Thema:
2.2 Psychotherapie, Interventionsverfahren und -methoden: Neuentwicklungen, Wirksamkeit, Kombinationsbehandlungen, Synchrontherapie (bei Komorbidität)
Leitung:
Dr. Timo Brockmeyer
Prof. Dr. Sabine Löber
Präsentationsart:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Kognitiven Verzerrungen wie einer verstärkten Aufmerksamkeitszuwendung und automatischem Annäherungs- und Vermeidungsverhalten in Reaktion auf visuelle Nahrungs- und Körperbildreize wird in der Entstehung und Aufrechterhaltung psychopathologischer Verhaltensmuster bei Essstörungen zunehmend eine wichtige Rolle beigemessen. Konventionelle, sprachbasierte Psychotherapie erscheint nicht optimal geeignet, um solche maladaptiven Prozesse in frühen Phasen der automatischen (impulsiven) Informationsverarbeitung zu adressieren. Innovative, computergestützte Interventionen der sogenannten Cognitive Bias Modification zielen hingegen spezifisch auf die Korrektur solcher Prozesse ab. Im Rahmen dieses Symposiums sollen einerseits experimentelle Untersuchungen an klinischen (Anorexia nervosa, Binge Eating Störung) und subklinischen Stichproben unter Anwendung von Blickbewegungsmessung und Erfassung psychomotorischer Annäherungstendenzen in Reaktion auf Nahrungs- und Körperreize vorgestellt werden. Zum Anderen sollen randomisiert-kontrollierte Pilotstudien vorgestellt werden, in denen auf diesen Befunden der Grundlagenforschung aufbauende Interventionen an klinischen Stichproben (Anorexia nervosa, Bulimia nervosa, Binge Eating Störung) untersucht werden.
Körperbezogene Aufmerksamkeit bei Jugendlichen mit Anorexia Nervosa im zeitlichen Verlauf – Überprüfung der Vigilanz-Vermeidungstheorie
Dipl.-Psych. Anika Bauer
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Autoren:
Dipl.-Psych. Anika Bauer
Prof. Dr. Silvia Schneider
Dr. Manuel Waldorf
Dipl. Psych. Martin Cordes
Prof. Thomas Huber
Dipl.-Psych. Karsten Braks
Prof. Dr. Silja Vocks
Die Vigilanz-Vermeidungstheorie (VVT) postuliert ein Aufmerksamkeitsmuster hinsichtlich angstauslösender Stimuli, das durch initiale Aufmerksamkeitszuwendung (Vigilanz) und anschließende Abwendung (Vermeidung) gekennzeichnet ist. Da bei Patientinnen mit Essstörungen der eigene Körper einen angstauslösenden Stimulus darstellt, wurde in der vorliegenden Eye-Tracking-Studie untersucht, ob sich die VVT auf die Körperbetrachtung bei Mädchen mit Essstörungen übertragen lässt. 56 Jugendliche mit Anorexia Nervosa (AN) und 43 gesunde Kontrollprobandinnen (13-18 Jahre) betrachteten Fotografien des eigenen Körpers, während ihre Blickbewegungen aufgezeichnet wurden. Der Anteil der Fixationen auf individuell als unattraktiv eingeschätzte Körperregionen relativ zur Gesamtbetrachtungszeit wurde über 6 Zeitintervalle à 1000ms zwischen den Gruppen verglichen. Die 2×6-mixed model ANOVA ergab eine signifikante Interaktion der Faktoren Gruppe und Intervall, was unterschiedliche zeitliche Verläufe in beiden Gruppen indiziert. Post-hoc-Tests zeigten, dass AN-Patientinnen während der ersten drei Zeitintervalle signifikant länger auf unattraktiv bewertete Körperbereiche schauten als während der letzten drei Zeitintervalle. Zudem blickten sie in den ersten drei Intervallen signifikant länger auf negative Bereiche als die Kontrollgruppe, deren Aufmerksamkeitsmuster über den zeitlichen Verlauf stabil blieb. Die Ergebnisse bestätigen die durch die VVT postulierten Aufmerksamkeitsmuster nur partiell für AN. So ergaben sich Hinweise auf eine initiale Aufmerksamkeitszuwendung zu negativ bewerteten Körperarealen bei AN-Patientinnen, jedoch war die in der Theorie angenommene nachfolgende Aufmerksamkeitsabwendung nicht nachzuweisen.
