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Infante Dom Henrique (dt. Heinrich der Seefahrer) lebte von 1394 bis 1460. Dem Sohn des portugiesischen Königs João werden eine Großzahl der Entdeckungen Portugals des 15. Jahrhunderts zugeschrieben.[1]

Heinrich, der als dritter Sohn des Königspaares keine Aussichten auf die Thronfolge hatte, widmete sich schon sehr früh der Schifffahrt. So begann der junge Prinz bereits 1412 mit seinem Bruder Pedro, die portugiesische Flotte für einen Überfall auf die von den Mauren bewohnte Stadt Ceuta auf dem Gebiet des heutigen Marokko auszurüsten. Am 25. Juli 1415 hissten die Kriegsschiffe, besetzt mit rund 50.000 Mann, die Segel. Unter ihnen waren auch Heinrich, der nur an dieser Reise selber teilnahm, und seine Brüder Duarte und Pedro. Mitte August war Ceuta unterworfen; in den folgenden Jahren brachte Ceuta den Portugiesen aber kein Glück. Ständige Überfälle der Mauren verhinderten ein Vordringen ins Innere Afrikas und eine wirtschaftliche Nutzung Ceutas.

1420 wurde dem Infanten vom Papst die Leitung des Christusordens übertragen, die ihm eine Streitmacht und umfangreiche Einkünfte bescherte. Im selben Jahr landeten von ihm entsandte Entdecker auf Madeira, sieben Jahre später wurden die Azoren entdeckt und beide Neuentdeckungen besiedelt und kolonialisiert. Im Jahre 1434 gelang es Gil Eanes, das für unpassierbar gehaltene Kap Bojador (in der heutigen Westsahara) zu umsegeln.

Die Entdeckung der afrikanischen Westküste wurde ab 1434 immens vorangetrieben, denn die Reisen begannen sich wirtschaftlich auszuzahlen und zogen immer mehr interessierte Seefahrer an.

Ein wichtiger Meilenstein für die Seefahrt der folgenden Jahrhunderte ist das Jahr 1441. Die Erfahrungen mit dem wilden Atlantik zahlten sich aus. Unter der Leitung von Heinrich entstand in Lagos die erste Karavelle, ein Schiff, das gegen den Wind kreuzen konnte und somit die Winde des Atlantiks perfekt ausnutzte.

Bis zu seinem Tod 1460 organisierte er weitere Seefahrten, die immer weiter in den Süden Afrikas vordrangen.

Die Bedeutung Heinrichs für die portugiesische Expansion ist vielschichtig: Zunächst förderte er finanziell und moralisch neue Erkenntnisse in der Navigation und Kartographie. Die Entwicklung der Karavelle begünstigte alle weiteren Entdeckungsfahrten, besonders die Atlantikerkundungen. Heinrichs Engagement schlug sich besonders in der Wirtschaft nieder. Der Sklavenhandel, den er in Portugal einführte, und der Handel mit den Kolonien bescherte Portugal zunächst materiellen Wohlstand.

Außerdem zeigten die Seefahrten des 15. Jahrhunderts, dass das mittelalterliche Bild des Atlantiks als einem 'Meer der Finsternis', das nicht zu durchdringen ist, lediglich ein Aberglaube war.

Die Erinnerung an Heinrich im Wandel der Zeit

Heinrich den Seefahrer umgibt eine Reihe von Mythen, deren Wahrheitsgehalt rund 550 Jahre nach seinem Tod nicht mehr nachvollziehbar ist. Die Tatsache, dass fast alle Quellen über den portugiesischen Prinzen keine zeitgenössischen sind, erschwert die Überprüfung. Besonders die europäische Kolonialisierungswelle im ausgehenden 19. Jahrhundert sensibilisierte für die portugiesische Expansion, aus dieser Zeit stammt ein Großteil der Quellen über Heinrich den Seefahrer. Die raren Informationen über den Königssohn ließen großen Raum für Spekulationen, Mythen und Legenden.

