Thema:
1.2 Ätiologie: Psychogenese, Kognitive und metakognitive Modelle, Informationsverarbeitung, Genetik, Neurobiologie, bildgebende Verfahren
Leitung:
Dr. Anne-Kathrin Bräscher
Präsentationsart:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Placeboeffekte (positive Veränderungen des Befindens und/oder körperlicher Funktionen nach inerten Interventionen) und Noceboeffekte (negative Veränderungen nach inerten Interventionen) sind häufige Phänomene in klinischer Forschung und Praxis. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit sind die verschiedenen Entstehungswege, Einflussfaktoren sowie Konsequenzen dieser Effekte noch nicht hinreichend bekannt. Das Symposium greift diese Gesichtspunkte auf und stellt aktuelle Entwicklungen vor. Herr Kube thematisiert Placeboeffekte bei pharmakologischen Interventionen und stellt dar, dass medikamentenspezifische und –unspezifische Effekte nicht, wie ursprünglich angenommen, voneinander unabhängig sind, sondern miteinander interagieren können. Darauf aufbauend diskutiert er neue Studiendesigns, die diese Interaktionseffekte berücksichtigen können. Anschließend präsentiert Herr Zunhammer eine Metaanalyse, mit der untersucht wurde, inwiefern Placebohypoalgesie neuronale Aktivität in typischen Schmerzarealen und anderen Hirnregionen moduliert. In Herrn Reicherts Beitrag geht es um die Interaktion von Emotionen mit Placebo- und Noceboeffekten auf die Schmerzwahrnehmung und entsprechende neurophysiologische Korrelate. Im Folgenden zeigt Frau Bräscher, dass mediale Sensationsberichte Noceboeffekte induzieren können und dies einen möglichen ätiologischen Faktor bei der Entstehung idiopathischer Umweltintoleranzen darstellt. Zum Schluss präsentiert Frau Müller psychophysische und neurobiologische Daten von chronischen Schmerzpatienten und zeigt auf, dass Placeboanalgesie von Erwartungen, Lernprozessen und der Behandlungsvorgeschichte beeinflusst wird und dass sich die Effekte auf experimentell induzierte und chronische Schmerzen unterscheiden.
Interaktionen von Placebo- und medikamentenspezifischen Effekten - Implikationen für klinische Studien
Tobias Kube | Philipps-Universität Marburg | Germany
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Autoren:
Tobias Kube | Philipps-Universität Marburg | Germany
Prof. Dr. Winfried Rief | Philipps-Universität Marburg | Germany
Die erfolgreiche Behandlung verschiedener körperlicher Erkrankungen und psychischer Störungen ist zu einem substantiellen Anteil auf Placebo-Effekte zurückzuführen. Doppelt-verblindete, randomisierte kontrollierte klinische Studien mit einer Placebo- und einer Verum-Gruppe (RCTs) werden daher als „Goldstandard“ in der evidenzbasierten Medizin angesehen. Bei RCTs wird angenommen, dass pharmakologische Interventionen eine medikamentenspezifische Komponente (beinhaltet die pharmakodynamischen Effekte) und eine medikamentenunabhängige Komponente (beinhaltet z.B. Erwartungseffekte, Lernprozesse sowie den Einfluss des therapeutischen Settings) haben. Eine Grundannahme von RCTs ist, dass diese beiden Komponenten voneinander unabhängig sind und sich der Gesamteffekt in der Verum-Gruppe additiv aus beiden Komponenten zusammensetzt (Additives Modell). Dieses Additive Modell ist in den letzten Jahren jedoch in Frage gestellt worden: Sowohl klinische als auch experimentelle Studien konnten nachweisen, dass medikamentenspezifische und -unspezifische Effekte nicht voneinander unabhängig sind, sondern mit einander interagieren können. Da die Entwicklung neuer Medikamente maßgeblich auf der Additivitätsannahme basiert, hat ihre Verletzung weitreichende Konsequenzen. Daher wird ein Interaktives Modell vorgestellt, dass im Gegensatz zum Additiven Modell Interaktionen von Placebo- und medikamentenspezifischen Effekten berücksichtigen und erklären kann. Darüber hinaus werden neue Studiendesigns vorgestellt, die diese Interaktionseffekte berücksichtigen können.
