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An dem gewaltigen Padrão dos Descobrimentos (dt.: Denkmal der Entdeckungen, Lissabon), mit Heinrich dem Seefahrer als Kapitän an der Spitze, erkennt man die in der Mitte stehende Person mit der großen Pergamentrolle erst auf den zweiten Blick. Aber wenn man sie genau ins Auge fasst, dann verrät ihr auffälliger Rüschenkragen und das Papier in ihrer Hand einen Dichter: Es ist Luís de Camões.

Camões, der dichtende Soldat

Luís Vaz de Camões wurde in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts geboren, sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt. Seine Kindheit und Jugend hat er wohl im Schoß seiner Familie verbracht und genoß höchstwahrscheinlich auch eine klassische Bildung an der Universität von Coimbra. Als er um 1542 nach Lissabon umsiedelte, fand er schnell eine Stelle als Hofmeister. Nach seiner Verbannung aus Lissabon (vermutlich wegen seiner Liebe zu einer Hofdame) wurde er zu Kriegsdiensten in Nordafrika eingesetzt. Bei einer Schlacht vor Ceuta verlor er ein Auge und kehrte, aus der Verbannung entlassen, 1551 nach Lissabon zurück. 1553 fuhr er als Soldat mit der portugiesischen Flotte nach Goa, eine portugiesische Kolonie und Sitz der indischen Statthalter. Während seines 17-jährigen Aufenthalts auf dem asiatischen Kontinent, bereiste er einen Großteil Indiens und auch das afrikanische Mosambik[1].

In Indien vollendete er sein in Portugal bereits begonnenes Epos Os Lusíadas (dt.: Die Lusiaden). Um dieses Werk rankte sich sogleich eine erste Legende: Auf einer Reise zurück nach Goa erlitt die Mannschaft Schiffbruch. Der Dichter konnte sein Manuskript nur dadurch retten, indem er es mit der einen Hand über Wasser hielt, während er mit der anderen Hand zum rettenden Ufer schwamm.

1570 kam Camões wieder in Lissabon an und erhielt ein Jahr später das königliche Privileg, das den Druck der Lusiaden genehmigte und schützte[2].

Trotz einer jährlichen Unterstützung von König Sebastian aufgrund seiner in Indien geleisteten Dienste, verbrachte der Dichter den Rest seines Lebens in Armut, bis er am 10. Juni 1580 starb. Sein Todestag ist heute portugiesischer Nationalfeiertag und erinnert so jährlich an ihren Dichterhelden.

Die Lusiaden - Nationalepos Portugals

Die Handlung der Lusiaden ist die Geschichte von der Eroberung Indiens unter Vasco da Gama in den Jahren 1497 bis 1498.[3] Camões verwebt geschickt Erzählungen aus der Vergangenheit, durch Gama oder seine Gefährten berichtet, und Weissagungen durch 'überirdische Wesen' zu einer glorreichen "Geschichte seines Vaterlands"[4]. In tatsächliche Ereignisse lässt er - inspiriert vom Vergilischen Epos - auch die griechisch-römische Götterwelt eingreifen. Oft wird Camões von eigenen Gedanken unterbrochen,

"die von heißer Liebe zu allem Edelen und [...] tiefem Schmerze aus
enttäuschter Erfahrung gesättigt sind."[5]

Er besingt Portugals Land und seine Geschichte, beide untrennbar miteinander verbunden:

"Welch kleines Land und welche große Geschichte!"[6]

Camões wird mit Os Lusíadas (dt.: Die Lusiaden), dem Lobgesang auf Portugals Seefahrerglorie, zum Dichterhelden der Portugiesen. Im Zeitalter der Romantik und im Rausch des Nationalgedankens erfahren die Lusiaden eine mystische Erhöhung als Volksepos und Offenbarung des portugiesischen Schicksals[7]. Damit etabliert sich Camões und sein Werk in der portugiesischen Erinnerung.

Die Bedeutung der Lusiaden für die portugiesische Erinnerungskultur

Camões' zwei große Leidenschaften, das Soldatenleben und die Poesie, sieht man besonders hervorgehoben in Denkmälern seiner Person, wie z.B. durch ein Denkmal im Themenpark Coimbra.

Stolz, in voller Kriegermontur und mit gezogener Waffe auf der einen - und nachdenklich, in Halskrause und mit Pergamentrolle auf der anderen Seite, wird uns Camões hier präsentiert. Der "dichtende Krieger"[8] (am Denkmal ist sein fehlendes linkes Auge gut erkennbar), war zugleich ein Dichter der wahren Vaterlandsliebe.[9]

1880 erhielt Camões eine prominente Begräbnisstätte: Seine Asche wurde in das Jerónimus-Kloster in Belém, Lissabon, überführt, und zur rechten Seite des jungen Königs Sebastian beigelegt - jenem König, dem er seine Lusiaden gewidmet hat. Zur anderen Seite Sebastians steht die Urne des im Epos am meisten besungenen Helden: Vasco da Gama[10].

