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Professur Chemische Physik
Chemische Physik

Sehen, hören und fühlen in der Nanowelt

Nanomechanische Gewebeeigenschaften sollen mit menschlichen Sinnen erfahrbar werden. Die Forschungsidee verknüpft Physik und Kognitionswissenschaft und wird von der VolkswagenStiftung gefördert

Mit einem Rasterkraftmikroskop können die Form einer Oberfläche und ihre lokalen mechanischen Eigenschaften sehr detailliert auf der Nanometerskala erfasst werden. Das Verständnis dieser sehr umfangreichen, mehrdimensionalen Daten steckt jedoch in den Kinderschuhen. Vor allem biologische Gewebe haben eine räumlich sehr komplexe Struktur, und ihre mechanischen Eigenschaften sind auf der Nanometerskala weitgehend unerforscht. Gleiches gilt für einzelne Atome und Moleküle auf Oberflächen und die zwischen ihnen wirkenden Kräfte. Bei solch komplexen Daten stoßen Analyseverfahren, die mit statistischer Datenreduktion arbeiten, bislang an ihre Grenzen.

Prof. Dr. Robert Magerle (Professur für Chemische Physik) und Prof. Dr. Alexandra Bendixen (Professur für Struktur und Funktion kognitiver Systeme) von der Technischen Universität Chemnitz möchten den Zugang zur Datenanalyse grundlegend verändern, indem sie die komplexen Daten den menschlichen Sinnen und damit den kognitiven Fähigkeiten des Menschen zugänglich machen. Die mit dem Rasterkraftmikroskop gemessenen Kraftfelder sollen mit einer haptischen Schnittstelle in vom Menschen fühlbare Kräfte übersetzt werden. Gleichzeitig sollen die Form der Oberfläche und weitere Oberflächeneigenschafen visuell und akustisch dargestellt werden. So können die auf der Nanometerskala gemessenen Kräfte interaktiv und mit mehreren menschlichen Sinnen gleichzeitig erkundet werden. Diese Darstellungsart der Daten erscheint besonders geeignet, mittels menschlicher Sensorik und Kognition bislang unbekannte Strukturen in räumlich komplexen Daten zu entdecken. Im Projekt sollen verschiedene Arten der Kraftdarstellung erprobt und das Zusammenwirken der menschlichen Sinne bei der multisensorischen Erfassung nanomechanischer Eigenschaften biologischer Gewebe erforscht werden. Die VolkswagenStiftung fördert das Forschungsprojekt im Rahmen ihrer Förderinitiative "Experiment!" mit 120.000 Euro für 18 Monate.

Das Projekt im Detail

Warum sollte es hilfreich sein, mit den menschlichen Sinnen nanomechanische Eigenschaften und Kräfte auf der Nanometerskala zu erkunden? Man weiß aus der Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie, dass Menschen sehr gut darin sind, in komplexen Strukturen Muster zu erkennen und Abweichungen von diesen Mustern zu entdecken. Wenn es nun gelingt, diese Fähigkeit des Menschen für (bio)physikalische Fragestellungen – in diesem Projekt die Erkundung nanomechanischer Gewebeeigenschaften – zu nutzen, birgt das die Chance, vollkommen neue physikalische Phänomene zu entdecken. Die kognitionswissenschaftliche Komponente des Projekts ergänzt also die moderne physikalische Messmethodik Rasterkraftmikroskopie um eine neuartige Analysestrategie. Damit diese Kombination erfolgreich ist, sind verschiedene wissenschaftliche und technische Herausforderungen zu meistern. Ziel ist eine Schnittstelle zu schaffen, die es dem Menschen ermöglicht, interaktiv und mit mehreren Sinnen gleichzeitig (visuell, auditiv und haptisch) die räumlich komplexen Daten nanomechanischer Kraftfelder zu erkunden. Aus technischer Sicht muss die multisensorische Schnittstelle die Handbewegung des Nutzers flüssig und quasi in Echtzeit in eine haptische, visuelle und akustische Darstellung der Daten umsetzen. Eine Darstellung ohne merkliche Verzögerung ist essenziell, da Menschen sehr empfindlich auf Zeitversatz zwischen den Sinnen und auf Verzögerungen in der Kopplung von Wahrnehmung und Handlung reagieren. Von ebenso großer Bedeutung wie diese technischen Herausforderungen ist die inhaltliche Frage, auf welche Weise bestimmte nanomechanische Eigenschaften – etwa die Viskoelastizität einer Probe – für die menschlichen Sinne aufbereitet und dargestellt werden sollten, um sie möglichst effizient erkunden zu können. Hier ist eine geschickte Verknüpfung kognitionswissenschaftlicher Erkenntnisse zur multisensorischen Displaygestaltung mit dem physikalischen Wissen um nanomechanische Eigenschaften gefragt. In der Kombination beider Bereiche betritt das Forschungsprojekt Neuland und wird innerhalb der nächsten 18 Monate ausloten, welcher Erkenntnisfortschritt in der Erkundung nanomechanischer Eigenschaften zu erzielen ist.

