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Fundstück: Reiseerinnerungen von vor 53 Jahren

Albrecht Weiss, Student der ersten Matrikel der Hochschule für Maschinenbau, nahm 1958 an einem Studentenaustausch mit Ungarn teil - in einem Brief beschrieb er seine Erlebnisse

1958 steckte der Tourismus noch in den Kinderschuhen. Reisen aus der DDR in das "befreundete Ausland" gab es kaum. Kontakte zwischen einer ungarischen Hochschule und der Hochschule für Maschinenbau in Karl-Marx-Stadt, der heutigen Technischen Universität Chemnitz, ermöglichten den damaligen Studenten im Austausch eine zweiwöchige Urlaubsreise. Rund 25 ungarische Studenten besuchten im Juli 1958 die Insel Rügen und Ost-Berlin. Ziele beim Gegenbesuch der etwa 25 deutschen Studenten waren im August 1958 der Plattensee sowie Budapest. Albrecht Weiss, der seit 1953 an der Hochschule für Maschinenbau studierte und dort zu den ersten Matrikeln gehörte, war einer der deutschen Teilnehmer. Seine Eindrücke beschrieb er kurz nach der Reise, im Herbst 1958, in einem Brief, der von der Empfängerin im Rahmen der 175-Jahr-Feier der TU zur Veröffentlichung freigegeben ist. Für "Uni aktuell" hat Weiss seine damaligen Schilderungen zusammengefasst:

"..... Ich möchte nun noch einiges von meiner Ungarnreise berichten. Der Balkanexpress brachte uns in etwa 22stündiger Fahrt von Dresden über Prag, Brünn und Bratislava nach Budapest.

Schließlich kamen wir zur ungarischen Grenzstation Szob. Allgemein sagt man immer, der erste Eindruck ist der beste. So war es auch hier. Wir wurden jeder mit einer Flasche Bier und die Damen mit einer Rose empfangen. Man fühlte sich also schon wie zu Hause. Auf dem Budapester Westbahnhof kam dann die große Überraschung, die wohl kaum einer erwartet hatte. Die Studenten, die im Juli schon in Deutschland waren, empfingen uns mit ihren Eltern am Bahnhof mit einem Willkommenstrunk. Auf den Budapester Straßen herrschte ein Riesenbetrieb, man kann sagen, ein Leben, wie es bei uns nur nach Arbeitsschluß herrscht. Müde erreichten wir unser Nachtquartier. Am nächsten Morgen in aller Frühe ging es dann zum Plattensee. Hier blieben wir eine Woche. Wir wohnten in einem sehr modern eingerichteten Zeltlager. Die Zelte hatten Betten, elektrisches Licht d.h. allen nur erdenklichen Komfort. Über schlechtes Wetter brauchten wir uns nicht beklagen. Jeden Tag blauer Himmel, Sonnenschein und etwa 30°C im Schatten. Jeder konnte hier tun und lassen was er wollte. Wir waren nur an die Essenzeiten gebunden. Tagsüber ging es immer an den Strand.

Abends begann dann das große Treiben. Mit ein paar Freunden ging ich zuerst in eine "Zigeunerkneipe". Bei einem Liter Wein hörten wir uns bis 22.00 Uhr Czárdasmelodien an. Gegessen wurde selbstverständlich nur im Freien. Alleine waren wir nie. Sofort setzten sich einige Gäste mit an unseren Tisch und begannen mit uns ein Gespräch. In Ungarn spricht etwa jeder Fünfte etwas Deutsch. Die Deutschen sind dort sehr gern gesehene Gäste. Jeder schwärmt von und für Deutschland. Nach 22.00 Uhr ging es dann zum Tanz. Allerdings zum Tanzen kamen wir kaum. Sofort war am Tisch für Unterhaltung gesorgt und man konnte die anderen Gäste nicht einfach sitzen lassen, obwohl uns die hübschen jungen ungarischen Damen auch interessierten. Meistens waren sie es, die kein Wort deutsch sprachen oder verstanden. Hier hätten Sie etwas erleben können, wie auf alle möglichen Arten und Weisen gedolmetscht wurde. Schließlich mußte dann meistens der Herr Papa hilfreich einspringen. In dem Ort, es war ein Kurort (Balatonföldvar) an der Südseite des Plattensees waren wir nach 2 - 3 Tagen überall bekannt. In dem eben zitierten Gartenlokal bekamen wir jedesmal zur Begrüßung ein extra Musikstück geboten. Schließlich durften am letzten Abend einige Freunde von mir das Schlagzeug und den Schlagbaß unter tosendem Beifall des Publikums bedienen. Getanzt wurde hier wie überall in der Welt nach modernen Rhythmen. Von halb 2 bis 2 Uhr wurden dann zum langsamen Aufbruch Volksweisen gespielt.

Doch nun zu Budapest. In Budapest wohnten wir in einem Internat. Es war im Diplomatenviertel gelegen. Den Sonntag verbrachte ich zusammen mit 2 Freunden bei einer ungarischen Familie im Ruderboot, nur mit einer Badehose bekleidet, auf der Donau. Am Abend waren wir bei dieser Familie zu Hause eingeladen. Sie wohnt in der Innenstadt, in einem der großen Boulevards von Budapest. Nach einem echt ungarischen Abendessen sprachen wir bis in die späte Nacht über die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die nächsten Tage waren ausgefüllt mit diversen Besichtigungen. Wir lernten historische Bauten von Budapest kennen, sahen die Stadt und die Donau vom Gellertberg aus, der vielleicht schönsten Aussichtsgelegenheit usw. Besonders erwähnenswert wäre die Margareteninsel, ein Idyll für sich. Budapest macht den Eindruck einer modernen Großstadt. Sehr breite Straßen, große Geschäfte mit wirklich sehr ansprechenden Schaufenstern und immer wieder das große Treiben und Leben. Allerdings kennt man dort weniger das "Berliner Tempo". Man ist ruhiger, schimpft nicht, wenn man eines der zahlreichen Verkehrsmittel verpaßt hat und hat Zeit, schnell einen Espresso zu trinken.

Die schönen Tage vergingen viel zu schnell. Dann war eines Tages die Stunde des Abschieds gekommen. Ein Glück war, daß keine der zahlreich erschienenen jungen Damen einen Bahnhofsvorsteher zum Vater hatte. Ich glaube, dann wären wir mindestens mit ein paar Tagen Verspätung zu Hause angekommen. Nach langer, anstrengender Fahrt erreichten wir dann Dresden und die erste "Bockwurst". Ich glaube, dieses war das einzige, was wir in Ungarn vermißten. Alles in allem, es waren sehr schöne Tage, an die man sich gern zurückerinnert."

Die Matrikel 1953

Am 1. September 1953, bei der Gründung der Hochschule für Maschinenbau, aus der später die Technische Hochschule Karl-Marx-Stadt wurde, waren dort 291 Studierende eingeschrieben. Seit dem 50-jährigen Jubiläum der Hochschule im Jahr 2003 treffen sich die damaligen Kommilitonen im Rhythmus von eineinhalb Jahren wieder in Chemnitz. Ein Zeitzeugenbericht über das Studium in der damaligen Zeit ist nachzulesen in "175 - Das etwas andere Jubiläumsbuch", das zum 175-jährigen Unijubiläum erschienen ist. Auch beim Alumni-Treffen der TU Chemnitz am 6. und 7. Mai 2011 sind einige ehemalige Studenten dieser Matrikel vertreten.

Katharina Thehos
06.05.2011

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