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Professur für Physikalische Chemie/Elektrochemie
Elektrochemie

Leistung und Wissenschaft - Eine Polemik

 

Ein Volkswirt würde bei dem Ansinnen, die Leistungsfähigkeit eines Systems oder einer Organisation nach dem Aufwand („Input“) zu bewerten vermutlich nur mit Mühe sein vorzeitiges Ableben durch Totlachen vermeiden, ebensowenig würde ein Autoverkäufer die besondere Leistungsfähigkeit eines Fahrzeugs durch hohen Treibstoffverbrauch betonen wollen. Eher würde der Volkswirt die erzielte Leistung („Output“) betrachten, der Autoverkäufer die erreichte Fahrleistung. Beide würden den Aufwand (den Treibstoffverbrauch) allenfalls bei der Ermittlung der spezifischen, aufwandsbezogenen Leistungsfähigkeit heranziehen.

Selbst das Quantifizieren von „Output“ z.B. in Form des Bruttosozialproduktes ist – zumindest anderenorts – durchaus umstritten (The Atlantic Monthly, November 2009). Diese Bedenken fechten Wissenschafts- und Finanzpolitiker in unseren Breiten nicht an – sie messen die „Qualität“ (was immer das sein mag) oder die Leistungsfähigkeit (dito) von Hochschulen und ihren Einrichtungen bevorzugt und mit geradezu beunruhigender Penetranz durch Ermitteln des Aufwands – der in das System gesteckten Drittmittel und der neuimmatrikulierten Studenten (zum Begriff Studierende siehe: A. von Schönburg: Lexikon der überflüssigen Dinge, Rowohlt, Berlin 2006, S. 177). Welche Mittel man dabei berücksichtigt ist in der Regel unklar, üblicherweise willkürlich. Hinterfragen oder gar transparent Machen: unerwünscht. Eine halbwegs angemessene Betrachtung des „Outputs“ unterbleibt – vor allem in jüngster Zeit – nahezu konsequent, allenfalls bei Bewerbern blickt man - wenn es gar nicht zu vermeiden ist - auf das wissenschaftliche Werk. Bei bestehenden Einrichtungen (Fakultäten, Instituten etc.) scheint das nach bislang als gültig angenommener akademischer Tradition übliche Würdigen von veröffentlichten Resultaten völlig irrelevant geworden zu sein, die Zahl von Absolventen wird nicht einmal ermittelt. Stattdessen wird allenfalls auf die Zahl der Neueingeschriebenen geschielt – und auch diese Zahl wird nach einem Jahr vergessen und durch eine neue Zahl ersetzt. Es wird weder nach der „Ausbeute“ – wie viele Studierende haben das Studium erfolgreich abgeschlossen, wieviele sind in welchen Semestern und aus welchen Gründen ausgestiegen – gefragt noch werden die Ursachen schlechter Ausbeute betrachtet. Zugegeben: Maßnahmen, die möglicherweise zu Antworten auf diese offenbar unerwünschten Fragen führen, wären unbequem und aufwändig.

Während das Ermitteln des „Inputs“ an Neuimmatrikulierten noch recht einfach geht ist das Geldzählen offenbar etwas vertrackter. Es findet wie üblich hinter verschlossenen Türen statt, die Ergebnisse nehmen erstaunliche Wege, sie verselbständigen sich und sind rasch über jede kritische Frage erhaben. Naturgemäß entwickeln die Zahlen ein Eigenleben, und nach einmal Abschreiben gelten sie vermutlich auch als wahr. Warum dieses merkwürdige Interesse, diese fast sakrale Bewunderung?

