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Placebo- und Nocebo-Effekte: Neueste Erkenntnisse und Implikationen für die Versorgung psychisch kranker Menschen
Prof. Dr. Winfried Rief | Philipps-Universität Marburg | Germany
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Prof. Dr. Winfried Rief | Philipps-Universität Marburg | Germany
In klinischen Studien finden sich oftmals erstaunliche Verbesserungen bei Patienten/-innen, die in den Placebo-Gruppen sind, aber gleichzeitig auch viele Berichte auf Nebenwirkungen („Nocebo-Effekte“), obwohl nur eine „Zuckerpille“ eingenommen wurde. Verschiedene psychologische Mechanismen tragen zu diesen Effekten bei, wie zum Beispiel Patientenerwartungen an den Behandlungserfolg, frühere Behandlungserfahrungen von Patienten/-innen, Wahlfreiheit von Patienten/-innen, das Vertrauen in die Behandler, oder der subjektive Wert einer Behandlung.
Durch die Verwendung experimenteller Designs zur Untersuchung solcher Effekte haben die letzten Jahre spannende neue Erkenntnisse erbracht, um die Kausalität sowie psychobiologische Wirkpfade dieser Effekte besser zu belegen. So lassen sich Nebenwirkungen auf Antidepressiva „konditionieren“ und durch Placebo-Gaben auslösen. Anhand einer Therapiestudie zur Operationsvorbereitung bei Herzchirurgie-Patienten wird beispielhaft aufgezeigt, wie die Optimierung von Patientenerwartungen selbst bei hoch-invasiven Eingriffen dazu beiträgt, dass es Patienten/-innen sechs Monate nach der OP deutlich besser geht. Somit steht man nun am Beginn der systematischen Nutzung von Placebo-Mechanismen und Vermeidung von Nocebo-Mechanismen bei klinischen Anwendungen. Hierzu werden praktische Anwendungsbeispiele vorgestellt.
Gerade bei psychisch Kranken haben solche Effekte besondere Bedeutung. Starke Placebo-Effekte werfen die Frage auf, ob Antidepressiva überhaupt darüber hinausgehende Wirkung haben; außerdem fordert dies ein komplett neues Verständnis der Wirkweise z.B. von Antidepressiva heraus. Viele psychische Erkrankungen können darüber hinaus als „Störungen von Patientenerwartungen“ konzeptionalisiert werden, und auch Psychotherapie (z.B. Exposition) zielt oftmals auf eine Modifikation von Patientenerwartungen ab. Daraus lassen sich jedoch auch Schlussfolgerungen ableiten, wie bestehende psychotherapeutische Ansätze unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse weiter verbessert werden können, und „treatment failure“ vermieden werden können.