Fest steht allerdings, dass das Bild Heinrichs trotzdem (oder besonders deswegen) seit seiner Lebenszeit das portugiesische Selbstverständnis und Selbstbild prägte. Zu jeder Zeit galt der Infant als Nationalheld mit typisch heldenhaften Charakteristika. Die ihm zugeschriebenen Eigenschaften allerdings wandelten sich von Jahrhundert zu Jahrhundert durch eine Vermischung mit zeitgenössischen Werten und Sichtweisen[2].

Das Bild Heinrichs im 15. Jahrhundert prägte vornehmlich Gomes Eanes de Azurara, seinerzeit Hofchronist des portugiesischen Königs, durch seinen Reisebericht Die Eroberung von Guinea auf Befehl des Infanten D. Henrique von 1453. Als Grund für Heinrichs Engagement auf dem Ozean nennt Azurara den Kampf gegen die Ungläubigen. Er schrieb ihm außerdem Eigenschaften wie Mut, Großmütigkeit und Hingabe zu[3].

Die Geschichtsschreiber des 16. Jahrhunderts beschrieben Heinrich als vom Humanismus geprägten, gebildeten und neugierigen Mann, den der Wunsch die Welt zu entdecken und dem portugiesischen Königreich zu Ruhm zu verhelfen antrieb[4].

Erst um 1600 tauchten auch kritische Aspekte aus Heinrichs Wirken in der Literatur auf: So zum Beispiel der Tanger-Feldzug, auf dem er kläglich scheiterte, und der Tod seines Bruders Fernando, der in Geiselhaft in Ceuta starb[5].

Die von der Romantik geprägten Autoren des beginnenden 19. Jahrhunderts schrieben Heinrich die Eigenschaften eines Visionärs zu, der Zeit seines Lebens gegen die Mittelmäßigkeit der Menschen seiner Zeit gekämpft hatte, um sie von der Sinnhaftigkeit seiner Unternehmungen zu überzeugen[6].

Die bewusst weltliche Interpretation Heinrichs im ausgehenden 19. Jahrhundert gab Raum für die nachfolgende Betonung seiner Rolle als Kreuzfahrer und Bewahrer des Christentums, die er besonders in seinem Bestreben, Ceuta von den Mauren zurückzuerobern, verdeutlichte[7].

Heinrich im Estado Novo

Nach Maria Isabel João waren die Gedenkfeiern zu Heinrichs 500. Todestag im Jahre 1960 von drei zentralen Ideen des Estado Novo geprägt:

  • Erstens zeichnete man ein Bild eines Entdeckers und Kolonialherren Portugals, das die materiellen Vorteile der Kolonialisierung völlig außer Acht ließ. Als selbstlose Beweggründe für die Expansion wurden die Verkündung des Christentums und der Wunsch, Zivilisation in die entlegenen Gebiete zu tragen, genannt.
  • Zweitens erklärte die offizielle Seite, dass die Wohltätigkeit der portugiesischen Kolonialisation zu einer Einheit aller Völker des portugiesischen Reiches beigetragen habe.[8] In Wirklichkeit existierte diese Einheit allerdings nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht. Die Gedenkfeiern fielen in eine Zeit der massiven Unabhängigkeitsbestrebungen der portugiesischen Kolonien. Bereits im darauf folgenden Jahr begann der bis 1974 andauernde und Kräfte zehrende Kolonialkrieg in Angola, Guinea-Bissau und Mosambik.
  • Drittens wurden die Verantwortlichen für die Expansion Portugals zu weltlichen wie christlichen Helden gemacht, an deren Spitze Heinrich der Seefahrer als Gründer des Imperiums[9] stand. Zur Gedenkfeier von 1960 wurden die Entdecker zu Missionaren und Heiligen sowie zu Helden und Märtyrern im Dienste der Zivilisation und der Menschlichkeit emporgehoben.[10]

