Thema:
2.1 Therapie psychischer Störungen im Erwachsenenalter
Leitung:
Dr. Andre Pittig (Technische Universität Dresden)
Präsentationsart:
Symposium
Dauer:
90 Minuten
Der Transfer von Erkenntnissen aus kontrollierten Therapiestudien und die Verbreitung nachweislich wirksamer Interventionen in die Routinepraxis stellen essentielle Schritte für eine evidenzbasierte Psychotherapie dar. Hierbei bedarf es zunächst einer Prüfung, ob in der Routinepraxis ähnliche Wirksamkeitseffekte gelten wie in streng kontrollierten Studien. Die tatsächliche Anwendung wirksamer Methoden in der Routinebehandlung hängt zudem von speziellen Erfordernissen und Barrieren der Versorgungspraxis ab. Im Symposium werden daher verschiedene Ebenen der praxisnahen Wirksamkeits- und Anwendungsforschung beleuchtet. Auf Ebene der Wirksamkeit wird das Auftreten plötzlicher Symptomlinderungen (sudden gains) in der Routinepraxis und deren Rolle für Therapierfolg verdeutlicht (Wucherpfennig). Auf Ebene strukturierter Trainings wird gargestellt, welche Interventionen erfahrene Therapeutinnen/en nach einer Manualschulung in der Praxis umsetzen und wie dies den Therapieerfolg beeinflusst (Čolić). Anschließend wird anhand einer umfassenden Befragung dargestellt, welche Unsicherheiten, Einstellungen und Durchführungsbarrieren den Einsatz von Exposition in der Routinepraxis erschwert (Pittig). Anknüpfend wird die Ausprägung psychotherapeutischer Mythen (z.B. klinische Intuition vs. standardisierte Diagnostik) in der Allgemeinbevölkerung, bei Psychologiestudierenden und Psychotherapeutinnen/en in Ausbildung und ihre potentiellen Einflüsse auf die Behandlung in der Routinepraxis dargestellt (Witthöft). Die Identifikation dieser Anwendungsbedingungen und -hindernisse liefert wertvolle Hinweise für die Verbesserung der psychotherapeutischen Versorgung und potentieller Strategien zur Dissemination evidenzbasierter Interventionen.
Sudden gains in kognitiver Verhaltenstherapie – Lassen sich Befunde aus randomisiert kontrollierten Studien unter Routine-Behandlungsbedingungen replizieren?
Felix Wucherpfennig | Universität Trier
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Autoren:
Felix Wucherpfennig | Universität Trier
Prof. Dr. Wolfgang Lutz | Universität Trier
Tang und DeRubeis (1999) konnten einen Zusammenhang zwischen dem Auftreten von sudden gains (plötzliche Symptomlinderung zwischen zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen) und dem Behandlungserfolg am Ende der Therapie nachweisen. Nachfolgende Studien weisen in unterschiedliche Richtungen. Akkurate Replikationen sind notwendig, um der inkonsistenten Befundlage begegnen zu können. Diese Studie untersucht, ob unter Routine-Praxisbedingungen vergleichbare Raten und Effekte von sudden gains beobachtete werden können, wenn die Patienten mit jenen aus der Originalstudie von Tang und DeRubeis (1999) vergleichbar sind.
Mit Hilfe eines propensity score matchings (PSM) wurden schrittweise 462 Patienten einer kognitiven Verhaltenstherapie unter Routinebedingungen mit Patienten aus der Originalstudie gematcht. Die Originalstudie wurde unter randomisiert kontrollierten Bedingungen (RCT, englisch: randomized controlled trial) durchgeführt. Für das PSM wurden klinisch relevante baseline Variablen (Symptombelastung und soziodemografische Variablen) herangezogen.
