MADRID MONUMENTAL

 

JUNIORPROFESSUR KULTURELLER UND SOZIALER WANDEL

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Im Laufe der spanischen Geschichte gab es mehrere Interpretationen Philipps II. und damit auch des Escorials: Gleich nach dem Tod des Monarchen 1598, setzte in Spanien ein Prozess der Mythisierung ein: Philipp II. wird als Repräsentant der Monarquia Católica (dt.: „Katholische Monarchie“) glorifiziert: der Sonnenkönig; der zurückgezogene Asket, der im Escorial seinem Refugium fand; der umsichtige und kluge Herrscher – all diese Elemente gerannen in den Bestattungsreden und in den Biographien des Königs im Laufe der Jahrzehnte nach seinem Tod zu einem festen Erinnerungsort.[1] Vor allem die im Zuge der Gegenreformation in Spanien weit verbreitete Darstellung Philipps II. als ein bescheidener, humaner Monarch kontrastierte mit dem Bild, das sich in den reformierten Regionen durchsetzte. In Mitteleuropa dominierte lange Zeit die leyenda negra, die schwarze Legende, die sich zum Beispiel in Schillers Werk Don Carlos manifestiert, in dem Philipp II. als ein religiöser Fanatiker und blutrünstiger Herrscher dargestellt wird.

Die Idealisierung Philipps II., die nach seinem Tod einsetzte, erlebte während der Franko-Diktatur eine Renaissance. Im offiziellen Diskurs verkörperte Philipp II. das imperiale und katholische Spanien, er galt als der Inbegriff des Spanischen. Mit der Demokratisierung setzte sich dann zwar ein kritischeres, stärker wissenschaftlich geprägtes Bild des Königs durch, doch mit der Jahrtausendwende kam es zu einer erneuten Glorifizierung des Königs: Die rosa Legende (sp.: leyenda rosa) war ein Versuch des offiziellen Spaniens, Philipps Herrschaftsstil die Grausamkeit zu nehmen. Man müsse ihn im Lichte seiner Zeit betrachten und nicht nach heutigen Maßstäben beurteilen, hieß es demnach. Trotz Kritiken seitens spanischer Historiker wurde Philipp II. anlässlich seines 400. Todestages zum Humanisten, feinfühligen Kunstliebhaber, zärtlichen Vater, ja sogar zur „Verkörperung der Renaissance“[2] stilisiert. Die Wahrheit liegt sicherlich irgendwo dazwischen. Doch die wissenschaftliche Literatur zum Thema, stets auch beeinflusst durch das Denken ihrer Zeit, erschwert einen objektiven Blick. „Trotz unterschiedlicher Deutung kristallisieren sich jedoch im Laufe der Zeit bestimmte historische Ereignisse als immer wiederkehrende Bezugspunkte heraus, die für das historische Selbstverständnis einer Nation eine herausragende Bedeutung haben.“[3] Es kann wohl gesagt werden, dass der Escorial und sein Erbauer solche Bezugspunkte sind: Mittel zur Schaffung und Stärkung einer nationalen Identität. Und genau dieser Tatsache ist es zu verdanken, dass der Escorial bis heute so gut erhalten geblieben ist, nicht nur als Bauwerk sonder auch als Ort der gelebten Erinnerung.

Hannah Olbricht und Jenny Hartl



[1] Checa Cremades 1989: 121.
[2] Collado Seidel 2002: 82.

[3] Collado Seidel 2002: 84.

 

Bibliografie:

  • Berg, Jens Rainer (2008): „1527-1598, Philipp II.: Bürokrat und Weltenlenker“ in: Geo Epoche 31, 80-97.
  • Checa Cremades, Fernando (1989): „Felipe II. en El Escorial: La representación del poder real“ in: Ariales de Historia del Arte, 1, 129-139.
  • Collado Seidel, Carlos (2002): „Überlegungen zu Nation und Nationalbewusstsein in Spanien. Historische Mythen als Determinanten des Nationalbewusstseins“ in: Collado Seidel, Carlos / König, Andreas (Hgg.), Spanien: Mitten in Europa. Frankfurt: IKO (Sozialwissenschaftliche Beiträge zur europäische Integration 5), 81-86.
  • Edelmeyer, Friedrich (2009): Philipp II.- Biographie eines Weltherrschers. Stuttgart: W. Kohlhammer.
  • Fleckl, Anton (2007): Die katholischen Reformen Philipps II. In der spanischen Monarchie.Norderstedt: GRIN Verlag.
  • Hermann, Ruth (2002): Im Zwischenraum zwischen Welt und Spielzeug. Eine Poetik der Kindheit bei Rilke. Würzburg: Königshauses & Neumann.
  • Kahl, Hubert (2000): „Königliches Zwischenlager: Das spanische Kloster Escorial birgt ein Geheimnis: die Faulkammer“In: Der Tagesspiegel, URL: http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/gesundheit/koenigliches-zwischenlager-das-spanische-kloster-escorial-birgt-ein-geheimnis-die-faulkammer/153886.html, Zugriff: 17.11.2010.
  • Maertin, Ralf-Peter (1998): „Märtyrer der Macht. Philipp II. von Spanien oder: Die Erfindung der Bürokratie“ in: Zeit Online, URL:http://www.zeit.de/1998/37/Maertyrer_der_Macht, Zugriff: 17.11.2010.
  • Mattingly, Garrett (1988): Die Armada. München: Piper.
  • Sancho, José Luis (2009): Real Monasterio de San Lorenzo de El Escorial. Spanien: Patrimonio Nacional.
  • Volberg, Berthold (2001): „El Escorial: Das Albtraumschloß Philipp II.“  In: caiman, URL: http://www.caiman.de/escodt.html, Zugriff: 08.11.2010.
  • Vasold, Manfred (2001): Philipp II. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
  • Zerche, Nadine (2006): Mnemotechniken und ihre Anwendung im Fremdsprachenunterricht mit Schwerpunkt Deutsch als Fremdsprache. Norderstedt: GRIN Verlag.