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Technik und Gesellschaft – die heutige TU als Chemnitzer Ort des Wissens

Politikwissenschaftler Dr. Sebastian Liebold unternimmt anlässlich des 180-jährigen Jubiläums der höheren Bildung in Chemnitz einen geschichtlichen Exkurs

Nicht immer war die aus der Königlichen Gewerbschule hervorgegangene Technische Universität den Bürgern ihrer Stadt so präsent wie heute. Beide, das frühere „sächsische Manchester“ wie die Hochschule, umgarnen sich, wo sie können. Dies lässt etwa das neue Infrastrukturkonzept erkennen: Es wird eine neue Straßenbahn geben – die künftige Linie 3. Sie wird zur besseren Verbindung der Universitätsteile in der Straße der Nationen und am Campus an der Reichenhainer Straße beitragen. Die Universität zieht Köpfe von Rang an, stellt fertigungsreife Lösungen für die Industrie her und gibt mit öffentlichen Vorlesungen und Diskussionen Anstöße für gesellschaftliche Fragen der Zeit. Sie bringt Technik und Gesellschaft zusammen.

Was kann eine Universität für die Stadt leisten? Welche Rahmenbedingungen vermag die Stadt dafür zu bieten? Gewöhnlich schmückt sich eine Stadt mit ihren Bildungseinrichtungen – zu Recht, weil diese Potential für alle Bereiche der Gesellschaft entfalten: Sie bringen Ingenieure mit innovativen Ideen hervor – etwa, wie sich das Gewicht von Automobilen reduzieren lässt. Im Idealfall bilden sie Lehrer und Verwaltungsbeamte aus, die zum Wohl der Stadt wirken. Eine Stadt müht sich um eine solide Infrastruktur für die Bildungseinrichtung. Über die Zeit war die Stadt in unterschiedlichem Maße an Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen interessiert, das Bildungssystem teils wenig „durchlässig“.

Warum schickt eine Stadt ihre Kinder auf höhere Schulen? Den Gründungsimpuls für die Gewerbschule gab die Wirtschaft: Sachsen hatte mehrere gewerbliche Schulen – eine höhere gab es nur in Dresden, wie Regierungsvertreter Carl Ludwig Kohlschütter in seiner Eröffnungsrede am 2. Mai 1836 fast entschuldigend mitteilte. Keine solche Schule befand sich in Chemnitz. Die stark und schnell wachsende Industrie suchte gut ausgebildete Techniker. Mit der Gründung der Gewerbschule verband sich daher ein praktischer Zweck: Die Schüler sollten durch Geometrie, Experimentalphyik, Chemie, technisches Zeichen (neben anderen Fächern) in die Lage versetzt werden, in den Betrieben qualifizierte Arbeit zu leisten, besonders im aufstrebenden Maschinenbau. Mit der Zeit kamen Chemie und die in Chemnitz auf Spitzenniveau betriebene Elektrotechnik hinzu. 1914 gründeten die Lehranstalten eine Abteilung für Textilingenieure; die – seit 1900 als „Gewerbeakademie“ firmierende – Schule war im ganzen Reich Vorreiter als Ausbildungsort für Konstrukteure von Textilmaschinen – der im 19. und 20. Jahrhundert wohl erfolgreichste Chemnitzer Industriezweig, der zehntausende Arbeitsplätze bot. In den Kriegen trug die Akademie zur Forschung an Kriegsgerät bei – unter anderem durch eine 1935 eingerichtete Abteilung für Flugzeugbau und Flugwesen. Hehre Ziele bestimmten die Nachkriegszeit; der Wiederaufbau forderte immense Kraft. Am 2. Mai 1947 fing die erste Frau als Dozentin an und unterrichtete Volkswirtschaftslehre – die 1911 in Chemnitz geborene Ingeborg Rothe verließ bald darauf die DDR und habilitierte sich 1954 in Münster. So spiegelt nicht zuletzt die Lehrerschaft den Verlust an gutem Personal aufgrund ideologischer Gängelung – von akademischer Freiheit war nichts zu spüren; die Gründung einer Hochschulparteileitung sicherte Linientreue weithin.

Am 9. Oktober 1963 avancierte die Bildungseinrichtung zur „Technischen Hochschule“, am 14. November 1986 zur „Technischen Universität“. Inzwischen hatte die Sektionen für Automatisierungs- und Informationstechnik sowie Physik und elektronische Bauelemente sich als Forschungs- wie Lehrort erster Güte etabliert (seit 1974 mit Sitz im heutigen Weinhold-Bau). Wer meint, Spitzenforschung für die Wirtschaft sei etwas Neues und Engführung im Kapitalismus, der sei an die Eigenwerbung der TU von 1988 erinnert: „Neben der weiteren Vervollkommnung der Ausbildung und Erziehung begann sich ab 1976 eine neue höhere Stufe der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Produktion in Form der Hochschul-Industrie-Komplexe, besonders auf den Gebieten der Werkzeugmaschinen, der Leichtindustrie, der Elektrotechnik/Elektronik und des Verarbeitungsmaschinenbaus herauszubilden. Dabei wurde von der Form der Vertragsforschung auf einzelnen Gebieten zu einer komplexen Zusammenarbeit der Forschungskooperation, in der schnellen Überleitung wissenschaftlicher Ergebnisse, beim gemeinsamen Aufbau und der gemeinsamen Nutzung von Aus- und Weiterbildungszentren, beim gezielten Austausch von Wissenschaftsinformationen und von wiss.-techn. Kadern, übergegangen.“ (Quelle: Dieter Bock: Von der Königlichen Gewerbschule zur Technischen Universität, in: Karl-Marx-Städter Almanach 1988, Heft 7, S. 29-32, hier S. 32.) Ein bisschen Politik musste sein!

Heute macht die TU zu Recht als Bildungsstätte mit exzellenten Forschungsergebnissen auf sich aufmerksam; immer mehr Studenten aus fernen Weltgegenden lernen hier – teils auf Englisch. Die benachbarten Fraunhofer-Institute sind – als eigenständige Forschungseinrichtungen – in aller Welt anerkannt, das Bundesexzellenzcluster „MERGE“ zählt zu den bundesweiten Sternchen. Eher am Rande tragen die Geisteswissenschaften zum Ruhm des Hauses bei, etwa mit dem deutsch-polnisch-tschechischen Projekt „Grenzraum“, aber auch mit Diskussionen zu Tagespolitik und etwa der Zäsur „1989“.

Vor allem aber schaut die Universität voraus und will sich einbringen: nicht nur durch die Präsenz von Lernenden und Lehrenden in der Stadt, sondern auch durch Ideen, wie sich der Ort des Wissens für alle Bürger positiv auswirken kann. Sei es am Brühl, sei es durch Elektro-Autos, durch neue Demokratiemodelle für eine stärkere Bürgerbeteiligung, am Ende auch durch die Quirligkeit, wenn Studenten die Cafés der Stadt frequentieren. Die TU wird als Ort des Wissens auf sich aufmerksam machen, der Technik und Gesellschaft zusammenbringt. Wissen ist, kritisch erworben, einer der Schlüssel nicht nur zu ökonomischem Erfolg, sondern auch zum „guten Leben“ in der Stadt.

(Autor: Dr. Sebastian Liebold, Institut für Politikwissenschaft)

Eine längere Fassung dieses Beitrages erschien in der Zeitschrift "Sächsische Heimatblätter", Ausgabe 4/2014

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Mario Steinebach
18.03.2016

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