Look at food & lose your fears
Dr. Jessica Werthmann
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Autoren:
Dr. Jessica Werthmann
Prof. Ulrike Schmidt
Anorexia Nervosa (AN) ist eine schwerwiegende psychische Störung, die durch Angst vor Essen und Gewichtszunahme sowie durch starke Nahrungsrestriktion charakterisiert ist. Ein Schlüsselprozess, der zur Erhaltung der Nahrungsrestriktion beiträgt, könnte darin liegen, dass AN-Patientinnen Nahrungsreize vermeiden und ihre Aufmerksamkeit von Nahrungsreizen abwenden. Um zu erforschen, ob diese Vermeidung von Nahrungsreizen kausal mit der Angst vor Essen und Gewichtszunahme und mit dem Essverhalten der AN-Patientinnen zusammenhängt, haben wir eine experimentelle Studie durchgeführt, in der wir die visuelle Aufmerksamkeit für Nahrungsreize bei AN-Patientinnen mittels eines computerisierten Aufmerksamkeitstrainings manipuliert haben. Die Teilnehmerinnen wurden in 2 Gruppen randomisiert: ein Aufmerksamkeitstraining mit Nahrungsreizen und eines ohne Nahrungsreize (je 3 Sitzungen Anti-Sakkaden Paradigma á 640 Trials). Die angestrebte Gesamtstichprobe beträgt 40 Teilnehmerinnen. Der Studie zugrunde lag unsere Hypothese, dass Teilnehmerinnen in der Trainingsgruppe mit Nahrungsreizen (experimentelle Gruppe) im Gegensatz zu Teilnehmerinnen in der Trainingsgruppe ohne Nahrungsreizen (Kontrollgruppe) ihre visuelle Vermeidung von Essreizen reduzieren und dass sich diese Veränderung positiv auf weitere psychologische, klinische und Verhaltensindikatoren für Ängste und für die Vermeidung von Essen und Gewichtszunahme auswirkt. Erste Ergebnisse werden auf dem 35. Symposium der Fachgruppe für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Deutschen Gesellschaft für Psychologie 2017 in Chemnitz präsentiert.
Zeigen Frauen mit subklinischer Essstörungspathologie eine automatisierte Präferenz für das dünne Körperideal?
Judith Leins
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Autoren:
Judith Leins
Dr. Manuel Waldorf
Dr. Ines Kollei
Prof. Dr. Mike Rinck
Prof. Dr. Sabine Löber
Viele Frauen scheinen das in den Medien präsentierte dünne Körperideal zunehmend verinnerlicht zu haben. Studien konnten einen Zusammenhang zwischen der Internalisierung dieses Ideals, der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und dysfunktionalem Essverhalten zeigen. Ziel der aktuellen Studie war es herauszufinden, ob bei jungen Frauen eine automatisierte Präferenz für dünne Körperbilder existiert und ob diese bei subklinischer Essstörungspathologie besonders stark ausgeprägt ist.
Bei 55 Probandinnen mit subklinischer Essstörungspathologie und 55 gesunden Kontrollprobandinnen wurden Essverhalten, Zufriedenheit mit Figur und Gewicht sowie Einstellungen gegenüber dem in den Medien präsentierten Körperideal mit Fragebögen erhoben. Automatisierte Prozesse wurden mittels der Approach-Avoidance Task erfasst, bei der die Probandinnen instruiert wurden, dünne oder normalgewichtige Körperbilder entweder zu sich heranzuziehen (Annäherung) oder von sich wegzudrücken (Vermeidung).
Es zeigten sich keine Gruppenunterschiede bezüglich Annäherungs- oder Vermeidungstendenzen. Demgegenüber konnte in Post-hoc-Analysen eine Subgruppe von Probandinnen identifiziert werden, die eine signifikante Annäherungstendenz hin zu dünnen Körperbildern zeigten. Diese war mit einer stärkeren Internalisierung des schlanken Ideals assoziiert und einem stärker erlebten Druck, sich dem dünnen Körperideal anzunähern.
Die Ergebnisse deuten auf eine automatisierte Präferenz von dünnen Körperbildern bei Frauen hin, welche das Ideal bereits internalisiert haben und sich von den Medien unter Druck gesetzt fühlen, sich diesem anzunähern. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um die Gruppe von Probandinnen mit subklinischer Essstörungssymptomatik.