Forschungsbereich Sensorik und Kognition

Eine Kernfrage des von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts zielt auf ein Verständnis sensorischer und kognitiver Prozesse des Menschen, um komplexe physikalische Messdaten dem Menschen in geeigneter Weise zur Verfügung zu stellen. Das Projekt ist Teil des neuen Forschungsschwerpunkts "Sensorik und Kognition" an der Fakultät für Naturwissenschaften der Technischen Universität Chemnitz, der Physik und Psychologie verknüpft. Zu diesem gehören das Zentrum für Sensorik und Kognition sowie die Studiengänge "Sensorik und kognitive Psychologie" mit Abschluss Bachelor of Science bzw. Master of Science, welche Grundlagen der kognitiven Psychologie, Physik und angrenzender Wissenschaften vermitteln.

Förderinitiative "Experiment!"

Die Förderinitiative "Experiment!" der VolkswagenStiftung richtet sich an Forscherinnen und Forscher aus den Natur-, Ingenieur-, und Lebenswissenschaften, die eine radikal neue Forschungsidee verfolgen möchten. Beim Auswahlverfahren werden ebenfalls neue Wege erprobt. Aus den 594 Projektanträgen der Antragsrunde 2017 wählte die Stiftung die 119 passendsten Anträge aus. Eine achtköpfige externe Jury aus dem Ausland bewertete nur diese anonymisierten Ideen, sortierte qualitativ nicht überzeugende Anträge aus und wählte 17 Projekte zur Förderung aus. Zusätzlich gab es in diesem Jahr einen Losentscheid aus allen qualitativ überzeugenden Anträgen. Auf diese Weise erhalten auch Ideen eine Chance, die ansonsten leicht übersehen werden, so dass insgesamt 29 Projekte neu gefördert werden.

Kontakt

Weitere Informationen zu diesem Forschungsprojekt erteilen Prof. Dr. Robert Magerle, E-Mail , Telefon +49 371 531-38033 und Prof. Dr. Alexandra Bendixen, E-Mail , Telefon +49 371 531-32814.

(Autoren: Prof. Dr. Robert Magerle und Prof. Dr. Alexandra Bendixen. Der Text ist eine erweiterte Fassung des am 16.11.2017 erschienenen Artikels in Uni aktuell.)

Seeing, Hearing, and Feeling in the Nanoworld

Nanomechanical tissue properties will be made accessible to the human senses. This research idea combining physics and cognitive science is funded by the Volkswagen Foundation.

With an atomic force microscope, the shape of a surface and its local mechanical properties can be measured in great detail on the nanometer scale. Understanding this complex and multidimensional data, however, is still in its infancy. Biological tissues in particular display a very complex spatial structure, and their mechanical properties remain largely unexplored on the nanometer scale. The same holds for individual atoms and molecules deposited on surfaces and the forces acting between them. In the case of such complex data, analytical methods based on statistical data reduction have reached their limits.

