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Wo könnten Menschen mit Migrationshintergrund die Bundestagswahl entscheiden?

Arndt Leininger, Juniorprofessor für Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der TU Chemnitz, war an einer Untersuchung beteiligt, die fundierte Schätzungen des Einflusses von Menschen mit Migrationshintergrund auf die bevorstehende Bundestagswahl liefert

Wie viele Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund gibt es in Deutschland und welchen Einfluss könnten sie bei der kommenden Bundestagswahl haben? Um diese Frage zu beantworten, haben Arndt Leininger, Juniorprofessor für Politikwissenschaftliche Forschungsmethoden an der Technischen Universität Chemnitz, und Julius Lagodny von der Cornell University (Ithaca, New York) gemeinsam mit der Nichtregierungsorganisation „Citizens for Europe“ erstmals die Zahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund und deren Anteil an der wahlberechtigten Bevölkerung näherungsweise auf Ebene aller 299 Bundeswahlkreise bestimmt. Datenbasis waren Daten des Bundeswahlleiters sowie der Mikrozensus – eine Datenerhebung der amtlichen Statistik, die jährlich durchgeführt wird. Knapp ein Viertel der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands haben einen Migrationshintergrund - das heißt, sie oder mindestens ein Elternteil sind nach Deutschland zugewandert oder wurden als Ausländerin bzw. Ausländer in Deutschland geboren. Diese Informationen sind bereits in den Datensätzen des Mikrozensus codiert.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Untersuchung? „Insgesamt sind es etwa 7,6 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund, die bei der bevorstehenden Bundestagswahl wählen dürfen und mit ihrer Erststimme das Direktmandat für den Bundestag entscheiden. Der Anteil an Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund beträgt 12,2 Prozent und entspricht damit mindestens 74 Bundestagsmandaten“, sagt Leininger und fügt hinzu: „Zur Zeit haben aber laut Information des ‚Mediendienstes Integration‘ nur 58 Bundestagsabgeordnete einen  Migrationshintergrund, was sozusagen zu einem Repräsentationsdefizit führt“. „Bundesweit könnten in 167 von 299 Wahlkreisen Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund den Unterschied machen, wer das Direktmandat für den Bundestag gewinnt“, sagt Leininger. In diesen Wahlkreisen übersteige nämlich die Anzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund den Abstand an Stimmen zwischen der erst- und zweitplatzierten Direktkandidatin bzw. dem erst- und zweitplatzierten Direktkandidaten der letzten Bundestagswahl im Jahr 2017.

Wenn die Wissenschaftler allein auf den Freistaat Sachsen blicken, haben dort nur 2,61 % aller Wahlberechtigten einen  Migrationshintergrund. „Das entspricht lediglich etwa einem Bundestagsmandat aus Sachsen, das sächsische Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund repräsentieren sollte“, so Leininger. Tatsächlich habe aber laut Recherchen des „Mediendienstes Integration“ keiner der sächsischen Bundestagsabgeordneten einen Migrationshintergrund. Auch in Sachsen können aus Sicht von Leininger Wahlberechtigte mit Migrationshintergrund trotz ihres geringen Anteils potentiell über Direktmandate entscheiden: „Die Wahlkreise 153 Leipzig II, 157 Görlitz und 161 Mittelsachsen waren 2017 unter den Top-20 der knappsten Erststimmenergebnisse. In diesen Wahlkreisen übersteigt die Anzahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund den Abstand an Stimmen zwischen der erst- und zweitplatzierten Direktkandidatin bzw. dem erst- und zweitplatzierten Direktkandidaten – die Linke vor der CDU in Leipzig II, die AfD vor der CDU in Görlitz und die CDU vor der AfD in Mittelsachsen.“

Die beteiligten Wissenschaftler sowie „Citizens for Europe“ schließen aus der Untersuchung, dass es sich für Parteien durchaus lohnt, stärker als bisher um diese Gruppe von Wählerinnen und Wählern zu werben und ihnen Politikangebote zu machen. „Wer in der Politik das Potenzial von Menschen mit Migrationshintergrund erkennt und ihre Themen berücksichtigt, kann deren Motivation, an der Bundestagswahl teilzunehmen, erhöhen und deren Wahlentscheidung durchaus beeinflussen, was in zahlreichen Wahlkreisen letztendlich das Zünglein an der Waage sein kann“, meint Leininger. „Bisher ist es so, dass die Wahlbeteiligung und Parteibindungen unter Deutschen mit Migrationshintergrund geringer ausfällt als unter Deutschen ohne Migrationshintergrund“, so der Chemnitzer Politikwissenschaftler.

Hintergrund: Datenbasis der Untersuchung

Bei dieser Untersuchung wurden neben Daten des Bundeswahlleiters auch der sogenannte  Mikrozensus genutzt. Dieser bietet eine hohe Datenqualität aufgrund eines sehr großen Samples von über 700.000 Befragten pro Jahr und einer gesetzlichen Teilnahmepflicht für die zufällig ausgewählten Befragten und dient als Grundlage für zahlreiche offizielle Statistiken. Konkret wurde von den Wissenschaftlern die Anzahl der Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft innehaben, zum Wahltag Ende September 2021 mindestens 18 Jahre alt sind und einen Migrationshintergrund haben, für alle 299 Bundestagswahlkreise im Jahr 2021 bestimmt. Ebenso haben die Wissenschaftler bestimmt, wie viele Menschen mit Migrationshintergrund, unabhängig von Staatsbürgerschaft und Alter, insgesamt in jedem Wahlkreis leben. Über ihren Wohnort wurden die Befragten dann den Bundestagswahlkreisen 2021 zugeordnet. In der weiteren Untersuchung ermittelten die Wissenschaftler für jeden Bundestagswahlkreis die geschätzte Zahl der Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund sowie die geschätzte Zahl der Einwohnerinnen und Einwohner mit Migrationshintergrund insgesamt. Die zugrunde liegenden Daten sind frei verfügbar via Harvard Dataverse: https://doi.org/10.7910/DVN/GPEV4P

Die Publikation zur Untersuchung findet sich hier.

Weitere Informationen erteilt Jun.-Prof. Dr. Arndt Leininger, Tel. 0371 531-33357, E-Mail arndt.leininger@phil.tu-chemnitz.de.

Mario Steinebach
09.09.2021

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