Wie verringern Plazebos Schmerzen? Neue Ergebnisse einer großen Data-sharing Initiative
Dr. Matthias Zunhammer | Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen | Germany
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Autor:
Dr. Matthias Zunhammer | Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Essen | Germany
Zehn Arbeitsgruppen aus aller Welt haben sich als “Placebo Imaging Consortium” zusammengeschlossen und ihre experimentellen Daten zum Thema Plazebo und Schmerz geteilt. Der gemeinsame Datensatz umfasst funktionelle Bildgebungsdaten von 603 gesunden Probanden und erlaubt eine Erforschung der Mechanismen der Plazeboanalgesie mit nie dagewesener statistischer Schärfe und Generalisierbarkeit.
In einer strukturierten Meta-Analyse konnten wir mit „machine learning“ Methoden die Mechanismen der Plazeboanalgesie im Gehirn besser differenzieren. Anhand der Neurologic Pain Signature (NPS) zeigen wir, dass Plazebo-Behandlungen die zentrale Verarbeitung der Schmerzintensität insgesamt nur geringfügig abschwächen. Diese Abschwächung korrespondiert nur schwach mit den starken Plazeboeffekten auf Verhaltensebene. Darüber hinaus konnten wir die neuronalen Korrelate der Plazeboanalgesie mit klassischen Auswertungsmethoden neu kartieren und so Gehirnregionen mit bisher unterschätztem Einfluss identifizieren.
Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Plazebos gegen Schmerzen nur in geringem Maße über eine Verringerung der nozizeptiven Intensitätsverarbeitung wirken. Unsere Ergebnisse veranschaulichen die multi-dimensionale Natur des Schmerzes und deuten auf mögliche andere Mediatoren der Plazeboantwort hin.
Zum Einfluss von psychologischen Placebo-/Nocebo Manipulationen auf Schmerz- und Emotionsverarbeitung
Dr. Philipp Reicherts | Germany
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Autoren:
Dr. Philipp Reicherts | Germany
Prof. Dr. Matthias Wieser | Erasmus University Rotterdam | Netherlands
Prof. Dr. Paul Pauli | Universität Würzburg | Germany
Placebo- und Nocebomanipulationen können Schmerz modulieren. Ähnliches gilt für die Verarbeitung negativer Emotionen, die durch vermeintlich angstlösende (Placebo)Präparate abgeschwächt werden. Zudem verändern Emotionen an sich die Schmerzwahrnehmung, so dass positiver Affekt zu weniger und negativer Affekt zu mehr Schmerz führt. Inwiefern psychologische Placebo/Nocebo-Effekte Emotionen beeinflussen bzw. die emotionale Modulation von Schmerz, ist noch wenig erforscht. Studie 1 untersucht, ob eine psychologische Placebo-/Nocebo-Manipulation den schmerzmodulierenden Effekt emotionaler Bilder beeinflussen kann. Studie 2 untersucht, ob auch die Erwartung eines rein psychologisch vermittelten Placebo-/Nocebo-Effekts subjektive und neurophysiologische Korrelate der Verarbeitung negativer Emotionen beeinflussen kann. Studie 1 ergab, dass unangenehme Bilder nach einer Placebomanipulation zu einem ähnlichen visuell-evozierten Potential führen (Late Positive Potential, LPP) wie neutrale Bilder und die Schmerzwahrnehmung reduzieren. In der Nocebobedingung zeigte sich eine Schmerzverstärkung durch negative Bilder und ein erhöhtes LPP im Vergleich zu neutralen Bildern. Studie 2 ergab, dass die Erwartung einer „Steigerung des negativen Affekts“ zu negativeren Valenz und erhöhten Arousalratings unangenehmer Bilder führte. Im EEG zeigte sich eine signifikante Reduktion der frühen Stimulusverarbeitung (P100) während Placebo- im Vergleich zu Nocebo-Durchgängen. Die Ergebnisse unterstreichen die besondere Relevanz von Erwartungseffekten bzw. verstärkten Erwartungen sowohl für die Verarbeitung von Schmerz als auch von Emotionen und belegen die Wirksamkeit rein psychologischer Placebo/Nocebo-Manipulation.
