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Adventskalender 2014 der TU Chemnitz

Bücher über das Erzgebirge im «Project Gutenberg»

Grohmann, Lungwitz: Geyer und das Obererzgebirge in Sage und Geschichte [1900]

17. Weihnachten im Obererzgebirge.

Unter allen Festen des Jahres nimmt im Gebirge unstreitig das Weihnachtsfest die erste Stelle ein. Bereits einige Tage vor dem heiligen Abend reinigt die Hausfrau mit ihren Töchtern das ganze Haus, putzt Fenster und Gefäße und fegt die Stube. Auf die Dielen der Wohnstube streut sie Stroh, welches auch, so lange die Zwölfnächte dauern, liegen bleibt. Der heilige Abend gilt schon als halber Feiertag. Erwachsene und Kinder haben ihr Sonntagskleid angelegt. Aus der Kammer oder aus dem Keller werden die am Andreasabend gebrochenen Reiser geholt, sie haben in der kurzen Zeit Schößlinge getrieben. Kaum ist die Sonne zur Rüste gegangen, so vereinigen sich die Familienglieder zum frohen Mahl, denn heute giebt es »Neunerlei«. Die sonst so sparsame Hausfrau hat den Ihrigen Klöße, Bratwurst und Linsen, Sauerkraut, Heidelbeeren und sonstige erzgebirgische Feiertagsspeisen, sodaß sie neun Gerichte bilden, aufgetischt. Nach dem Essen bestreut der Hausvater einige Brotschnitten mit Salz und Nußkernen und giebt sie dem Vieh im Stalle, auch dieses soll wissen, daß heute Weihnachten ist. Auch die Obstbäume im Garten beschenkt er am Christabend, indem er sie mit einem Strohseile umwindet, aus Dankbarkeit tragen sie im kommenden Jahre besser. Brot und Salz bleibt im Tischtuche eingeschlagen auf dem Speisetisch während der Nacht liegen, denn nur dann geht das ganze Jahr hindurch der Segen nicht aus. Viele verbringen die Christnacht wachend, um, wie sie sagen, die Metten nicht zu verschlafen. Das junge Volk vertreibt sich die Zeit durch allerhand Kurzweil. In ein mit Wasser gefülltes Gefäß gießen die Mädchen durch einen Erbschlüssel flüssiges Blei, aus der Form des plötzlich erstarrten Tropfens suchen sie die Beschäftigung des zukünftigen Bräutigams zu erraten. Drei Silberpfennige läßt man in einer mit Wasser gefüllten Schüssel schwimmen, nähern sie sich, so findet noch im Laufe des Jahres Hochzeit statt, wozu der Pfarrer, welchen der dritte Pfennig darstellt, seinen Segen giebt. Ein Auseinanderschwimmen bedeutet die Lösung der angeknüpften Liebschaft. De Zwölfzahl, nach den zwölf Monaten, ist bedeutungsvoll bei all diesen abergläubischen Gebräuchen. Zwölf Schüsseln stellt man auf den Tisch, worin in der einen ein Brautkranz, in der andern ein Totenkranz, in der dritten ein Gevattersträußchen u. s. w. liegt, in die vorletzte aber hat man helles und in die letzte trübes Wasser gegossen. Mit verbundenen Augen nahet sich die fragende Person; je nach dem Wasser, wonach dieselbe greift, wird das Jahr trüb oder heiter für sie sein, wehe, wenn sie nach der Schüssel mit dem Totenkranze die Hand ausstreckte! Zwölf Häufchen Salz formt der Landmann in der Christnacht und stellt sie in Zwiebelschalen; nach der Feuchtigkeit, welche sie in der Nacht angezogen haben, läßt sich bestimmen, welcher Monat trocken oder feucht sein wird. Sind mehrere Töchter im Hause, so nimmt eine nach der andern einen Schuh und wirft ihn nach der Thür; zeigt er mit der Spitze nach dem Ausgange, so verläßt das Mädchen im Laufe des kommenden Jahres das väterliche Haus.

