[Stand: 25.04.2017]

Keynote Speaker

 

 

Donnerstag, 25.5.2017, 14:00 - 15:00 Uhr

Prof. Dr. Winfried Rief

Placebo- und Nocebo-Effekte: Neueste Erkenntnisse und Implikationen für die Versorgung psychisch kranker Menschen 

Prof. Dr. Winfried Rief, Philipps-Universität Marburg

In klinischen Studien finden sich oftmals erstaunliche Verbesserungen bei Patienten/-innen, die in den Placebo-Gruppen  sind, aber gleichzeitig auch viele Berichte auf  Nebenwirkungen („Nocebo-Effekte“), obwohl nur eine „Zuckerpille“ eingenommen wurde. Verschiedene psychologische Mechanismen tragen zu diesen Effekten bei, wie zum Beispiel Patientenerwartungen an den Behandlungserfolg, frühere Behandlungserfahrungen von Patienten/-innen, Wahlfreiheit von Patienten/-innen, das Vertrauen in die Behandler, oder der subjektive Wert einer Behandlung.

Durch die Verwendung experimenteller Designs zur Untersuchung solcher Effekte haben die letzten Jahre spannende neue Erkenntnisse erbracht, um die Kausalität sowie psychobiologische Wirkpfade dieser Effekte besser zu belegen. So lassen sich Nebenwirkungen auf Antidepressiva „konditionieren“ und durch Placebo-Gaben auslösen. Anhand einer Therapiestudie zur Operationsvorbereitung bei Herzchirurgie-Patienten wird beispielhaft aufgezeigt, wie die Optimierung von Patientenerwartungen selbst bei hoch-invasiven Eingriffen dazu beiträgt, dass es Patienten/-innen sechs Monate nach der OP deutlich besser geht. Somit steht man nun am Beginn der systematischen Nutzung von Placebo-Mechanismen und Vermeidung von Nocebo-Mechanismen bei klinischen Anwendungen. Hierzu werden praktische Anwendungsbeispiele vorgestellt.

Gerade bei psychisch Kranken haben solche Effekte besondere Bedeutung. Starke Placebo-Effekte werfen die Frage auf, ob Antidepressiva überhaupt darüber hinausgehende Wirkung haben; außerdem fordert dies ein komplett neues Verständnis der Wirkweise z.B. von Antidepressiva heraus. Viele psychische Erkrankungen können darüber hinaus als „Störungen von Patientenerwartungen“ konzeptionalisiert werden, und auch Psychotherapie (z.B. Exposition) zielt oftmals auf eine Modifikation von Patientenerwartungen ab. Daraus lassen sich jedoch auch Schlussfolgerungen ableiten, wie bestehende psychotherapeutische Ansätze unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse weiter verbessert werden können, und „treatment failure“ vermieden werden können.

 

 

Freitag, 26.5.2017, 13:30 - 14:30 Uhr

Klaus-Grawe-Mittagsvorlesung:

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud

Sequenzielle Traumatisierungen von Flüchtlingen - psychosoziale Folgen und Interventionsansätze

Prof. Dr. Christine Knaevelsrud, Freie Universität Berlin

Christine Knaevelsrud ist Professorin für Psychologische Intervention an der Freien Universität Berlin. Sie beschäftigt sich mit der Erforschung von traumabedingten Störungen und deren Behandlung.

Geflüchtete sind keine homogene Gruppe; sie haben lediglich gemein, dass sie in ihren Heimatländern von Verfolgung z. B. aufgrund ihrer Nationalität oder ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit bedroht oder unmittelbar betroffen waren. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit ist mit den spezifischen Erfahrungen einzelner Flüchtlingspopulationen verbunden und unterscheidet sich gravierend nach Krisen-, Kriegs- und Fluchtkontext. Ist der Fluchtkontext durch gewaltintensive Konflikte charakterisiert, wie derzeit in Syrien, Irak und Afghanistan, kann von weitreichenden gesundheitlichen Folgen ausgegangen werden. Dazu gehören somatische als auch psychische Erkrankungen (u.a. PTSD, Depressionen und somatoforme Störungen). Ergänzend zu konflikt- und fluchtassoziierten Traumatisierungen stellen Postmigrationsstressoren, wie beispielsweise aufenthaltsrechtliche Probleme (u.a. asylrechtliche Anhörungen, Dauer des Asylverfahrens) und der damit verbundene eingeschränkte Zugang zu gesundheitlichen Versorgungsstrukturen, zusätzliche Risikofaktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung psychischer Störungen dar.