Expliziter und impliziter Annäherungs- und Vermeidungsbias gegenüber hoch- und niedrigkalorischen Essensbildern bei PatientInnen mit Essstörungen und gesunden Kontrollen
PD Dr. Georgios Paslakis
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Autoren:
PD Dr. Georgios Paslakis
Prof. Simone Kühn
Anke Schaubschläger
Sebastian Grunert
Katharina Schieber
Kathrin Röder
Elisabeth Rau
Prof. Yesim Erim
Patientinnen mit Anorexia nervosa können ihre Nahrungsaufnahme enorm zügeln, während Patienten mit einer Binge eating-Störung häufige Essanfälle mit Kontrollverlust erleiden. Auf der psychologischen Ebene unterliegt die Nahrungsaufnahme dem Einfluss sowohl bewusster (expliziter) als auch automatischer (impliziter) regulatorischer Mechanismen. Der sog. approach-avoidance task (AAT) ist ein experimentelles Paradigma zur Erfassung impliziter assoziativer Vorgänge, die nicht unter dem Einfluss expliziter Faktoren -wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Bewertung oder strategische Kontrolle- stehen. Wir setzten den AAT zur Erfassung der impliziten Annäherung und Vermeidung gegenüber Essensbildern bei Patientinnen mit Anorexie, Patienten mit einer Binge eating-Störung und gesunden Kontrollen. Wir testeten die Hypothese, dass sich PatientInnen und Kontrollen in ihren impliziten Annäherungs- bzw. Vermeidungsbias gegenüber Essensbildern unterscheiden. Zusätzlich wurden explizite Messungen (Ratings) der präsentierten Essensbilder durchgeführt und die essstörungsspezifische Psychopathologie wurde erfasst (EDI-2, EDE-Q). Ein vertieftes Verständnis neurobiologischer Zusammenhänge bei Essstörungen ist notwendig, um neuartige psychotherapeutische Interventionen entwickeln zu können. Die Wirksamkeit von AAT-basierten Trainings im Kontext von Essstörungen soll künftig untersucht werden.
Approach Bias Modification bei Bulimia nervosa und Binge Eating Störung – eine randomisiert kontrollierte Studie
Dr. Timo Brockmeyer
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Autoren:
Dr. Timo Brockmeyer
Prof. Ulrike Schmidt
Prof. Hans-Christoph Friederich
Wiederkehrende Essanfälle stellen das Kernsymptom der Bulimia nervosa (BN) und Binge Eating Störung (BES) dar. Betroffene Patienten zeigen trotz erheblicher negativer Konsequenzen unkontrollierbares Annäherungsverhalten auf Nahrungsreize. Diese automatischen Handlungstendenzen treten in einer frühen Phase der Informationsverarbeitung auf und sind konventioneller (sprachbasierter) Psychotherapie kaum zugänglich. Der Ansatz der Cognitive Bias Modification (CBM) beinhaltet computerbasierte Interventionen, die auf die Korrektur solcher kognitiven Verzerrungen abzielen. In dieser doppelblinden randomisiert placebo-kontrollierten Pilotstudie mit n=54 Patienten mit BN/BED wurde überprüft, inwiefern ein spezifisches CBM Training auf Basis eines impliziten Lernparadigmas (10 Sitzungen á 15 Min. in 5 Wochen) das Auftreten von Essanfällen sowie weitere Essstörungssymptome, das Verlangen nach Nahrungsmitteln, nahrungsmittelbezogene Reizreaktivität und tatsächliche Nahrungsaufnahme reduzieren kann. Die Teilnehmer in der Experimentalbedingung wurden darin trainiert, konsequent Vermeidungsbewegungen in Reaktion auf visuelle Nahrungsreize zu zeigen. Patienten in der Kontrollbedingung hingegen führen die gleiche Aufgabe durch, werden jedoch nicht systematisch darin trainiert, Vermeidungsverhalten zu zeigen. Vorläufige Auswertungen weisen auf eine Überlegenheit der Experimentalbedingung hinsichtlich der Reduktion der Essstörungssymptomatik hin. Die endgültigen Ergebnisse sollen beim 35. Symposium der Fachgruppe Klinische Psychotherapie und Psychotherapie in Chemnitz vorgestellt werden.