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Professur für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre
Historie

Foto: © Thomas Maurer

Die Historie des Doktorandenseminars

HypoVereinsbank-UniCredit Group-Stiftungsfonds in memoriam Giovanna Crivelli zur Förderung bankwissenschaftlicher Nachwuchskräfte


Die Ausgangslage

Wissenschaft in den Neuen Bundesländern? Das war die Frage, die sich nach der Wende in Sachsen, Brandenburg & Co. stellte. Mit viel Geld aus den alten Bundesländern wurde das Hochschulwesen der DDR grundlegend reformiert. Damit war der Grundstock für die zukünftige Entwicklung gelegt. Aber gute Wissenschaft ist mehr. Zu erfolgreichem Forschen und Lehren gehört nicht nur die Hardware der Bücher, Hörsäle, Fakultätsgebäude, Computer und Mensen, sondern auch die Software des Gedankenaustausches von Wissenschaftlern, des gemeinsamen kreativen Forschens, des Lernens von den Problemen anderer, des gemeinschaftlichen Ringens um die beste Lösung. Das Salz der Wissenschaft ist ein vertrauensvolles, freundschaftliches Miteinander, ein regelmäßiger Gedankenaustausch, und direkter, persönlicher Kontakt.

Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen

Wie kann man diesen Teil der Wissenschaft befördern? Das war die Frage, die sich Anfang der 90er Jahre das kongeniale Team von Experten der HypoVereinsbank, der drei Professoren Eilenberger aus Rostock, Stehle aus Berlin und Meyer zu Selhausen aus München und Peter Beck vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft stellte.

Das Team war bereit, die Arbeit einer wissenschaftlich orientierten Stiftung grundlegend umzukrempeln. Die „Wende“ sollte sich nicht nur in den neuen Bundesländern abspielen. Auch im Westen durfte reformiert werden. Bis dahin war überwiegend mit traditionellen Instrumenten (Stipendien, Druckkostenzuschüssen etc.) gefördert worden. Aber förderte man damit die Wissenschaft wirklich in bestmöglicher Weise? Oder erhielten vielleicht statt der Besten die Schnellsten und statt der Schlausten die Gewandtesten die Fördergelder? Regen Preise für beste Arbeiten die besten Forscher bestmöglich an? Oder bestimmt nicht oft eher das Prinzip Zufall, was eine beste Arbeit ist? Und trifft die Auszeichnung fertiggestellter Arbeiten nicht oft die Geehrten zum falschen Zeitpunkt, zu dem sie wissenschaftlich abgeschlossen haben und in der Praxis mit bereits ausreichend hohen Einkommen neue Ziele anstreben?

Die Innovation

Ergebnis der Überlegungen des Teams war das „universitätsübergreifende Doktorandenseminar“, das sich zu einer der erfolgreichsten Reformmodelle der Wissenschaftsförderung der letzten Jahre entwickelt hat. Statt der traditionellen Methode der Förderung von Ergebnissen der Forschung wird nun der Weg zum Ergebnis gefördert. Der wissenschaftliche Austausch von Ideen steht im Vordergrund der Bemühungen.

Zweimal jährlich organisieren die beteiligten Lehrstühle reihum ein Seminar für die Doktoranden und Professoren aller Lehrstühle. Die Kosten übernimmt der HypoVereinsbank-Stiftungsfonds. Mit Ausgaben von etwa 150.000 DM wurde bisher gefördert. Der Wettbewerb der teilnehmenden Universitäten stachelt die jeweiligen Organisatoren an, ihr Bestes zu geben. Etwa fünf Doktoranden tragen ihren Forschungsstand vor. Jeweils eine Stunde wird über die Arbeiten berichtet und diskutiert.

Export in den Westen

Mittlerweile hat sich das übergreifende Doktorandenseminar als voller Erfolg herausgestellt. Das Konzept wird zum Exportschlager. Es ist 2001 erstmalig auf die alten Bundesländer übertragen worden. In Bochum fand Anfang Juli das erste „westliche“ Seminar statt. Weitere im bayerischen und südwestdeutschen Raum sollen folgen. In den neuen Bundesländern hat die TUC die Koordination übernommen.

Wer nimmt teil?