Nach der Implementierung von PSM zeigten sich Raten und Effekte von sudden gains vergleichbar mit den Ergebnissen von Tang und DeRubeis (1999). Je höher die Übereinstimmung zwischen den Patienten aus der Routine-Behandlung und der RCT, desto ähnlicher zeigt sich der Zusammenhang zwischen sudden gains und dem Behandlungserfolg.
Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass sudden gains auch unter Routine-Praxisbedingungen klinisch bedeutsam sind. Die Kontrolle von konfundierenden baseline Variablen durch Methoden wie das PSM ist für den Erfolg einer Replikation konstitutiv.
Welche Interventionen setzen niedergelassene Verhaltenstherapeuten nach einer Manualschulung in kognitiver Therapie der Sozialen Angststörung um – und welche nicht?
Jasmin Čolić | Technische Universität Dresden
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Autoren:
Jasmin Čolić | Technische Universität Dresden
Jihong Lin | Goethe-Universität Frankfurt am Main
Prof. Eric Leibing | Georg-August-Universität Göttingen
Prof. Dr. Ulrich Stangier | Goethe-Universität Frankfurt am Main
Prof. Dr. Jürgen Hoyer | Technische Universität Dresden
Die vorliegende Studie untersucht am Beispiel der Sozialen Angststörung und der kognitiven Therapie nach Clark und Wells, ob durch ein Manualtraining bei erfahrenen niedergelassenen Verhaltenstherapeuten der Einsatz indizierter Methoden gefördert werden kann.
Im Rahmen der BMBF-Sopho-Prax-Studie wurden 49 Verhaltenstherapeuten randomisiert: entweder einem Manualtraining zugeordnet oder nicht. Der Einsatz manualtreuer oder anderer Methoden wurde anhand von Audioaufnahmen und N = 2055 Sitzungsprotokollen überprüft. Die Audioaufnahmen wurden bezüglich Adhärenz und Kompetenz von zwei unabhängigen Ratern beurteilt. Die Sitzungsprotokolle wurden mit Python klassifiziert und analysiert.
Erwartungsgemäß gaben trainierte Therapeuten in ihren Therapien mit 30.8% weniger „manualfremde“ Methoden an als nicht-trainierte (72.9%). Die Häufigkeit spezifischer manualtreuer Verfahren war in der Trainingsgruppe höher, zum Beispiel für die Formulierung eines individuellen kognitiven Modells (p < .001), für Rollenspiele zu Selbstaufmerksamkeit und Sicherheitsverhalten (p = .02), Videofeedback (p = .03) und die Bearbeitung antizipatorischer und nachträglicher Gedanken (p < .001). Im Einsatz von Verhaltensexperimenten und in der Sitzungslänge gab es unerwartet keine Unterschiede. Die Therapeuten der Trainingsgruppe wurden als adhärenter (F(1,39) = 32.33, p < .001) sowie kompetenter (F(1,39) = 15.47, p < .001) eingeschätzt.
Die Stringenz des Vorgehens (Manualtreue) kann durch Workshops messbar gesteigert werden. Es besteht jedoch hinsichtlich des Einsatzes von In-Vivo-Verhaltensexperimenten Zurückhaltung, was mit der praktischen Schwierigkeit verbunden sein könnte, die erforderlichen Doppelsitzungen einzuplanen.