Orte der Erinnerung in Lissabon

Das Denkmal der Entdeckungen, das Padrão dos Descobrimentos in Lissabon spiegelt diese Sicht des Estado Novo wider: Mit Blick auf den Fluss reihen sich auf beiden Seiten der Segel 33 Figuren hintereinander. An ihrer Spitze steht ein Mann, größer als sein Gefolge, mit dem Modell einer Karavelle in der Hand, deren Erfindung ihm zugeschrieben wird: Heinrich der Seefahrer, Infante Dom Henrique (1394-1460), portugiesischer Prinz und Förderer der Entdeckungsfahrten des 15. Jahrhunderts. Hinter ihm, wesentlich kleiner dargestellt, befinden sich andere Zeitgenossen, die die Ära der portugiesischen Expansion entscheidend mitprägten. Zu sehen sind unter anderem Vasco da Gama (er bereiste als Erster Indien auf dem Seeweg, 1497/98), Bartolomeu Dias (er umsegelte als Erster das Kap der Guten Hoffnung, 1486), Pedro Álvares Cabral (Entdecker Brasiliens, 1500) und Luís de Camões (Verfasser des Nationalepos Os Lusíadas, 1572). Der stilisierte Bug einer Karavelle ragt über das Tejo-Ufer, drei steinerne Segel biegen sich im Wind.

Durch die Standortwahl direkt am Ufer des Flusses Tejo, der in den Atlantischen Ozean fließt, eingereiht in ein Ensemble von bedeutenden Gebäuden wie dem Torre de Belém und dem Kloster von Jeronimos wird die zentrale Rolle Heinrichs für die Politik Salazars deutlich.

Von hier starteten Karavellen der portugiesischen Entdecker Richtung Afrika und Indien. Für den Erinnerungsort 'Entdeckungen' spielt Belém demzufolge eine zentrale Rolle.

Das Padrão dos Descobrimentos wurde bereits 1940 für die Exposição do Mundo Português (dt.: Ausstellung der portugiesischen Welt) nach Entwürfen des Architekten Cottinelli Telmo konstruiert. Allerdings zerstörte ein Wirbelsturm 1941 das Original.

Im Rahmen der Feierlichkeiten zum 500. Todestag Heinrichs wurde eine Replik des Denkmals am 6. August 1960 an seinem heutigen Standort eingeweiht.

Die heute begehbaren Ausstellungsräume im Inneren der Karavelle und die Aussichtsplattform sind allerdings erst in den 80er Jahren ergänzt worden.

Fährt man auf der Avenida da Índia, an der das Denkmal steht, weiter Richtung Osten, erreicht man nach neun Kilometern den Praça do Comércio. An diesem prachtvollen Platz im Zentrum Lissabons beginnt die Avenida Infante Dom Henrique, die wichtigste Nord-Süd-Verbindung der Hauptstadt, die im Jahre 1948 eröffnet wurde. Diese ist ein weiteres Zeichen für die Bedeutung Heinrichs.

Orte der Erinnerung in Porto

Porto spielt als Geburtsort des Infanten und als Ausgangspunkt vieler Expeditionen neben Lissabon auch eine zentrale Rolle in der Erinnerungspolitik des Landes Portugal.

Der zentrale Platz der Altstadt Portos wurde in Gedenken an ihn Praça Infante Dom Henrique genannt. In der Mitte des Platzes steht eine bronzene Statue des Prinzen. Der 500. Geburtstag Heinrichs wurde 1894 in Porto vier Tage lang ausgiebig gefeiert. Die Stadt hoffte so, aus dem Schatten der Hauptstadt Lissabon treten zu können. Im Rahmen dieser Festivitäten beauftragte König Carlos den Baumeister Tomás Costa mit dem Bau der Bronzefigur, die im Jahre 1900 der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Orte der Erinnerung auf den Inseln

Die Azoren, heute zu Portugal gehörend, wurden ab 1431 durch die Portugiesen besiedelt und kolonialisiert. In der größten Stadt der Azoren, in Ponta Delgada, Hauptstadt der Insel São Miguel, ist die Erinnerung an den 'Entdecker der Azoren' Heinrich den Seefahrer ebenso gegenwärtig wie auf dem portugiesischen Festland. Die Hauptverkehrsader der Stadt wurde 1952 als Avenida Infante Dom Henrique eröffnet.

Auch auf Madeira erinnert ein Denkmal an den Infant; das von Leopoldo de Almeida entworfene Werk wurde am 28. Mai 1957 eingeweiht. Es steht heute noch auf der Rotunde des Infanten in der Hauptstadt Funchal.

