16:30 Uhr
Die Zukunft der Klinischen Psychologie in Deutschland: Zwischen Erosion und Aufbruch zu neuen Ufern
Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen | TU Dresden | Germany
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Prof. Dr. Hans-Ulrich Wittchen | TU Dresden | Germany
Das Fach Klinische Psychologie und Psychotherapie (KPP) nimmt seit 2 Jahrzehnten neben und mit der Psychiatrie in der Forschung zu den Ursachen psychischer Störungen“, der Entwicklung psychologischer Therapieverfahren sowie der Erforschung von Wirkfaktoren und –mechanismen psychotherapeutischer Verfahren weltweit und in Deutschland eine entscheidende Ausnahmestellung ein. Ohne das Fach KPP mit seinen genuin psychologischen Prinzipien, Methoden und Verfahren wären – angesichts der begrenzten Effekte psychopharmakologischer und genuin psychiatrischer Interventionen - die enormen Fortschritte in dem Verständnis psychischer Störungen, ihrer Diagnostik und Therapie nicht denkbar und möglich gewesen. Noch deutlicher drückt sich die herausragende Stellung unseres Faches in der Psychotherapie Forschung im engeren Sinne aus; für nahezu alle prävalenten Störungen im psychischen Störungsspektrum sind Varianten der CBT inzwischen Methode der Wahl in den Leitlinien anerkannt und werden fortlaufend erweitert und verbessert. Diese zentrale Rolle erfährt durch die berufspraktische Dynamik über das Psychotherapeutengesetz mit wachsenden Zahlen Psychologischer Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weitere Impulse und berufspolitische Akzente.
Zugleich aber drohen wir Opfer und Sklaven unseres Erfolges zu werden: Die beeindruckende - aber keineswegs schon befriedigende - Wirksamkeit wissenschaftlich begründeter Psychotherapieverfahren macht die Berufsperspektive „Psychotherapeut“ für Psychologen immer attraktiver und schafft zugleich fachfremden ordnungspolitischen Entscheidungsdruck. Vor dem Hintergrund des verständlichen Motiv der Abschaffung von Missständen in der Zugangs- und Ausbildungsordnung für Psychologische Psychotherapeuten, wird derzeit vom BMG und im Konsens mit der DGfPs und der Fachgruppe ein „Direktstudium Psychotherapie“ angestrebt, das nach einem polyvalenten BA in Psychologie direkt – und nicht mehr über eine MA-Vertiefung im Fach Klinische Psychologie – zur Eingangsapprobation führen soll.
Diese international wohl einzigartige Konzeption gefährdet aus vielen Gründen (z.B. mangelnde wissenschaftliche Fundierung des Fachs Psychotherapie, fachfremde Eingriffe in die kurrikulare Hoheit, kapazitäre Probleme) nicht nur über die Einheitlichkeit des Faches Psychologie, sondern mittelfristig auch die Weiterentwicklung und den Erhalt des Faches „Klinische Psychologie“ als Mutterfach nicht nur der Psychotherapie, sondern auch vieler anderer berufspraktischer Differenzierungen. Der Vortrag diskutiert die Gefahren und alternative Handlungsoptionen.