Barrieren bei der Anwendung expositionsbasierter Verfahren in der niedergelassenen Praxis
Dr. Andre Pittig | Technische Universität Dresden
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Autoren:
Dr. Andre Pittig | Technische Universität Dresden
Prof. Dr. Jürgen Hoyer | Technische Universität Dresden
Expositionsbasierte Verfahren zur Behandlung von Angststörungen zählen zu den Erfolgsgeschichten der kognitiven Verhaltenstherapie. Ihre Wirksamkeit ist vielfach belegt. Obwohl Angststörungen einen Schwerpunkt der psychotherapeutischen Versorgungspraxis darstellen, wird Exposition in diesem Rahmen jedoch relativ selten eingesetzt. Während bisherige Lösungsversuche vorwiegend auf die Verbesserung von Trainingsmaßnahmen abzielen, werden die subjektiven Barrieren der Behandelnden in der Versorgungspraxis kaum berücksichtigt. In der vorliegenden Studie wurden daher in Kooperation mit der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer Verhaltenstherapeutinnen/en mit niedergelassenem Kassensitz (N = 699) zu Häufigkeit und subjektiven Barrieren bei der Anwendung von Exposition in ihrer Tätigkeit befragt. Barrieren wurden auf Ebene der klinischen Durchführbarkeit, Unsicherheiten und Belastungen der Therapeutinnen/en und negativer Einstellungen zu Exposition erfasst. Im Durchschnitt gaben die Befragten an, bei ca. 47% der von ihnen behandelten Patientinnen/en mit Angststörungen expositionsbasierte Verfahren einzusetzen. Die häufigsten Barrieren bezogen sich beispielsweise auf eine hohes Ausfallrisiko und unkontrollierbares Zeitmanagement, eine oberflächliche Wirksamkeit und zu hohe Belastung und Anstrengung sowohl bei Patientinnen/en als auch Therapeutinnen/en. Das individuelle Ausmaß dieser Barrieren korrelierte jeweils unabhängig mit dem Einsatz von Exposition. Aus diesen Ergebnissen lassen sich gezielte Maßnahmen auf systemischer und persönlicher Ebene ableiten, die zu einer Verbesserung des Transfers von expositionsbasierten Verfahren und damit der Versorgung von Angststörungen beitragen können.
Mythen der Klinischen Psychologie unter Studierenden und Psychologischen PsychotherapeutInnen in Ausbildung
Prof. Dr. Michael Witthöft | Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
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Autoren:
Prof. Dr. Michael Witthöft | Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Yvonne Kaufmann | Johannes Gutenberg-Universität, Mainz
Prof. Dr. Florian Weck | Universität Potsdam
Mythen im Sinne von weitverbreiteten Überzeugungen, die im Gegensatz zu aktuellen empirischen Erkenntnissen stehen, wurden im Kontext der klinischen Psychologie bislang lediglich im angloamerikanischen Sprachraum systematisch empirisch untersucht. Ziel der vorliegenden Studie ist es daher, die Verbreitung von Mythen der klinischen Psychologie unter Psychologiestudierenden und Psychologischen PsychotherapeutInnen in Ausbildung (PPIA) in Deutschland zu untersuchen. Hierzu wurden Mythen aus den Bereichen „Wirksamkeit von Psychotherapie“ (z.B. „Die Wirksamkeit von Psychotherapie lässt sich besser auf der Grundlage von klinischer Intuition als durch standardisierte diagnostische Verfahren beantworten.“), „Gedächtnis und Traumata“ (z.B. „Durch Hypnose können Erinnerungen, die einer Person vorher nicht bekannt waren, korrekt wiederhergestellt werden.“) sowie „Laienvorstellungen von Psychotherapie“ (z.B. „Patienten mit einer psychotischen Störung sind häufig gewalttätig.“) erhoben. Verglichen wurden Angaben von Personen der Allgemeinbevölkerung (n = 158), Psychologiestudierenden (BSc: n = 119; MSc: n = 48) und PPIAs (n = 784). Die Ergebnisse zeigen in Übereinstimmung mit Befunden aus angloamerikanischen Arbeiten eine hohe Verbreitung von Mythen in allen untersuchten Stichproben. Während die Stärke der Mythen über den Verlauf des Psychologiestudiums abzunehmen scheint, zeigen PPIAs ähnlich hohe Mythenausprägungen wie Studierende im Masterstudium. Die erhebliche Verbreitung von Mythen unter PPIAs erscheint auch in Hinblick auf die geplante Reform der Aus- und Weiterbildung psychologischer Psychotherapeuten relevant und sollte mit entsprechenden Maßnahmen der Wissensvermittlung adressiert werden.