Coimbra - Portugal dos Pequenitos

In der Universitätsstadt Coimbra im Zentrum Portugals entstand im Estado Novo Portugal dos Pequenitos, ein Miniaturpark für Kinder, in dem unter anderem wichtige Bauten Portugals in Miniaturgröße nachgebaut wurden. Im vorderen Teil präsentiert der Park alle Kolonien Portugals, die heute unabhängig sind.

Dieser Teil wird abgeschlossen von einer großen hellblauen Weltkarte, auf der alle Entdeckungsfahrten Portugals dargestellt sind. Auf ihr prangt eine Inschrift, zitiert nach Camões' Lusiaden: E se mais mundo houvera, lá chegara (dt.: Und gäb' es noch mehr an Welt, dort fasst' es [das Luserhaus] Boden!).

In der rechten Ecke sitzt ein Mann mit einem turbanähnlichen Hut auf dem Kopf auf einem Schemel - Infante Dom Henrique. Wie selbstverständlich sitzt er vor der Karte des Império Colonial, als Sinnbild der Macht und Bedeutsamkeit der portugiesischen Nation.

Dass ihm von offizieller Seite noch gegenwärtig Ehre gezollt wird, zeigen uns die Feierlichkeiten des portugiesischen Feiertags vom 10. Juni - der Tag Portugals, Camões' und der portugiesischen Gemeinschaften - von 2006. An diesem Tag legte der amtierende Präsident Cavaco Silva einen Blumenkranz an das Denkmal zu Heinrich dem Seefahrer in Porto.

Adina Golombeck


[1] Die deutsche und englische Form seines Namens, Heinrich der Seefahrer oder Henry the Navigator, ließe auf eine rege Tätigkeit als Kapitän schließen. Heinrich selber veranlasste allerdings in seiner Rolle als Administrator des Christusordens und Verwalter der Algarve lediglich die ihm zugeschriebenen Seefahrten. Sein Beiname "der Seefahrer" wurde erst im 19. Jahrhundert erfunden. Die Bezeichnung geht zurück auf Johann Eduard Wappäus, der 1842 das Buch "Heinrich der Seefahrer" publizierte. Durch die Werke der englischen Historiker R.H. Major ("The life of Prince Henry surnamed the navigator", 1868) und C.R. Beazley ("Prince Henry the Navigator, the Hero of Portugal and of Modern Discovery”, 1901) wurde der Begriff im deutschen und englischen Sprachraum populär gemacht.
[2] Vgl. João 2002: 105ff.
[3] Ebd.
[4] Ebd.
[5] Vgl. João 2002: 105ff.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Vgl. João 2002: 107.
[9] Vgl. João 2002: 105.
[10] Vgl. João 2002: 107.



Bibliografie:

  • Oliveira Marques, A.H. de (2001): Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs. Stuttgart: Kröner.
  • João, Maria Isabel (2002): "Public Memory and Power in Portugal (1880-1960)". In: Portuguese Studies 18, 96-120.
  • Metzger, Stefan (2007): Sagres - Exkursion zu einem Mythos. URL: http://www.nuqa.de/docs/Sagres.pdf, letzter Zugriff: 31.05.07.
  • Pögl, Gabriela/Kroboth, Rudolf (Hrsg.) (2002): Heinrich der Seefahrer oder die Suche nach Indien. Eine Dokumentation mit Avise da Cà da Mostos erstem Bericht über Westafrika und den Chroniken Zuraras und Barros über den Infanten. Stuttgart, Wien: Erdmann.
  • Russell, Peter E. (1984): "Prince Henry the Navigator: The Rise and Fall of a Culture Hero" (Vorlesung, Oxford) in: Russell, Peter E. (Hrsg.) (1995): Portugal, Spain and the African Atlantic, 1343-1490, chivalry and crusade from John of Gaunt to Henry the Navigator. Aldershot: Variorum, XV 3-30.
  • Homepage des Padrão dos Descobrimentos, Lissabon. URL: http://www.padraodescobrimentos.egeac.pt, letzter Zugriff : 02.06.07.

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