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Das „verspätete“ Gefühl, ein Schulkind zu sein

Wissenschaftler der TU Chemnitz und der Universität Leipzig untersuchten, wie Chemnitzer Kinder den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule erleben

  • Kinder spielen in einem Raum im Kreis sitzend miteinander.
    Viele Jungen und Mädchen erinnern sich auch am Ende der 1. Klasse der Grundschule gern an ihre Kindergartenzeit zurück und vermissen häufig ihre dort gefundenen Freunde und die pädagogischen Fachkräfte, von denen sie betreut wurden. Foto: Bildarchiv der Pressestelle/Wolfgang Thieme

Bei den meisten wissenschaftlichen Studien, die den Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule bzw. in den Hort beleuchten, wurden bisher Eltern befragt. Deren Kinder als die entscheidenden Akteure dieses Prozesses blieben oft außen vor. Eine aktuelle Untersuchung von Wissenschaftlern des Zentrums für Lehrerbildung der Technischen Universität Chemnitz und der Professur Allgemeine Pädagogik der Universität Leipzig wählte deshalb bewusst einen anderen Ansatz. Im Auftrag der Stadt Chemnitz gingen sie der Frage nach „Wie erleben Chemnitzer Kinder den Übergang vom Kindergarten in die Grundschule?“. Finanziell unterstützt wurde das Projekt von der Kommune und vom sächsischen Kultusministerium. Dr. Janine Brade vom Zentrum für Lehrerbildung in Chemnitz hat gemeinsam mit Katja Lieber von der Universität Leipzig mit 102 Chemnitzer Hortkindern kurz nach dem Schuleintritt im Oktober 2012 und am Ende des ersten Schuljahres im Juli 2013 Leitfadeninterviews durchgeführt. Beteiligt waren neun städtische Einrichtungen und neun Horte freier Träger. Erstmals diskutiert wurden die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung Ende September auf einem von der Stadt Chemnitz organisierten Fachtag zum Übergang Kita-Grundschule/Hort mit 200 Gästen.

Das Projekt verdeutlicht, dass ein Großteil der Chemnitzer Kinder die Kita - und hier insbesondere die Freunde und die pädagogischen Fachkräfte - auch am Ende der ersten Klasse noch vermisst. „Unverkennbar wurde damit, dass der Übergang ein langfristiger Prozess ist und dass Kinder auch dann ein Vermissen angeben, wenn sie sich in der Schule wohlfühlen und neue Freunde gefunden haben“, erläutert Brade. Es sei deutlich geworden, dass der Schuleintritt bei den Jungen und Mädchen nicht automatisch das Gefühl auslöst, ein Schulkind zu sein. „Vielmehr werden die eigenen körperlichen Veränderungen und der Erwerb von Kompetenzen wie Lesen und Schreiben als zentrale Momente von den Kindern angegeben“, so die Wissenschaftlerin. Wer die Perspektive der Kinder einnehme, könne auch deren Gefühl am Ende der ersten Klasse verstehen, sich erst als „halbes Schulkind“ wahrzunehmen – insbesondere dann, wenn die bis dahin erlangten Kompetenzen der Kinder noch nicht den Erwartungen ihrer Umwelt entsprechen. „Bei unserer Untersuchung wurde deutlich, dass der Hort beim Übergang Kita zur Grundschule eine wichtige Scharnierfunktion einnimmt, denn hier können die Jungen und Mädchen nach der Schule beispielsweise gemeinsam spielen, so wie sie es auch im Kindergarten getan haben“, sagt Brade.

Der Übergang von der Kita in die Schule ist ein emotionaler Prozess, den die Kinder laut Brade mit Worten wie Freude, Angst, Stolz und Aufregung unterschiedlich beschreiben. „Dessen individuelle Bedeutung sollte deshalb für alle am Prozess Beteiligten ausschlaggebend hinsichtlich der Gestaltung sein“, ergänzt die Wissenschaftlerin. Gleichzeitig werde hieraus aber auch deutlich, dass eine Zusammenarbeit der Bildungsinstitutionen untereinander sowie mit den Eltern unter Einbezug der kindlichen Perspektive unabdingbar ist. „So haben uns viele Kinder erzählt, dass sie sich zu Beginn der Schulzeit noch oft an ihre Kita-Zeit erinnern. Dabei schauen sie sich gern Fotos aus dieser Zeit an oder nehmen gebastelte Dinge in die Hand. Einige wünschen sich auch Wiedersehensgelegenheiten“, berichtet Brade. Die Wissenschaftlerin freut sich, dass mit der Untersuchung der Dialog zwischen den beteiligten Einrichtungen intensiviert wurde. Hier zeige sich, welche Vermittlerrolle auch die Bildungsforschung einnehmen kann. Diese Rolle verfolgend, begleitet und interviewt Brade einen Teil der Chemnitzer Kinder fortlaufend bis zum Ende der fünften Klasse weiter, um unter anderem den Einfluss auf die Grundschulzeit und das Erleben des Übergangs in die weiterführende Schule aus der Perspektive dieser Kinder zu erfassen.

Um bereits frühzeitig Kooperationen zwischen Kita und Grundschule zu entwickeln und zu erproben, arbeiten Dr. Janine Brade und ihre Chemnitzer Kollegin Monique Rissmann derzeit an einem weiteren Projekt, welches sie gemeinsam mit der Evangelischen Hochschule Dresden durchführen. Lehramtsstudierende des Zentrums für Lehrerbildung Chemnitz und zukünftige Erzieher und Erzieherinnen der EHS Dresden werden gemeinsam die Thematik des Übergangs durch unterschiedliche methodische Zugänge erarbeiten, wobei eigene Erfahrungen ebenso bedeutsam sind wie die Konsequenzen, die hieraus für die professionelle pädagogische Arbeit gezogen werden.

Weitere Informationen erteilt Dr. Janine Brade, Telefon 0371 531-34371, E-Mail janine.brade@zlb.tu-chemnitz.de

Mario Steinebach
14.10.2014

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