Allem manifesten Desinteresse zum Trotz sei dazu ein Blick auf die Parameter und Daten gestattet, die zu anderen Zeiten als Indikator wissenschaftlich-akademischer Leistungsfähigkeit geworfen. Dabei ergibt sich auch zwanglos der Grund für das heillos-oberflächliche Interesse an der aktuellen Zählwut: Vor relativ kurzer Zeit – sie kann noch leicht in Monaten oder wenigen Jahren bemessen werden – kulminierten verschiedene Trends in der politischen und öffentlichen Debatte: Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern wurde der Anteil akademisch Ausgebildeter in der deutschen Bevölkerung als zu gering erachtet, es ertönte der laute Ruf nach einer Steigerung der Abiturientenzahl und der damit zusammenhängenden „Studierendenquote“ (die angibt, wieviel Prozent eines Abiturjahrgangs ein Studium aufnimmt). Gleichzeitig wurde über eine weitere Öffnung des Hochschulzugangs am Abitur vorbei nachgedacht (offenbar weitgehend wirkungslos). Milde Beruhigung verbreiteten die Bildungswissenschaftler, die auf die offenbar recht unterschiedliche Bedeutung des Begriffs „akademisch gebildet“ hinwiesen, offenbar sind andere Länder da wesentlich großzügiger. Auf Kollisionskurs bewegte sich die demografische Entwicklung. Allenthalben wurden (und werden immer noch) Zahlen geborener Kinder (meist von den tatsächlichen Angaben des statistischen Bundesamtes fröhlich unbeeinträchtigt) verbreitet, die das baldige Ausbleiben von Studierwilligen (oder –fähigen oder -berechtigten, aber die Unterschiede sind meist zu fein, um beachtet zu werden) am Horizont deutlich leuchten lassen. Dem Ganzen überlagert sind die absehbaren Auswirkungen der Verkürzung der gymnasialen Oberstufe, die vorübergehend eine drastische Steigerung der Abiturientenzahl bewirkt. Der aus diesen diversen Gründen naheliegende Ausbau der deutschen Hochschulen (in vielen Fällen wäre zunächst wohl eher eine seit Jahrzehnten vernachlässigte bauliche Sanierung der vorhandenen Einrichtungen angezeigt) kollidiert nun mit leeren öffentlichen Kassen. Unter diesen Umständen kamen die regionalen Unterschiede der demografischen Entwicklung wie gerufen – man glaubt viel Geld zu sparen, wenn man Studierwillige aus „kinderreichen“ Regionen in „kinderarme“ lenkt. Abgesehen von der geflissentlich ignorierten Tatsache, daß dies selbst in einer zentralistischen Planwirtschaft nur schwer funktioniert – was soll eine Abiturientin aus Stuttgart veranlassen, zum Studium nach Freiberg oder Chemnitz zu gehen? Vermutlich die Drittmitteleinwerbung der dort tätigen Hochschullehrer. Ein Schelm, wer jetzt schon wieder den lachenden Volkswirt kurz vor seinem Abgang hört. Man sollte sich also – nun etwas ernster – Gedanken machen, wie man diese Abiturientin zu dem erwünschten Ortswechsel motivieren könnte. Da unbestätigten Gerüchten zufolge das Internet eine wesentliche Informationsquelle darstellt hilft ein Blick dorthin weiter. Er führt allerdings zu dem starken Eindruck, daß genau dieser Ortswechsel den Verantwortlichen weitgehend gleichgültig ist. Verstehen kann man dies – alle Mühen an dieser Stelle sind für den engagierten Urheber vollkommen wirkungslos, wenn es um die Messung seiner Leistung geht (denn dort spielen Aktivitäten dieser Art überhaupt keine Rolle, sie werden meist ohnehin als lästig empfunden).

Um aus der  erwarteten vorübergehend überhöhten Studienplatznachfrage herauszukommen wurde vereinbart, daß in den „nachwuchsarmen“ Bundesländern Studienplätze nicht im als angemessen empfundenen Umfang abgebaut werden (wie auch immer diese Empfindung quantifiziert worden wäre), sondern weiter bereitgehalten werden. Zum Ausgleich werden Bundesmittel bereitgestellt. Sie sind allerdings (wohl damit die Gier der Geldannahmestellen nicht völlig enthemmt wird) an Mindestzahlen von Studienanfängern gebunden. So schielt man also jeden Oktober auf die Zahl der Neuimmatrikulationen, und wenn es mal wieder gereicht hat stellt man erleichtert und im Brustton des gesteigerten Selbstbewußtseins fest, daß man es doch genau richtig gemacht habe – und daher jegliche Verbesserung entbehrlich sei. Eine Weile mag das noch gut gehen, aber bereits jetzt kann man krude Versuche beobachten, mit recht befremdlich wirkenden Maßnahmen die Studierendenzahlen aufzublasen.

Allen Widrigkeiten zum Trotz sei dennoch ein weiterer Blick auf die verblichenen Kriterien akademischer Leistung gestattet: Neben der Zahl von Absolventen, die auf einzelne Arbeitskreise oder Personen bezogen meist um die der erfolgreichen Doktoranden und anderweitig Qualifizierten ergänzt wurde, spielte auch ihr weiterer Verbleib eine Rolle. Man machte also zwischen Absolventen, die sich auf Zeitstellen oder ausbildungsfern über Wasser hielten, und inzwischen selbst zu Hochschullehrern aufgestiegenen einen Unterschied. Heute ist man froh, wenn sprachlich zwischen Alumni und Ehemaligem noch unterschieden werden kann.

