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Pressemitteilung vom 17.05.1999

Internationale Konferenz ehrt den Komponisten Kurt Weill

Internationale Konferenz ehrt den Komponisten Kurt Weill
Uraufführung der deutschsprachigen Originalfassung von "Der Weg der Verheißung"

Er war einer der bedeutendsten Komponisten unseres Jahrhunderts: Kurt Weill. Am 2. März 2000 würde der in Dessau (Sachsen-Anhalt) geborene Künstler seinen 100. Geburtstag feiern, wenn er noch lebte. Aus diesem Grund wird am 13. Juni 1999 um 16 Uhr das Internationale Kurt-Weill-Jahr eröffnet. Nicht in Berlin oder New York - nein, in Chemnitz. Am gleichen Tag um 18 Uhr wird das wichtigste Werk Kurt Weills, die Oper "Der Weg der Verheißung", erstmals im deutschen Original aufgeführt - und zum ersten Male überhaupt seit 62 Jahren.

Eine Oper ansehen oder -hören ist aber etwas anderes, als ihren zeitgeschichtlichen Hintergrund zu verstehen. Deshalb hat der Chemnitzer Musikhistoriker Prof. Dr. Helmut Loos vom 11. bis zum 13. Juni 1999 eine wissenschaftliche Konferenz mit dem Titel "Kurt Weill - Leben und Werk unter Berücksichtigung des Bibelspiels 'Der Weg der Verheißung'" mit Teilnehmern aus Israel, England, den USA, Österreich und Deutschland organisiert. Bei der Tagung geht es um solche Themen wie die Deutung von Weill durch Theodor Adorno, seine kurzzeitige Begeisterung für die deutschen Revolutionsversuche im November 1918, seine Beziehung zu Arnold Schönberg, den Einfluß Amerikas auf seinen Kompositionsstil oder um die Absichten, die das Trio Weill / Werfel / Reinhardt angesichts der schon mächtig angeschwollenen, aber noch nicht in Auschwitz kulminierenden Judenpogrome in Deutschland verfolgte. Die Tagung endet mit einer öffentlichen Abschlußdiskussion am 13. Juni um 11 Uhr im Rangfoyer der Chemnitzer Oper. Um 16 Uhr eröffnet dann an gleicher Stelle Prof. Kim Kowalke, der Präsident der Kurt Weill Foundation, die die Rechte an den Werken des Komponisten hält, das Internationale Kurt-Weill-Jahr.

Schon für den 10. Juni lädt die Technische Universität alle Konferenzteilnehmer zu einem Empfang ins Renaissance Hotel Chemnitz. Dabei wird der in Hildesheim geborene jüdische Amerikaner Prof. Guy Stern über seine "Erinnerungen eines Zeitzeugen" sprechen. Prof. Stern ist Mitglied des Treuhänderrates der Kurt Weill Foundation und lehrt Germanistik an der Wayne State University in Detroit im amerikanischen Bundesstaat Michigan. Der damals 15jährige Stern hatte 1937 zu einem Verwandten in die USA auswandern können. Der Rest seiner Familie kam im Warschauer Ghetto um.

Zum Hintergrund:

Auch wenn manche mit dem Namen Kurt Weill nichts anfangen können - seine Lieder kennt jeder. Denn von 1927 bis 1934 arbeitete Kurt Weill mit Bert Brecht zusammen. Gemeinsam schufen die beiden die Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" und die noch bekanntere "Dreigroschenoper" - beide wurden zu Welterfolgen.

Doch Weill war weit mehr als der Schöpfer eingängiger Melodien. Angefangen hatte er als junger Wilder, in einem gegen die Romantik gerichteten dissonanten Stil. In der Zusammenarbeit mit Brecht entwickelte er sich zu populären Stilformen und zur Bühnen- und Vokalmusik hin. Dazu benutzte und verfremdete er Elemente aus der gesamten Musikgeschichte, von der Tanzmusik bis zu Moritaten, von Opernklischees bis zu Schnulzen, aber auch Kaffeehaus- und Kirchenmusik. Das machte seine Musik ungeheuerlich lebendig und ihn selbst zum Liebling des Publikums.

Bis 1933. Da nämlich mußte Weill - jüdischer Deutscher und den Nazis ohnehin ein Dorn im Auge - Deutschland verlassen. Mit seiner Frau, der österreichischen Schauspielerin und Sängerin Lotte Lenya, wanderte er über Stationen in Paris und London im Jahre 1935 in die USA aus. Bereits in dieser Zeit begann er, die Musik zu der Oper "Der Weg der Verheißung" (The Eternal Road) zu komponieren, seinem wohl bedeutendsten Werk. Der "Weg" ist eine Umsetzung des alten Testaments in die heutige Zeit, eine Geschichte der Juden, eine Zusammenfassung des Wesens des Judentums, und zugleich eine hellsichtige Vorwegnahme des Holocaust.

Die Handlung: Eine jüdische Gemeinde flüchtet, von Verfolgern bedrängt, in ihre Synagoge. Der Rabbi liest aus der Thora vor, den fünf Büchern Moses, die Figuren aus der Bibel erwachen zum Leben. Vergangenheit und Gegenwart wechseln sich auf der Bühne ab. Schließlich wird die Gemeinde von Soldaten aus dem Gebetshaus getrieben. Gleichzeitig erscheint ihnen der verheissene Messias. Den - ursprünglich deutschen - Text des Werks schrieb der österreichische Schriftsteller Franz Werfel. Werfel entstammte wie Weill dem jüdisch-deutschen Kulturraum und emigrierte nach der Angliederung Österreichs an Nazi-Deutschland ebenfalls in die USA.