Prof. Robert Magerle (Chemical Physics) and Prof. Alexandra Bendixen (Cognitive Systems) at Chemnitz University of Technology would like to fundamentally change the access to data analysis by making complex data accessible to human perception and cognition. With a haptic interface, the force fields measured with an atomic force microscope will be translated into forces perceivable to humans. Simultaneously, the surface shape and its local mechanical properties will be visually and acoustically presented. This will allow human users to interactively explore the forces measured on the nanometer scale, while simultaneously employing multiple senses. Such a type of data display appears particularly suitable for discovering so far unknown structures in spatially complex data with the help of human perception and cognition. In the project, we will examine different types of force translation functions with the haptic display, and we will study the interplay of human senses in the perception of the nanomechanical properties of biological tissues. The Volkswagen Foundation is funding the project with 120,000 euros for 18 months through its funding initiative "Experiment!".

The Project in Detail

Why should it be worthwhile to use the human senses to explore nanomechanical properties and forces on the nanometer scale? From sensory and cognitive psychology, it is well known that humans are remarkably adept at discovering patterns within complex structures as well as deviations from these patterns. If we succeed in using this human ability for biophysical research topics – in this project, for exploring nanomechanical tissue properties – this would offer the opportunity to discover entirely new physical phenomena. The project's cognitive science component complements the modern measurement methodology of atomic force microscopy by adding a novel analysis strategy. To ensure that this approach is successful, a number of scientific and technical challenges need to be mastered. Our goal is creating an interface that allows humans to explore the spatially complex data of nanomechanical force fields interactively and with multiple senses simultaneously (visual, auditory, and haptic). From a technological viewpoint, the multisensory display has to translate the user's hand motion fluently and quasi in real time into a haptic, visual, and auditory presentation of the data. Avoiding a perceivable delay between the different display channels is essential, since humans are very sensitive to asynchronies between the senses and to delays between perception and action. Of equally high importance as the technical challenge is the question of how particular nanomechanical properties – such as the specimen's viscoelasticity – can be translated to the human senses and represented so that they can be efficiently explored. This will require combining insights from cognitive science about the design of multisensory displays with detailed physical knowledge about nanomechanical properties. In combining these two fields, the project aims to break new ground. Within the next 18 months, we will test which advances in exploring nanomechanical properties can be achieved.

Research in Sensing and Cognition

At the heart of the project funded by the Volkswagen Foundation is understanding human sensory and cognitive processes, which in turn will enable complex physical data to be displayed to human users in a more favorable way. The project is part of the new research focus on "sensing and cognition" at the Faculty of Natural Sciences, which combines the fields of physics and psychology. This focus area comprises the Centre for Sensing and Cognition and the BSc and MSc degree courses in Sensory and Cognitive Psychology, covering the fundamental topics in cognitive psychology, physics, and related fields.

The Funding Initiative "Experiment!"

The Volkswagen Foundation's funding initiative "Experiment!" addresses researchers in the natural sciences, engineering, and the life sciences who plan to test a fundamentally novel and risky research idea. At the same time, the foundation is testing a completely new review process. In 2017, the foundation pre-selected 119 from all 594 proposals received. An external selection committee of eight scientists from abroad evaluated only these anonymized ideas, screened for qualitatively convincing proposals, and selected 17 of them for funding. Additionally, projects from all convincing proposals were drawn in a lottery. In this way, ideas that might otherwise easily be overlooked get a chance, with 29 projects receiving new funding.

Contact

For further information about this project, please contact Prof. Robert Magerle, E-mail , Telephone +49 371 531-38033 or Prof. Alexandra Bendixen, E-mail , Telephone +49 371 531-31681.

(Authors: Prof. Robert Magerle and Prof. Alexandra Bendixen. This text is the expanded English version of an article published in Uni aktuell on November 16, 2017.)