Teilnehmer des universitätsübergreifenden Doktorandenseminars sind die bank- und finanzwirtschaftlichen Lehrstühle von Universitäten der neuen Bundesländer. Teilnahmeberechtigt sind ausschließlich Assistenten, externe Promovenden und die Professoren der Lehrstühle.

Die Zahl teilnehmender Universitäten ist stattlich, wie der Liste der Lehrstühle des Doktorandenseminars Ost entnommen werden kann.

Es geht hart zur Sache

Jeder Lehrstuhl steuert im Durchschnitt vier bis fünf Doktoranden bei, die fast alle regelmäßig die Gelegenheit nutzen, sich wissenschaftlich zu messen, zu lernen oder sich Rat zu holen. Zwischen 50 und 60 junge Wissenschaftler kommen auf diese Weise zu den Seminaren zusammen. Gelegentlich geht es freundlich, oft auch hart und kompromisslos zu. „Warum haben Sie nicht ....“, „sollten Sie nicht besser ....“, „unhaltbar ....“ usw. sind nicht selten zu hörende Vorwürfe. Aber auch: „das ist interessant ...“, „hier haben sie etwas entdeckt ...“ usw. Zu jedem Thema gibt es im Kreis der teilnehmenden Doktoranden und Professoren jemanden, der selbst auf dem Gebiet forscht, der sich auskennt, der weiterführende Hinweise geben kann. Das heißt auch: die vortragenden Doktoranden müssen alles geben, um zu bestehen.

Ziel des Seminars ist es für alle Teilnehmer, mit wertvollen Erfahrungen wieder nach Hause zu fahren. „Der Ansatz ist gut“, „Hier droht eine Sackgasse“, das Problem muss schärfer formuliert werden“, „die Methodik ist zu verbessern“, „da gibt es diese und jene Literatur“, „Sie tragen gut vor ...“ sind Eindrücke, die mit nach Hause genommen werden können. Auch diejenigen, die nicht referieren, profitieren. Sie lernen von den Referenten und Referaten, wenn sie auf gleichem Gebiet arbeiten, ganz abgesehen von der Erweiterung des eigenen Horizontes, wenn man fünf Fachvorträge zu brandaktuellen Themen zu hören bekommt. Oftmals präsentieren die Doktoranden Antworten und Lösungen, die erst Jahre später die allgemeine Öffentlichkeit erreichen. Der Hörsaal, an dem sich Freitagsabends und Samstags die Wissenschaftler treffen, gleicht insofern einem Geheimlaboratorium, in das viele gerne Einblick nähmen.

Für die Förderung kann dem Stiftungsfonds nicht hoch genug gedankt werden. Ohne die finanziellen Zuschüsse würden die regelmäßigen Treffen einer solch großen Zahl von Experten und werdenden Experten aus Kostengründen nicht zustande kommen. Der Stiftungsfonds unterstützt die Fahrtkosten und die Unterkunft. So wird das Entstehen von Wissenschaft ganz konkret beflügelt, und es lässt sich eindeutig sagen: ohne Förderung gäbe es den Austausch nicht.

Preise für Doktorarbeiten

Mittlerweile sind die ersten Doktorarbeiten fertiggestellt und bei renommierten Verlagen veröffentlicht worden. Einige sind mit Preisen ausgezeichnet worden.

Es spricht für das Seminar, dass eine erstaunlich große Zahl von Doktoranden den Weg in die Forschung und Lehre geschafft hat. Acht Wissenschaftler habilitieren oder sind bereits habilitiert. Drei davon sind Professoren an Universitäten (Potsdam, Hannover, Hagen) und einer Professor an einer FH geworden (Erfurt). Einer hat gerade einen Ruf einer westdeutschen Universität erhalten.

In die Praxis

Diejenigen, die die Praxis einer wissenschaftlichen Laufbahn vorziehen, gehen – und das ist ein kleiner Wermutstropfen – durchweg in den Westen. Vorstandsreferenten in Frankfurt, Head of Central Controlling eines Konzerns in Hannover, Unternehmensberater in Stuttgart, München oder Berlin, Mitarbeiter bei Banken in London und Frankfurt, sind typische erste Arbeitstellen der Doktoranden.

Ob die Geförderten wenigstens an ihre Zeit in den Neuen Bundesländern zurückdenken?