Am 4. Januar 1937 wurde das Werk in New York in englischer Sprache uraufgeführt. Regie führte Max Reinhardt, den viele Fachleute noch immer für das größte Theatergenie aller Zeiten halten. Auch Reinhardt entstammte dem deutschen Judentum, auch er emigrierte vor dem Haß der Nazis in die USA.

Doch die Umstände der Aufführung waren chaotisch: Weill hatte nicht weniger als 230 Schauspieler - darunter seine Frau Lotte Lenya in der Rolle der Miriam - und einen Chor mit 100 Sängern vorgesehen. Um wenigstens die Kulissen unterzubringen, mußte die Spielstätte - das "Manhattan Opera House" - eigens umgebaut werden. Für einen Großteil des Orchesters war dennoch kein Platz, die Musik wurde über ein Filmton-Verfahren eingespielt. Die Kritiker und das Publikum indes jubelten.

Schon bei den Vorbereitungen war das aufwendige Unternehmen einmal Pleite gegangen. Prominente Fürsprecher, darunter Albert Einstein, sammelten Geld für eine Weiterführung. Ein zweiter Bankrott ließ sich dennoch nicht vermeiden. Nach nur 157 Vorstellungen hob sich am 15. Mai 1937 (nach anderen Quellen am 17.) zum letzten Mal der Vorhang - am Tag darauf wurden wegen nicht bezahlter Rechnungen die Stromleitungen gekappt. Ein Großteil der Noten verschwand spurlos. Schon zuvor hatten sich Weill, Reinhardt und Werfel heillos zerstritten. In den folgenden Jahren wurde das Werk nahezu vergessen.

Jetzt, pünktlich zum 100. Geburtstag des Komponisten, wird "Der Weg der Verheißung" zum ersten Mal nach 62 Jahren wieder aufgeführt - in Chemnitz, als Welturaufführung des deutschen Originals: Mit dem Werk wird am Sonntag, dem 13. Juni 1999, das Internationale Kurt-Weill-Jahr eröffnet, die Stadt wird zum Mekka von Kulturenthusiasten aus aller Welt. Möglich gemacht hat das die Kurt Weill Foundation for Music aus New York, der Weills Witwe Lotte Lenya die Rechte an den Werken des am 2. April 1950 verstorbenen Komponisten übertragen hat. Neben Chemnitz hatten sich Bühnen aus aller Welt um die Aufführung beworben, darunter die Staatsoper Berlin. Die konnten aber offensichtlich die Bedingungen der Nachlaßverwalter nicht erfüllen. Dazu gehörte eine international ausgerichtete Premiere, mindestens zwölf Aufführungen vor Ort, dazu nicht weniger als sechs in New York, sieben in Tel Aviv, drei in Krakau und der Auftritt als deutscher Beitrag auf der Expo 2000 in Hannover - eine strenge Verpflichtung, aber auch eine großartige Chance. Die Chemnitzer Oper, die ohnehin alles andere als eine Provinzbühne ist, wußte sie zu nutzen.

Dafür erlaubte die Stiftung aber auch, die Dauer der Veranstaltung von ursprünglich sechs auf vier Stunden zu kürzen. Zunächst mußte ohnehin in monatelanger Arbeit die gesamte Partitur mühevoll anhand alter Aufnahmen, Handschriften und Zeichnungen rekonstruiert werden. Inszeniert wird das Stück von dem Regisseur Michael Heinicke. Aber nicht nur die Chemnitzer wirken an dem immer noch monumentalen Werk mit: Der musikalische Leiter, John Mauceri, kommt aus den USA, Bühnenbild und Ausstattung stammen von dem Israeli David Sharir. Die 62 Chormitglieder aus Chemnitz werden von 30 Sängern des Synagogalchors Leipzig und 48 weiteren von der Krakauer Oper verstärkt. Die Schirmherrschaft hat übrigens Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker übernommen. Bereits am Vortag, dem 12. Juni 1999, werden auch die 8. Tage der jüdischen Kultur in Chemnitz eröffnet. Eine Fülle weiterer Veranstaltungen finden zudem im Umfeld der Welturaufführung im Schloßbergmuseum, in den Städtischen Kunstsammlungen und an anderen Orten in Chemnitz statt. Einer der Höhepunkte dabei: der "Große Gesang vom ausgerotteten jüdischen Volk" von Isaak Katzenelson, vorgetragen von Wolf Biermann am 14. Juni um 19.30 Uhr im Schauspielhaus.

Autor: Hubert J. Gieß

Weitere Informationen über Kurt Weill und über die Konferenz: Technische Universität Chemnitz, Philosophische Fakultät, Wilhelm-Raabe-Str. 43, 09120 Chemnitz, Prof. Helmut Loos, Tel. 0371/531-6371, Fax 0371/531-6307, E-mail: helmut.loos@phil.tu-chemnitz.de oder im Internet unter http://www.freiepresse.de/theater-chemnitz/verheissung/deutsch/haupt.htm und unter http://www.kwf.org/