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Als im Jahre 2005 der Abriss des ehemaligen Hauptsitzes der PIDE/DGS in Lissabon drohte, versammelte sich am 5. Oktober eine Gruppe empörter Bürger vor dem betreffenden Gebäude in der Rua António Maria Cardoso. Dort protestierten sie gegen seine Umgestaltung in eine Luxuswohnanlage. Denn dieses Haus steht symbolisch für die Brutalität und Unterdrückung durch die Staatspolizei, unter der viele Portugiesen jahrelang leiden mussten. Die Demonstranten forderten eine angemessene Würdigung des Schicksals dieser Menschen um die Erinnerung an die Opfer der PIDE/DGS auch für zukünftige Generationen zu bewahren.

Aus diesem Protest ging die Bürgerinitiative Não Apaguem a Memória! (dt.: Löscht das Gedächtnis nicht!) hervor.[1]

Não Apaguem a Memória! versteht sich als eine offene, unabhängige und pluralistische Initiative auf nationaler Ebene, die sich aus engagierten Bürgern aller sozialen Schichten zusammensetzt. Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, für die Bewahrung der Erinnerung an den Widerstand gegen die Diktatur des Estado Novo zu kämpfen und dafür einzutreten, dass der Kampf der Portugiesen für Freiheit und Demokratie angemessene Würdigung erfährt. Hierzu sollen, so der Wunsch der Bürgerbewegung, symbolische Orte der Diktatur wie ehemalige Gefängnisse, Konzentrationslager und Sitze der PIDE/DGS aufgewertet und musealisiert werden. Sie erhoffen sich davon vor allem, dass die Erinnerung an diese Geschehnisse für zukünftige Generationen erhalten bleibt. Schließlich hat sich die Initiative vorgenommen, die Gesellschaft im Hinblick auf eine aktive Mitarbeit für ihre Ziele zu sensibilisieren. Dies erscheint notwendig, da eine angemessene Bewahrung der Erinnerung nur durch einen Zusammenschluss von Staat, öffentlichen Einrichtungen und Gesellschaft gewährleistet sei.

Struktur

Um diese Ziele zu erreichen, organisiert sich die Bürgerbewegung in loser Struktur, die mehrere Arbeitsgruppen (z. Zt. sieben) und ein Plenum vorsieht. Letzteres gibt die Leitlinien vor, formuliert Prinzipien und bestimmt über Vorgehensweise und die Bildung der Arbeitsgruppen, in denen die Initiative ihre Tätigkeiten ausübt. Die einzelnen Gruppen arbeiten gebiets- oder themenabhängig und sind mit unterschiedlichen Aufgaben betraut.

Die Arbeitsgruppe António Maria Cardoso z. B. setzt sich dafür ein, dass die Forderungen der Initiative in Bezug auf die Zukunft des Hauptsitzes der PIDE/DGS in Lissabon berücksichtigt werden, die sie bei ihrer Gründung formuliert hatte. Hier kann die Bürgerinitiative schon einen ersten Erfolg vorweisen.

Nach langwierigen Debatten und Verhandlungen mit den zuständigen Stellen stimmten diese dem Vorhaben von Não Apaguem a Memória! zu, einen Teil des Gebäudes als Museum einzurichten.

Eine weitere Gruppe begleitet die Arbeiten um das ehemalige Gefängnis von Aljube, in das Salazar bis 1966 politische Gegner einsperren ließ.[2] Hier soll ein Nationalmuseum entstehen, das an den Widerstand und die im April 1974 errungene Freiheit erinnert (Museu da Resistência e Liberdade). Was die Verwirklichung dieses Vorhabens angeht, ist die Bürgerinitiative zuversichtlich, da es unter anderem durch den Justizminister Alberto Costa unterstützt wird, der selbst unter Salazar in politische Haft genommen wurde. Auch in Porto ist ein "Museum des Widerstandes gegen den Faschismus" geplant. Die dafür zuständige Arbeitsgruppe bemüht sich darüber hinaus, Kontakte zu örtlichen öffentlichen Stellen sowie akademischen und kulturellen Institutionen zu knüpfen, um so möglichst viele relevante Quellen für die Erforschung des Widerstandes in und um Porto aufzutun.

Die Arbeitsgruppe mit dem Namen Roteiros da Memória (dt.: Erinnerungsrouten) sammelt und kennzeichnet Orte sowohl in Lissabon als auch im Rest des Landes, die zusammen eine Reiseroute der Erinnerung an bürgerlichen Widerstand bilden sollen. Es existiert bereits eine Liste von Stätten, die zu Anlaufpunkten der Portugalroute auserkoren wurden. Besucher der Website werden aufgerufen Vorschläge für weitere Orte der Erinnerung einzureichen. So kann jeder Bürger seinen Beitrag dazu leisten, dass in naher Zukunft eine politisch-kulturelle Reiseroute interessierten In- und Ausländern jeden Alters zur Verfügung stehen wird.

Geplant bzw. bereits in Arbeit ist vor allem das Gedenken an verschiedene Gefängnisse und Konzentrationslager des salazaristischen Regimes. Am bekanntesten ist hier wohl das Lager in Tarrafal auf den Kapverdischen Inseln. Aber auch das Gefängnis von Angra do Heroísmo auf den Azoren sowie das in Caxias bei Lissabon sollen aufgeführt werden.

Beispielhaft für die Aufarbeitung von individueller Erinnerung durch die Bürgerinitiative ist der Umgang mit dem Gedenken an das Fort von Peniche. Hier will man nicht nur an das Leid der Gefangenen erinnern, sondern besonders hervorheben, dass es Menschen in Peniche gab, die eher passiv und leise Widerstand leisteten. Einfache Fischer gewährten Besuchern des Dorfes freie Unterkunft oder schenkten ihnen Lebensmittel, wenn bekannt war, dass sie gekommen waren um ihre Angehörigen im Gefängnis zu besuchen. Mit diesen hilfsbereiten Menschen will man sprechen und somit ihre Geschichte bewahren.