Ein weiteres Kriterium ist das wissenschaftliche Œuvre (zugegeben, dieser Begriff wird eher mit Künstlern verbunden). Es gibt keine Wissenschaft, die ohne Kommunikation, d.h. Mitteilung und Diskussion ihrer Ergebnisse, ernsthaft auskommen kann. Einen ersten und meist entscheidenden Eindruck verschafft ein Blick in einschlägige Referatedienste (z.B. Web of Science), aus dem für unser Institut für Chemie folgende Daten erfaßter Veröffentlichungen leicht zugänglich sind:

Interessant und für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit besonders aufschlußreich ist ein Blick auf die jeweils eingesetzten Ressourcen (den Aufwand oder Input). Man dividiert einfach die Zahl durch eine entsprechende Bezugsgröße, z.B. die Zahl der Mitarbeiter im Arbeitskreis. Da in Deutschland vergleichende Werbung leider nahezu verboten ist soll in Anlehnung an den wohlgemeinten Gedanken, der angeblich dahinter steht, hier auf diese Rechnung verzichtet werden. Sie ist aber sicher leicht mit jedermann zugänglichen Daten nachholbar.

Die völlige Mißachtung und Geringschätzung dieser der Öffentlichkeit geschuldeten Aufgabe (schon wieder eine offenbar rückwärtsgewandte Sicht) hat beim letzten sächsischen Hochschulrating (oder war es ein –ranking, man weiß das oftmals nicht mehr so genau) dazu geführt, daß man dieses Kriterium schlicht ignoriert hat. Der Aufschrei aus der Leipziger Universität (die in Sachsen als einzige eine umfassende und tiefgehende geisteswissenschaftliche Basis hat) war ebenso gut hörbar wie wirkungslos. Buchautoren gelten als seltsam und eigentlich entbehrlich. Da man Bücher aus dem Internet herunterladen kann (so etwas ähnliches hat Mark Twain schon festgestellt: Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben, wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann.) und der Rest bei Wikipedia steht braucht man diese Autoren eigentlich nicht mehr.

Da Wissenschaft auf Kommunikation angewiesen ist (für Bücher gilt das offenbar nur noch recht begrenzt) und sich im Diskurs weiter entwickelt war eine lange und gehaltvolle Liste wissenschaftlicher Gäste ebenso wie der längere Aufenthalt von Gastwissenschaftlern stets ein Zeichen hohen Standards. Wer langweilige oder unauffällige Forschung betreibt dürfte für Gäste kaum anziehend sein. Andererseits: Gastgeber zu sein bedeutet Mehrarbeit, und ein eventueller Geldfluß ist wiederum meist keine Drittmitteleinnahme. Also entledigt man sich dieser Belastung, auch hier mag der interessierte Besucher sich ein Bild selber machen.

Und warum hat sich das Dritmittelzählen nun so in den Vordergrund und Mittelpunkt gedrängt? Geld ist für die erwähnten Wissenschafts- und Finanzpolitiker leicht nachzählbar und sehr objektiv. Nun soll nicht bestritten werden, daß ein Euro recht genau hundert Cent entspricht, doch schon bei flüchtiger Betrachtung (Fragen sind unerwünscht, Diskussion oder gar Korrektur sakrosankt) zeigt sich grobe Willkür: Es werden angeblich nur Drittmittel gezählt, die durch die Universitätskasse fließen. Welch charmante Ignoranz. Im zweiten Anlauf wird behauptet, daß hohe Drittmittelzuflüsse Zeichen guter Forschung sind. Dies legt die interessante Folgerung nahe, daß ein Wissenschaftler im Jahr der erfolgreichen Einwerbung eines kostspieligen Meßgerätes gute Forschung macht – und in den folgenden Jahren bei der Nutzung dieses Gerätes (das kaufmännisch abzuschreiben natürlich wieder zu umständlich wäre) schlechte Forschung. Außer der Bequemlichkeit des Geldzählens bleibt kaum etwas übrig.

Fazit: Man kann dem Zeitgeist nachrennen und – ganz im opportunistischen Stil – alles, was Arbeit macht und/oder entbehrlich geglaubten akademischen Traditionen verpflichtet ist, sorglos über Bord werfen. Oder: Man hat den Zeitgeist fest im kritischen Blick und läßt sich trotzdem nicht von ihm hetzen – und behält ebenso fest im Blick, was gut und richtig war und ist.

(Kurt Tucholsky: Nichts ist schwieriger und nichts erfordert mehr Charakter, als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!)

 

©Rudolf Holze 2016

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