MADRID MONUMENTAL

 

JUNIORPROFESSUR KULTURELLER UND SOZIALER WANDEL

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Denkmäler gehören zu jenen Gedächtnisstützen, die eine Gemeinschaft benötigt, um bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten ihrer Geschichte zu vergegenwärtigen. Das Ziel dieser Erinnerungsorte[1] ist die Vergewisserung kollektiver Identität. So wundert es nicht, dass ein großer Teil der Denkmäler, die die modernen europäischen Hauptstädte schmücken, aus dem Zeitalter der Bildung moderner Nationalstaaten stammt. Wie Wolfgang Hartwig in einem Beitrag zu nationalem Bewusstsein und Denkmal von 1786 bis 1933 treffend formuliert: „[Denkmäler] gehören zur optischen Signatur des Zeitalters der Nationen in Deutschland wie in allen europäischen Staaten […]“.[2] Die jungen Nationalstaaten legten großen Wert auf das Schreiben einer nationalen Geschichte, in der das Volk anstelle des dynastischen Herrschers die Stelle des Protagonisten einnahm.

Spanien bildete keine Ausnahme in dieser gesamteuropäischen Entwicklung. Der Sieg über die napoleonischen Truppen im Unabhängigkeitskrieg (1808-1814) trug dazu bei, dass sich unter den intellektuellen Eliten des revolutionären Bürgertums die Idee einer spanischen Nation konsolidierte, die die Verfassung von Cádiz im Jahr 1812 geprägt hat. Die spanische Nation wurde dort als Gesamtheit der spanische Bürger konzipiert, die souverän und gleich vor dem Gesetz sind.[3]

Die Ideologie des nationalen Liberalismus französischen Zuschnitts hatte in Spanien zentralistische Züge. Die Idee der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz setzte die Abschaffung von regionalen Eigenwegen oder territorialer Privilegien in Gang.[4] Die Denkmäler aus dieser Zeit zeugen von eben dieser Bemühung um Zentralismus: Sie verweisen auf Erinnerungsorte einer spanischen Nationalgeschichte, die die Identifikation aller Bürger mit dem spanischen Staat unterstützen sollen; dabei vernachlässigen sie bewusst oder unbewusst lokale Geschichten und Identifikationsrahmen.

Für uns heute sind diese Denkmäler in erster Linie ein Zeugnis der Bemühung des spanischen Nationalstaates im 19. Jahrhundert, Symbole einer homogenen, gesamtspanischen Geschichte und Identität zu etablieren. Sie zeigen uns das Funktionieren des kulturellen Gedächtnisses auf staatlicher Ebene; über die tatsächliche Identifikation des spanischen Volkes mit dieser Narrative nationaler Identität lassen sie jedoch keine sicheren Aussagen zu. Für die meisten Denkmäler kam die Initiative „von oben“. Wenn die Errichtung von Denkmälern in öffentlichen Plätzen zuweilen auch auf die Initiative bestimmter – patriotisch gesinnter – sozialer Gruppen zurückging, so bedurfte sie stets der Zustimmung staatlicher Behörden.

Madrid wurde zum Ressonanzraum dieser national-zentralistischen Erinnerungspolitik. War Madrid bereits seit dem 16. Jahrhundert die Hauptstadt der spanischen Reiche und Residenz der Könige, so sollte die Stadt nun das Haupt des modernen Nationalstaats werden. Besonders im letzten Drittel des 19. Jahrhundert fand eine regelrechte Monumentalisierung Madrids statt.[5]

Die ersten Zeugnisse der modernen Denkmalkunst im Dienste des spanischen Nationalstaats entstanden nach dem Unabhängigkeitskrieg in dem Bedürfnis, die Gefallenen national-patriotisch zu ehren. Deswegen ist gerade der 2. Mai 1808 – der Tag des Aufstands gegen die französische Besatzung – ein Erinnerungsort, an den gleich mehrere Denkmäler in Madrid erinnern. Aber auch andere Erinnerungsorte der spanischen Nationalidentität werden durch Monumente im Zentrum Madrids evoziert. Eine Auswahl solcher Erinnerungsorte wird auf den folgenden Seiten behandelt.

Lesen Sie mehr:

 


[1] Nora 1990.
[2] Hartwig 1999: 169.
[3] González Anton 2002: 430.
[4] González Anton 2002: 431.
[5] Reyero 2003: 43.

 

Bibliografie:

  • Hartwig, Wolfgang (1999): „Der bezweifelte Patriotismus. Nationales Bewußtsein und Denkmal 1786 bis 1933“ in: Borsdorf, Ulrich / Grütter, Heinrich Theodor (Hgg.), Orte der Erinnerung. Denkmal, Gedenkstätte, Museum. Frankfurt a.M.: Campus, 169-188.
  • González Antón, Luis (2002): España y las Españas. Madrid: Alianza.
  • Nora, Pierre (1990): Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Berlin: Wagenbach.
  • Reyero, Carlos (2003): „Monumentalizar la capital: la escultura conmemorativa en Madrid durante el siglo XIX“ in: Lacarra Ducay, Maria del Carmen / Giménez Navarro, Cristina (Hgg.), Historia y política a través de la Escultura pública 1820-1920. Zaragoza: Institución Fernando el Católico.