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Adventskalender 2017 der TU Chemnitz

Die Beckerbrücke in Chemnitz

Ein Zug quert die Annaberger Straße auf der Beckerbrücke

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts brachte unglaubliche Veränderungen im Verkehrswesen mit. Die Mehrzahl aller durch oder nach Chemnitz laufenden Eisenbahnstrecken wurden in diesen Jahrzehnten eröffnet. Den Anfang machte die Verbindung nach Riesa, die auch den Anschluss an die Bahnstrecke Dresden - Leipzig schuf.

Es muss feierlich zugegangen sein, an jenem 1. September 1852. Der sächsische König Friedrich August fuhr mit Familie, Ministern und Ehrengästen mit dem ersten Zug in Chemnitz ein. Dort wurde ihm auch gleich der Wunsch nach einer Fortführung der Strecke nach Zwickau überbracht. Aber was wolle man denn mit einer Eisenbahn, "wo doch die erzgebirgische Fabrikbevölkerung für Geschäftsreisen keinen Grund und für Vergnügungsreisen kein Geld habe?"


Links im Bild zeigt das Geländeprofil noch deutlich die alte Trasse der Alberts-Bahn zum Chemnitzer Hauptbahnhof

Doch die Wirtschaft verlangte nach einer Verbindung, denn insbesondere der Kohlentransport aus dem Zwickauer Steinkohlenrevier sollte leichter und billiger werden. Der Druck hatte Erfolg: seit dem 15. November 1858 fuhren Züge von Chemnitz nach Zwickau.

Weil das Empfangsgebäude - der heutige Hauptbahnhof - in Seitenlage gebaut war, konnte man die Strecke einfach fortführen. Allerdings musste man den Stadtkern in einem Bogen umfahren. Zunächst verkehrten die Züge ebenerdig. Vom Dresdner Platz aus kann man mit Blick auf den Hauptbahnhof noch heute die ehemalige Trasse erahnen.


Vor dem Bau der Beckerbrücke überspannte eine gemauerte Version Straße und Fluss

Aber bald schon wurden die langen Wartezeiten an den Schienenübergängen zum Problem, besonders am Dresdner Platz, den die Züge im Schritttempo hinter einem Bahnwärter mit Glocke und roter Fahne überquerten. Man entschloss sich, 1903 mit der Absenkung und Hochlegung des Gleiskörpers zu beginnen. Der Umbau geschah im laufenden Betrieb und war 1909 abgeschlossen.

Eine besonders herausragende Konstruktion ist dabei der Viadukt Beckerbrücke, der die Annaberger Straße, die Chemnitz und die Beckerstraße überspannt. Den Auftrag führte die Königin-Marienhütte AG in Cainsdorf aus. Die genietete Fachwerkbrücke wurde für vier Gleise konzipiert, weil der Güterverkehr nach Kappel stark zugenommen hatte. Doch schon nach 20 Jahren wurden zwei Gleise stillgelegt und nach dem zweiten Weltkrieg als Reparationsleistung demontiert.


Der Neubau der Beckerbrücke. Noch sieht man die ehemalige, niedrigere Brücke
Der Neubau der Beckerbrücke. Noch sieht man die ehemalige, niedrigere Brücke

Von fast demselben Standort aus aufgenommen
Die beiden Bogensegmente über Chemnitz und Beckerstraße wirken wie Stadttore. Die filigrane Architektur zeigt die hohe Kunst der Industriearchitektur zur Zeit der vorletzten Jahrhundertwende. In Chemnitz, das während des Krieges viele prachtvolle Bauten verloren hat, stellt die Beckerbrücke ein herausragendes technisches Denkmal dar. Wer von Süden kommend ins Chemnitzer Stadtzentrum fährt, wird entweder die Beckerbrücke oder eine der anderen, ebenfalls eindrucksvollen Brücken der Zwickauer Bahnlinie unterqueren und vielleicht Hochachtung vor den Leistungen der Ingenieure, Konstrukteure und Arbeiter vor 110 Jahren verspüren.

Aktuell wird die Rekonstruktion der Bahnstrecke und damit einhergehend der Abriss des Viadukts geplant. Über den aktuellen Stand berichtet der Viadukt e.V. auf seiner Webseite. Die Landesdirektion Sachsen hat dem Eisenbahnbundesamt im Oktober 2017 jedoch den Erhalt und die Ertüchtigung empfohlen, so dass dieses markante Wahrzeichen vielleicht auch in Zukunft eindrucksvoll an technische Höchstleistungen der Chemnitzer erinnert.

Die Beckerstraße bevor der Zentrumsring eine gerade Anbindung ermöglichte.
Weitere Informationen:
Viadukt e.V.: viadukt-chemnitz.de
Literatur: Kaiß, K., Hengst, M.: Eisenbahnknoten Chemnitz. Schienennetz einer Industrieregion