Der (klinischen) Psychologie kommt eine zentrale Rolle in der asylrechtlichen Anerkennung, der psychotherapeutischen Versorgung und der gesellschaftlichen Integration von traumatisierten Flüchtlingen zu. So zeigen Forschungsbefunde zu Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsprozessen, dass besonders Individuen mit stark ausgeprägter PTSD durch einen Interpretationsbias in der Asylrechtsprechung Benachteiligung erfahren. Die psychotherapeutische Versorgung von psychisch erkrankten Geflüchteten in Deutschland ist derzeit unzureichend. Neben Fragen zur Anwendbarkeit und Evidenz bisher primär in westlichen Ländern eingesetzten psychotherapeutischen Interventionen stellen sich angesichts des prognostizierten Bedarfs auch Fragen zur Skalierung und nach den Implementierungsmöglichkeiten. Damit eng verknüpft sind Fragen zur notwendigen klinischen Qualifikation der Therapeuten bzw. zu sprachlichen und interkulturellen Kompetenzen und deren Relevanz für eine wirksame Psychotherapie. Ziel des Vortrages ist es, den aktuellen Stand der Forschung zu diesen Themen zu vermitteln und damit empirisch-basierte Empfehlungen zu genieren bzw. weiteren Forschungsbedarf aufzuzeigen.

 

 

Freitag, 26.5.2017, 16:30 - 17:30 Uhr

 

Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen

Die Zukunft der Klinischen Psychologie in Deutschland: Zwischen Erosion und Aufbruch zu neuen Ufern

 

 

Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen, Technische Universität Dresden

Das Fach Klinische Psychologie und Psychotherapie (KPP) nimmt seit 2 Jahrzehnten neben und mit der Psychiatrie in der Forschung  zu den Ursachen psychischer Störungen“, der Entwicklung psychologischer Therapieverfahren sowie der Erforschung von Wirkfaktoren und –mechanismen psychotherapeutischer Verfahren weltweit und in Deutschland eine entscheidende Ausnahmestellung ein. Ohne das Fach KPP  mit seinen genuin psychologischen Prinzipien, Methoden und Verfahren wären – angesichts der begrenzten Effekte psychopharmakologischer und genuin psychiatrischer Interventionen - die enormen Fortschritte in dem Verständnis psychischer Störungen, ihrer Diagnostik und Therapie nicht denkbar und möglich gewesen. Noch deutlicher drückt sich die herausragende Stellung unseres Faches in der Psychotherapie Forschung im engeren Sinne aus; für nahezu alle prävalenten Störungen im psychischen Störungsspektrum sind Varianten der CBT inzwischen Methode der Wahl in den Leitlinien anerkannt und werden fortlaufend erweitert und verbessert. Diese zentrale Rolle erfährt durch die berufspraktische Dynamik über das Psychotherapeutengesetz mit wachsenden Zahlen Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weitere Impulse und berufspolitische Akzente.

Zugleich aber drohen wir Opfer und Sklaven unseres Erfolges zu werden: Die beeindruckende - aber keineswegs schon befriedigende  - Wirksamkeit wissenschaftlich begründeter Psychotherapieverfahren macht die Berufsperspektive „Psychotherapeut“ für Psychologen immer attraktiver und schafft zugleich fachfremden ordnungspolitischen Entscheidungsdruck. Vor dem Hintergrund des verständlichen Motiv der Abschaffung von Missständen in der Zugangs- und Ausbildungsordnung für Psychologische Psychotherapeuten, wird derzeit vom BMG und im Konsens mit der DGfPs und der Fachgruppe ein „Direktstudium Psychotherapie“  angestrebt, das nach einem polyvalenten BA in Psychologie direkt – und nicht mehr über eine MA-Vertiefung im Fach Klinische Psychologie – zur Eingangsapprobation führen soll.