Elektromagnetische Gefahr!? Noceboeffekt durch katastrophisierende Berichterstattung und angebliche WiFi-Stahlung
Dr. Anne-Kathrin Bräscher | Johannes Gutenberg Universität Mainz | Germany
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Autoren:
Dr. Anne-Kathrin Bräscher | Johannes Gutenberg Universität Mainz | Germany
Koen Raymaekers | KU Leuven - University of Leuven | Belgium
Prof. Dr. Omer Van den Bergh | KU Leuven - University of Leuven | Belgium
Prof. Dr. Michael Witthöft | Johannes gutenberg Universität Mainz | Germany
Personen mit idiopathischer Umweltintoleranz bezogen auf elektromagnetische Felder (IUI-EMF) zeigen unspezifische Symptome, die sie auf Exposition mit EMF zurückführen. Die Ursache dieses Phänomens ist bislang unklar, aber Forschung suggeriert, dass eher psychologische statt bioelektromagnetische Mechanismen verantwortlich sind. Wir vermuteten, dass ein Noceboeffekt, induziert durch Medienberichte, ein ätiologischer Faktor bei IUI-EMF sein könnte und untersuchten Auswirkungen auf die somatosensorische Wahrnehmung. Gesunde Probanden wurden instruiert, dass “manche Personen vorübergehende Symptome unter WiFi-Strahlung“ zeigen und “Forschung zeigt, dass die Wahrnehmung durch WiFi-Strahlung verstärkt werden kann”. Die Probanden schauten einen neutralen oder einen Film über negative gesundheitliche Effekte von WiFi-Strahlung. Während des folgenden Experiments schätzen sie die Intensität taktiler Reize ein, wobei in 50% der Durchgänge eine angebliche WiFi-Exposition stattfand. Angebliche WiFi-Strahlung führte zu verstärkter Wahrnehmung der taktilen Reize in der WiFi-Filmgruppe, v.a. bei Probanden mit hoch ausgeprägter somatosensorischer Verstärkung. Die WiFi-Filmgruppe berichtete über mehr Angst vor WiFi-Strahlung, im Vergleich zur Kontrollgruppe und nahm sich nach dem Experiment tendenziell als elektrosensibler wahr als zuvor. Die Ergebnisse zeigen, dass Sensationsmeldungen die somatosensorische Wahrnehmung bei gesunden Probanden intensivieren können. Besonder vulnerabel scheinen Personen, die Körpersymptome als intensiv, störend und schädlich wahrnehmen. Die Rezeption katastrophisierender Medienberichte kann zu einer negativen Erwartung und zu einem Noceboeffekt führen und damit zur Entwicklung von IUI-EMF beitragen.
Mechanismen der Placeboanalgesie bei chronischen Schmerzpatienten: der Einfluss der Behandlungsvorgeschichte
Dr. Maike Müller | Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Würzburg | Germany
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Autor:
Dr. Maike Müller | Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie Universitätsklinikum Würzburg | Germany
Placeboanalgesie bezeichnet die Schmerzreduktion nach einer wirkstofffreien Behandlung. Experimentelle Placebo-Paradigmen gelten als geeignete Modelle, um den Einfluss psychosozialer Kontextfaktoren auf endogene Schmerzmodulation und –wahrnehmung zu untersuchen. Studien zeigen, dass Placeboanalgesie bei gesunden Menschen durch die Erwartung an die Behandlung induziert und durch Lernerfahrungen und die Behandlungsvorgeschichte moduliert wird. Es gibt bis dato kaum Forschung zur Placeboanalgesie bei chronischen Schmerzpatienten, obgleich sich die zugrunde liegenden psychologischen und neurobiologischen Mechanismen von denen gesunder Menschen unterscheiden könnten. Anhand zweier Studien wurde untersucht, inwiefern Placeboanalgesie bei chronischen Schmerzpatienten beeinflusst wird durch die Erwartung an die Behandlung, Lernerfahrungen und die Behandlungsvorgeschichte. Die Ergebnisse zeigen, dass die Placeboanalgesie auch bei chronischen Schmerzpatienten stark ausgeprägt ist. Hierbei scheinen der Placeboanalgesie auf akuten, experimentell-induzierten und auf chronischen Schmerz unterschiedliche Mechanismen zu Grunde zu liegen. Die Behandlungsvorgeschichte moduliert sowohl das Ausmaß der subjektiv berichteten Schmerzreduktion nach Placebogabe als auch die zu Grunde liegende neuronale Aktivität. Die Ergebnisse zeigen die hohe Relevanz von Placeboantworten und Behandlungsvorgeschichte für die Behandlung von chronischem Schmerz im klinischen Setting auf. Weitere Forschung zu den psychoneurobiologischen Mechanismen der Placeboanalgesie bei chronischen Schmerzpatienten erscheint notwendig, da Erkenntnisse aus Studien mit Gesunden nicht ohne Weiteres übertragbar zu sein scheinen auf Populationen mit chronischem Schmerz.