass das Ausfüllen von Formularen der wichtigste Arbeitsgang sei. Mit eine Ursache hierfür könnte sein, dass die Bürger den Eindruck haben immer von einer Behörde zur anderen bzw. von einem Sachbearbeiter zum anderen geschickt zu werden: über 51% der Befragten stimmen der Aussage man werde von einem Sachbearbeiter zum anderen geschickt zu, immerhin 37 % sind der Ansicht man werde von Behörde zu Behörde verwiesen, über 42 % meinen, Behörden wurden in Problemfällen die Schuld auf Dritte schieben. Im Gegensatz zur Paralleluntersuchung an der Universität Bielefeld wurde bei der Untersuchung in Chemnitz die Bürger auch um eine Einschätzung der Situation vor und nach der Wende gebeten: immerhin 57 % meinen, die Behörden würden heute bürokratischer als vor der Wende arbeiten, 27,6 % stimmen dieser Aussage zumindest noch teilweise zu!

Soziale Ungleichheit und Behördenhandeln

Eine wichtige Fragestellung des Volkswagen Projekts “Bürger-Behörden-Kontakte“ beschäftigt sich mit der Wirksamkeit sozialer Ungleichheit - als dem Aspekt des sozialen “oben und unten“ in unserer Gesellschaft - innerhalb der Kontaktsituation zwischen dem Individuum und der Behörde. Zum derzeitigen Stand der Auswertungen lassen sich nur erste, von den Bürgern selbst geäußerte Ergebnisse zu diesem Fragekomplex präsentieren. Nach Meinung der Chemnitzer Bevölkerung spielen Aspekte der sozialen Lagerung eine Rolle beim Verlauf von Behördenbesuchen. Fast 50 % der Befragten lehnten zwar die Aussage ab, dass Behörden bestimmte Personen bevorzugen, ebenfalls fast 50 % stimmten jedoch der Aussage “gepflegtes Aussehen bringt höhere Erfolgschancen“ zu, und 46 % waren tendenziell der Ansicht, dass die “kleinen Leute geringere Erfolgchancen haben“. Neben der Wirksamkeit “askriptiver Merkmale“ wie Kleidung, erkennbare soziale Stellung (wobei diese nur sehr bedingt in einem kurzen Kontakt erfahrbar ist) bemessen die Befragten der Untersuchung weiteren Verhaltensaspekten besondere Bedeutung beim Erreichen ihrer Ziele bei Behörden bei. Folgende Strategien sind nach Einschätzung der Chemnitzer erfolgversprechend:

90 % halten es für sehr wichtig, bzw. wichtig ihr Anliegen klar zu vertreten.

87 % halten es für sehr wichtig, bzw. wichtig hartnäckig zu bleiben

Allerdings gilt es hierbei aus Sicht der Befragten auch, sich in angemessener Form zu verhalten: 51 % halten dies für sehr wichtig, 35 % für wichtig. 53,8 % meinen es sei wichtig, bzw. sehr wichtig besonders freundlich zu sein. Nur eine Minderheit der Befragten (11,8%) hält es jedoch für sinnvoll sein Anliegen aggressiv zu vertreten.

Wunschliste der Chemnitzer Bürger

Im Rahmen der Untersuchung wurden die Teilnehmer auch nach ihren Wünschen zur Verbesserung der Behördensituation in ihrer Stadt gefragt. Hierbei handelt es sich um Wünsche von mehr Freundlichkeit, über persönlicheres Klima , mehr Interesse der Behördenmitarbeiter für die Anliegen der Bürger, bis zu verständlicheren Erläuterungen und schnelleren Bearbeitungszeiten etc.. Es konnte aus Antwortvorgaben von nicht wichtig bis sehr wichtig ausgewählt werden. Naheliegenderweise verfügt jeder der Aspekte, der im Fragebogen zur Sprache kam über ein großes Maß an Wichtigkeit für die Bürger: Wer möchte schon unfreundlich behandelt werden, oder in einer unübersichtlichen Behörde umherirren oder auf eine schnellere Bearbeitung verzichten Die Highlights der Wunschliste der Chemnitzer Bürger können der folgenden Auswahl entnommen werden:

Über 90 % wünschen sich verständlichere Erläuterungen (68,6 % hielten dies für sehr wichtig, 21,7 % für wichtig)

Über 87 % wünschen sich eine schnellere Bearbeitung der Vorgänge (57,8 % hielten dies für sehr wichtig, 29,3 % für wichtig)

Über 86 % wünschen sich mehr Informationsmöglichkeiten (58,7 % hielten dies für sehr wichtig, 28,1 % für wichtig)

Über 79 % wünschen sich geringere Wartezeiten (47,7 % hielten dies für sehr wichtig, 32,2 % für wichtig)

Über 79 % wünschen sich verständlichere Informationsmaterialien (50,2 % sehr wichtig, 29,2 % wichtig)

Über 68 % wünschen sich eine Ausweitung der Öffnungszeiten (48,2 % sehr wichtig, 19,8 % wichtig)

Diese Liste zeigt, dass den Bürgern zwei Kernpunkte am Herzen liegen: der Zeitaufwand der mit Behördenbesuchen und Behördenentscheidungen verbunden ist einerseits und ein Plus an Informationsmöglichkeiten für eine Orientierung innerhalb der einzelnen Vorgänge und zur Formulierung ihrer Anliegen und Rechte.

Ergebnisorientierter Bürger

Bisher war bereits von Wünschen der Bürger, von Stereotypen über Behördenhandeln, Stärken und Schwächen der örtlichen Behörden die Rede. Aber worum geht es dem Bürger tatsächlich beim Kontakt mit den Ämtern ? Ein Teil der Antwort deutet sich im obigen Punkt an: möglichst schnelle Erledigung des Anliegens bei minimiertem Zeitaufwand für den Bürger und eine möglichst breite Informationsbasis um die eigenen Erfolgschancen zu erhöhen: der Bürger als Kunde ist sehr stark ergebnisorientiert. Weniger die Form des Kontaktes - freundlich oder verbindlich - sondern der letzendliche Output bestimmen die Sichtweise bzw. Zufriedenheit des Behördenbesuchers. Die Zufriedenheit ist daher stark kontakt- und ergebnisabhängig zu sehen und in der Bewertung von stereotypen Einstellungen strikt abzugrenzen. Dies könnte für die weitere Evaluation von Behördenhandeln bedeuten, dass man sich stärker auf die Analyse von realen Kontakten mit Einzelbehörden konzentrieren sollte und die Bedeutung stereotyper Bewertungen von Behörden und BehördenmitarbeiterInnen stark relativiert zu analysieren ist.

Weitere Informationen erteilt Dr. Wolfram Backert, Tel. (03 71) 5 31-39 03.