DAS GEHEIMNIS RETTET GIULIA NICHT 

Hans war Geheimniskrämer, und er lebte nicht schlecht von seinem Job.  Er war zwar  kein  Spitzenverdiener wie sein Freund Umberto (er war Chef einer kriminellen Vereinigung), aber immerhin hatte er es zu einer ansehnlichen,  kleinen Villa in der Toskana gebracht, und er konnte es sich leisten, jeden Abend eine andere  Frau  flachzulegen.  Sein  Schema  dabei  war  stets das gleiche: Nach Fertigstellung der alltäglich zu erledigenden  Korrespondenz  (Geheimnishandel erfordert  sehr viel Schreibarbeit) pflegte er in seine Lieblingskneipe, Staba da Bottiglia, einzukehren. Der Besitzer  der  Kneipe,  Giovanni,  kannte  Hans schon  seit  ihrer  beider Kindheit; sie besuchten in der Grundschule in Gelnhausen dieselbe Klasse, bis sich ihre  Wege  trennten:  Giovanni  kehrte mit seinen  Eltern,  die  im  Ort  eine  Eisdiele  betrieben  hatten, nach Italien zurück, und Hans hörte lange Zeit nichts mehr von ihm. Bis  es  auch  ihn  aus unerfindlichen  Gründen ins Land des Dolce Vita trieb. Hans trat also ein, und Giovanni begrüßte ihn wie üblich mit  einem  lautstarken  ,,Hallo  du  Wichser, bist  ja  immer  noch  nicht  verreckt". Das war nur Spaß, und Hans wußte das. Schon in der Grundschulzeit war Giovanni ein Liebhaber  derber,  deftiger  Redensarten,  und  daß  er es immer noch war, lag vor allem an seinem schlechten Umgang, allen voran Umberto. Umberto versuchte schon seit geraumer Zeit,  Giovannis  Kneipe zu einer ergiebigen Quelle seiner Schutzgelderpressungsgeschäfte zu machen, aber weil Hans sowohl sein als auch Giovannis  Freund war,  sah er davon ab. 
Nun war  Hans nicht gerade ein Lebemann, der morgens in Eselsmilch und abends in Champagner badete, trotz seiner Wohlhabenheit hatte er nie vergessen,  daß, was  auch  immer  zu erreichen er imstande wäre, seine Füße den Boden nie verlassen würden. Und doch umgab ihn jener undefinierbare Zauber, der die  Frauen reihenweise  schwach  werden  ließ,  und weil es nun einmal so war, unternahm Hans auch keinen Versuch, etwas daran zu ändern. 
An diesem Abend war es eine gewisse Giulia, die ihm in  äußerst wohlbekömmlicher Weise nachstellte. Eine Situation bahnte sich an, wie Hans sie schon tausendmal durchlebt hatte: Nach der immer gleich lautenden  Begrüßung  Giovannis suchte er einen freien Tisch, und wenn er einen fand, setzte er sich daran und fing an, bis neun zu zählen. Meistens geschah es so, daß er sich schon vor der ausgesprochenen  Fünf der Gegenwart einer außerordentlichen Schönheit erfreuen durfte. ,,Diesmal also Giulia", dachte Hans und stellte im Geiste  bereits  das Programm  zusammen,  welches  er  Giulia  an  diesem Abend zu bieten gedachte. 
       "Ich steh auf ganze Männer, nicht auf halbe", sagte sie, bestellte sich  einen Whisky,  steckte  sich  eine  fette  Zigarre an und kaute Kaugummi, was sie in solch einer virtuosen Obszönität auszuüben vermochte,  daß  selbst  Hans,  der schon  so manches  gewohnt  war, der Atem stockte, was ihrer Unterhaltung allerdings keinen Abbruch tat; im Gegenteil, Hans war schon mit qualmendem  Kopf dabei,  sein  vorbereitetes Programm auf Giulias offen artikulierte Bedürfnisse zu modifizieren, als Umberto reinkam. Nach einer langen,  hitzigen  Diskussion  stellte  sich heraus, daß Giulia Umbertos Ehefrau war. ,,Oh, Entschuldigung, Umberto, das ist mir wirklich schrecklich peinlich", stammelte Hans. Giuha nahm es mit Humor und lachte unentwegt. Um sich bei  Umberto  nicht  unbeliebt  zu machen, verließ Hans die Kneipe auf schnellstem Wege, doch er folgte ihm mit der festen Absicht, ihn mit betonbeschwerten Füßen im  nächsten  Teich zu  versenken.  Hans  rannte um sein Leben, und Giulia hinterher. Umberto aber war schneller, bekam zuerst Hans und dann seine Frau zu fassen. An den  Haaren schliff er beide zum Teich. ,,Pssst", flüsterte Hans Giulia zu, ohne daß Umberto es  merkte,  ,,soll ich dir mal ein Geheimnis verraten, ganz kostenlos?" Wenn es um Geheimnisse ging, war Hans in seinem Element, nicht ohne Grund war er von Beruf Geheimniskrämer. ,,Von mir aus", antwortete Giulia. 
"Dann will ich es dir sagen", sagte Hans. ,,Wir  haben  nichts  zu  befürchten. Umbertos  Betonmischmaschine  ist kaputt und kann auf die Schnelle nicht repariert werden." 
,,Das ist ja schon mal was", sagte Giulia und atmete auf. ,,Nichts für ungut", sagte Umberto und holte  ein  aufblasbares  Betonmischmaschinenrepairset aus seiner Hosentasche. 
 

 
back