Diese international wohl einzigartige Konzeption gefährdet aus vielen Gründen (z.B. mangelnde wissenschaftliche Fundierung des Fachs Psychotherapie, fachfremde Eingriffe in die kurrikulare Hoheit, kapazitäre Probleme) nicht nur über die Einheitlichkeit des Faches Psychologie, sondern mittelfristig auch die Weiterentwicklung und den Erhalt des Faches „Klinische Psychologie“ als Mutterfach nicht nur der Psychotherapie, sondern auch vieler anderer berufspraktischer Differenzierungen. Der Vortrag diskutiert die Gefahren und alternative Handlungsoptionen.

 

 

Samstag, 27.5.2017, 13:30 - 14:00 Uhr

Preisträgerin des Nachwuchswissenschaftlerpreises 2016

Dr. Regina Saile

Die Transmission von Gewalt im Nachkriegskontext

Dr. Regina Saile,
Universität Bielefeld
vivo (victim’s voice) international

Die Transmission von Gewalt beschreibt die intergenerationale Weitergabe von Gewalt in Familien sowie die Übertragung von Gewalt in verschiedene Lebenskontexte einer Person. Psychische Störungen können sowohl eine Folge als auch ein wichtiger Aufrechterhaltungsfaktor dieser Gewaltzyklen sein. Für Menschen in Kriegs- und Nachkriegsregionen besitzt die Transmission von Gewalt besondere Relevanz, da verschiedene Studien einen Zusammenhang zwischen Krieg und familiärer Gewalt herausstellen konnten. Damit ergibt sich für Familien in Kriegs- und Nachkriegsgebieten, insbesondere für die Kinder, ein zusätzliches Gesundheitsrisiko.

Die vorgestellte Arbeit hatte zum Ziel, das Zusammenspiel von Risikofaktoren bezüglich der Transmission von Gewalt im Nachkriegskontext generationenübergreifend zu untersuchen, um zugrundeliegende Mechanismen aufzudecken und mögliche Ansätze für Interventionen zu identifizieren. Insbesondere wurde die Rolle von Traumafolgestörungen (Posttraumatische Belastungsstörung, Depression und alkoholbezogene Störungen) bei der Transmission von Gewalt in vom Krieg betroffenen Familien untersucht. Die epidemiologische Studie fand vier Jahre nach dem Ende des zwanzigjährigen Bürgerkrieges in Norduganda statt. Eine erschöpfende Stichprobe von 516 Zweitklässlern aus zwei stadtnahen und sieben ländlichen Gemeinden sowie 513 weibliche und 362 männliche Erziehungspersonen wurden anhand klinischer Fragebögen in strukturierten Interviews befragt.

Der Vortrag fasst die wichtigsten Ergebnisse der Studie zusammen und diskutiert mögliche Ansatzpunkte zur Unterbrechung der Transmission von Gewalt im Nachkriegskontext. Mögliche Interventionen sind die Behandlung von psychischen Störungen, v. a. Alkoholkonsumstörungen und Posttraumatische Belastungsstörung, bei Erziehungspersonen sowie die Vermittlung deeskalierender und gewaltfreier Partnerkommunikation bzw. Erziehungsmethoden unter Berücksichtigung der erlebten Traumatisierungen. Eine gewaltfreie Familienumgebung und eine positive Eltern-Kind Beziehung sind wichtige Einflussfaktoren auf die psychische Gesundheit von Kindern in der Nachkriegszeit.

 

Samstag, 27.5.2017, 14:00 - 15:00 Uhr

Naema Gabriel

Buchlesung mit Illustrationen: "Sinus"

Die Schriftstellerin Naema Gabriel liest aus ihrem viel beachteten Buch „Sinus“ und zeigt dazu Illustrationen. Das Buch erzählt die Geschichte eines Mädchens, das neben ihrer manisch-depressiven Mutter trotz allem irgendwie zur Frau wird. Ohne zu jammern, ohne zu bagatellisieren und ohne zu werten beleuchtet die Erzählerin verschiedene Aspekte einer familiären Konstellation, die eine denkbar schwierige Startposition für eine Lebensreise bietet und behält dabei ihren Sinn für Humor - und für die Liebe.

Inklusive Frage-und-Antwort-Einheit.

Im Anschluss: "Parentifizierte Kinder" (Workshop mit Naema Gabriel), 15:00 - 17:30 Uhr.