Einen weiteren Ehrenplatz erhält Camões im Padrão dos Descobrimentos. Die Inschrift des Pergaments, das die Figur des Camões in der Hand hält, gibt eine Strophe der Lusiaden wieder:

"Indessen, ihr verblendet, schlecht beraten
Auf eigenes Blut erpicht, in Wahn und Graus
Dahinfahrt, fehlt's an echten Christentaten
Noch immer nicht dem kleinen Luserhaus:
Die Festen hält es schon der Riffpiraten
Streckt sich in Asien mehr als andere aus
Im neuen Erdteil ist's am Wälderroden
Und gäb' es noch mehr an Welt, dort fasst' es Boden!"[11]

Camões hebt sein Heimatland im Weltgeschehen hervor: Während die üblichen Länder in "Wahn und Graus" die Ozeane befahren, vergaß das "kleine Luserhaus" (sein Synonym für Portugal) nie seine christliche Moral und schaffte es daher, sich unter anderem "in Asien mehr als andere aus[zustrecken]". Nunmehr steigert er sich bis zum Höhepunkt in der letzten Zeile: "Und gäb' es noch mehr an Welt, dort fasst' es Boden". Wäre diese Welt viel größer, so würden auch auf weiteren Erdteilen Portugals Entdecker landen, Gebiete erobern und besitzen.

Die letzte Zeile - auf Portugiesisch: E se mais mundo houvera la chegara - findet man auf einer Welttafel zu den Entdeckungen im Themenpark Portugal dos Pequenitos (dt.: Portugal der Kleinen) in Coimbra wieder.

Sie wurde darüber hinaus zum geflügelten Wort mehrer von der Ideologie des Estado Novo geprägten Generationen.

Die Identifikation Portugals mit einem dichterischen Werk und dessen Mystifizierung ist ein einmaliger Fall in der Geschichte europäischer Kultur[12]. Camões' berühmtestes Werk prägte die bis heute verwendete Bezeichnung Portugals als casa lusitana (dt.: lusitanisches Haus) und setzte den Grundstein für den Begriff Lusitanismus.

Die gemeinsame Erinnerung an Portugals Seefahrergröße, in den Lusiaden manifestiert, wird zum Bindeglied der portugiesischen Nation. Und dies gerade in Zeiten, da

"Portugal in seinem Selbstbewusstsein bestätigt werden soll [...] und wir
darunter leiden, dass wir vom europäischen Schauplatz verschwunden sind."[13]

Der portugiesische Diktator Salazar hat genau dieses Bindeglied immer wieder politisch propagiert und ließ daher noch während seiner Regierungszeit (1932-68) das 1941 eingeweihte Entdeckerdenkmal in Lissabon und den 1940 eingeweihten Themenpark in Coimbra bauen.

Dies ist wohl die beste Erklärung für den Erinnerungsort Camões im Bewusstsein der Portugiesen: Selten hat ein Literat mit seinem Werk derart die emotionale Befindlichkeit einer an den Rand Europas gedrängten Nation geweckt wie er. Obwohl er als bitterarmer Mann starb, wurde sein Todestag, der 10. Juni 1580, zum Nationalfeiertag. So bleiben der Dichter und sein Meisterwerk für die portugiesische Nation unvergessen. Besucher aus aller Welt können auf Denkmälern und Gedenktafeln ein wenig

"neidvoll und wehmütig [diesen] Spiegel eines überschwänglichen
Nationalgefühls betrachten."[14]

Maria Kotzur


[1] Vgl. Camões 149:5f.
[2] Vgl. ebenda: 6.
[3] Vgl. ebenda: 7.
[4] Ebd.: 8.
[5] Ebd.
[6] Camões 1949: 8.
[7] Vgl. Lourenço 2001: 163.
[8] Vgl. Lourenço 2001: 157.
[9] Ebd.
[10] Vgl. Camões 1949: 7.
[11] Camões 1949: 93.
[12] Vgl. Lourenço 2001: 155.
[13] Lourenço 2001: 157.
[14] Ebd.: 154.



Bibliografie:

  • Camões, Luís de (1949 [1572]): Die Lusiaden. Freiburg: Verlag Herder.
  • Lourenço, Eduardo (2001): Mythologie der Saudade. Zur portugiesischen Mythologie. Frankfurt a.M.: Verlag Suhrkamp.

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