Darüber hinaus möchte man mit diesem Reiseführer auch erreichen, dass bestimmte Plätze, Straßen und Gebäude innerhalb Lissabons, die den Vorbereitungen für die Revolution dienten, nicht in Vergessenheit geraten.

Ebenso werden aber auch kleine Orte wie Cabanas de Viriato, in der Nähe von Viseu, im Reiseführer Erwähnung finden. Hier, im Haus von Aristides Sousa Mendes[3], machten viele Verfolgte des Regimes auf ihrer Flucht Station.

Sogar ein kleines Dorf im Süden des Landes, im Kreis Beja, hat man in die Liste aufgenommen. Hier tötete die Nationalgarde eine Bäuerin namens Cataria Eufémia, welcher der berühmte Sänger José Afonso, genannt Zéca, später seinen Cantar alentejano widmete.[4]

Bisher umfasst die Liste bereits mehr als 30 Orte, an die man erinnern will und sicher werden diese in Zukunft durch weitere Anregungen ergänzt.

Derzeitige Aktionen

Neben den bereits erwähnten Projekten organisieren die Mitglieder der Bürgerinitiative weitere Aktionen. So finden unter anderem Besuche an Orten statt, die an das Salazar-Regime erinnern, wie z.B. der ehemalige Kommandoposten des Movimento das Forças Armadas (MFA, dt.: Bewegung der Streitkräfte)[5], dem Sitz der PIDE/DGS in Lissabon und Porto oder dem früheren Gefängnis Forte de Peniche. Dort führen ehemalige politische Gefangene die Besucher durch die Anlagen. Außerdem lädt die Initiative Zeitzeugen des Estado Novo ein um aus ihrem Leben zu berichten. Ergänzt werden diese Unternehmungen durch Demonstrationen, Ausstellungen und sonstige Veranstaltungen, mithilfe derer es der Initiative möglich ist, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Hierzu dienen auch die von der Bewegung unterhaltene Internetseite sowie ihr Bemühen um didaktische Aufarbeitung des gesammelten Materials zum Estado Novo.

Aber die Mitglieder von Não Apaguem a Memória! setzen nicht nur auf Öffentlichkeitsarbeit, sondern haben parallel zu diesen Bemühungen auch Treffen mit allen Parlamentsfraktionen erwirkt. Als ein vorläufiges Ergebnis dieser Gespräche kann die Petition angesehen werden, die im Juli 2006 in das portugiesische Parlament eingebracht und Ende März 2007 auch im Plenum besprochen wurde. Darin fordert die Initiative erneut und nachdrücklich die Schaffung einer öffentlichen Plattform zur kollektiven Erinnerung an die Verbrechen des Estado Novo. Gleichzeitig soll aber auch das Gedenken an den Widerstand gegen die Diktatur bewahrt und weitergegeben werden. Diese Forderung entspringt der Überzeugung, dass die Regierung bisher zu wenig getan hat, um die Aufarbeitung dieses Kapitels der portugiesischen Geschichte zu fördern oder zu unterstützen. Der Erhalt ehemaliger Einrichtungen des Estado Novo ist dabei eines der wichtigsten Anliegen der Bürgerbewegung.

Schließlich appelliert sie an alle Bürger und Organisationen, alles ihnen Mögliche zu tun um die dauerhafte Erinnerung an den Kampf für Demokratie zu gewährleisten.

Die Petition der Bürgerinitiative wurde bereits im Parlament diskutiert, allerdings hat die Vollversammlung bisher noch nicht darüber abgestimmt. Bei einem Treffen mit dem Minister für Parlamentsangelegenheiten Augusto Santos Silva sicherte dieser der Bewegung die Unterstützung ihrer Petition und ihrer Aktionen zu, vor allem im Hinblick auf die ehemaligen öffentlichen Gebäude der Salazar-Diktatur.

Die bisherigen ehrgeizigen Projekte der ehrenamtlichen Aktivisten lassen erwarten, dass nun endlich die vor mehr als 30 Jahren begonnene Aufarbeitung der Zeit des Estado Novo fortgeführt wird. Bleibt zu hoffen, dass die Arbeit der Bürgerinitiative auf Resonanz in der Bevölkerung stößt, da es neben großem Engagement auch einer breiten öffentlichen Unterstützung bedarf, um die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Denn, so die Überzeugung aller Teilnehmer, "ohne Erinnerung gibt es keine Zukunft"[6].

Ines Muntean und Ulrike Nehls



[1] Alle Informationen für die nachfolgende Darstellung der Bürgerinitiative "Não Apaguem a Memória!" wurden, wenn nicht anders gekennzeichnet, der Internetseite www.maismemoria.org entnommen. Der Iniative danken wir für die freundliche Zustimmung für die Veröffentlichung der Fotos.
[2] Vgl. Cruzeiro o.J.
[3] Aristides Sousa Mendes (*1885 in Cabanas de Viriato, †1954 in Lissabon) rettete während des Zweiten Weltkrieges als Generalkonsul in Bordeaux über 30.000 Menschen, darunter 10.000 Juden das Leben.
[4] Vgl. Rádio IA o.J.
[5] Zusammenschluss von Mitgliedern des Militärs mit dem Ziel, den Kolonialkrieg zu beenden; leiteten durch Militärputsch die Revolution ein.
[6] Não Apaguem a Memória! 2005.



Bibliografie:

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