Man achte auf die durch das Kochen des Wassers im Ofentopf entstandene Musik, sie prophezeit das kommende Jahr. Um Mitternacht aber, so lange die Turmuhr die zwölfte Stunde verkündet, spendet das Brunnenrohr draußen im Hofe lautren Wein! Verschiedene Mitglieder der Kantoreibrüderschaft steigen nach Mitternacht die steilen Stufen im alten Wachtturme bis zur Türmerwohnung empor und singen da Weihnachtslieder. Durch die offenen Fenster schallt der Choral: »Vom Himmel hoch, da komn' ich her etc.« in die schweigende Winternacht hinaus. Noch ist das Licht der Sterne nicht erblichen, da rufen die Kirchenglocken zur Christmette. Reich und arm, groß und klein geht zum Gotteshaus, wohl das ganze Jahr hindurch sieht dasselbe selten eine so zahlreiche Menge Andächtiger, als an diesem Morgen. Vom Chore herab ertönt das alte lateinische Weihnachtslied, das in der Übersetzuna lautet:

Den die Hirten lobten sehre,
und die Engel noch viel mehre,
fürcht euch fürbas nimmermehre,
euch ist geboren der König der Ehre.

Zu dem Kön'ge kam'n geritten,
Gold, Weihrauch, Myrrhen brachten sie mite,
sie fielen nieder auf ihre Knie,
gelobt seist du, Herr, allhie!

Freut euch alle mit Maria
in des Himmels Hierarchia,
da die Engel singen alle,
In dem höchsten Thron mit Schalle.

Lobet alle Leut' zugleiche
Gottes Sohn vom Himmelreiche,
uns zu Trost ist er geboren,
Lob und Ehr' sei Gott dem Herrn!

Auch die Weissagung aus dem Propheten Jesaias, welche im 9. Kapitel steht und mit den Worten anhebt: »Das Volk, so im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht etc.« wird gesungen. Ein jeder Kirchgänger hat sein eigenes Mettenlicht mitgebracht, der Lichtstumpf wird später daheim heilig aufbewahrt, denn zündet man denselben während eines Gewitters an, so schlägt der Blitz nicht ein, so behauptet wenigstens der Aberglaube. Die letzten Klänge der Orgel sind kaum verklungen, so eilt schon die frohe Kinderschar den elterlichen Wohnungen zu, in ihrer Abwesenheit hat ja das Christkind seine Gaben ausgebreitet. Der Leuchter, welcher auch in der ärmsten Hütte nicht fehlt, ist angezündet, die Pyramide dreht sich, der »Berg« strahlt im hellsten Kerzenlicht. Der Berg ist ein in der Stubenecke terrassenförmig aufgebauter Paradiesgarten mit Hirsch und Jäger, mit Stall und Krippe, mit Engel und Stern, kurz mit allem, was der Vater in den langen Winterabenden für seine Lieblinge zusammenbaute. Heller jedoch als die Lichtlein strahlen die Augen der beglückten Kleinen.

Die Christnacht ist die erste Nacht der Zwölfnächte. Da muß man auf die Träume achten, da sie in Erfüllung gehen. Die Zwölfnächte werden im Erzgebirge auch wohl Innert- oder Internächte genannt, also Zwischennächte, da sie zwischen dem heiligen Abend vor der Christnacht und demjenigen vom Hohenneujahrstage liegen.

In Geyer knüpft sich an den Mettenbesuch folgende Sage: Ein altes Mütterchen, welches von Kindheit an gewöhnt war, die Christmetten zu besuchen, legte sich nicht schlafen, damit sie den Ruf der Glocken nicht überhöre. Die Wanduhr war stehen geblieben, da schien es ihr, als riefen die Glocken zur Kirche. Rasch macht sie sich zum Kirchgange auf, die großen Bogenfenster der Kirche waren auch schon hell erleuchtet. Wie früher hatte ein jeder Kirchgänger sein Mettenlicht angezündet, die Weissagung wurde gesungen, so auch das Quem pastores. Nur däuchte es ihr, als ob die Andächtigen bleicher als sonst aussähen und als sie näher hinschaute, waren es lauter Verstorbene. Eine Nachbarin zupfte sie am Kleid und wisperte ihr ins Ohr: »Gevatterin, Ihr seid zu früh und deshalb in die Totenmetten gekommen, dort seht Ihr die Schattenbilder derer, die in dem kommenden Jahre die unseren werden. Damit Ihr nicht auch dazu kommt, so werft beim Verlassen der Kirche Euern Mantel ab.« Erschreckt verließ das Mütterchen die Kirche, that aber, wie ihr die Gevatterin geheißen. Am andern Morgen fanden die Kirchgänger auf jedem Grabe des Friedhofes, welcher die Kirche umgiebt, ein Stückchen von dem Mantel, den die alte Frau beim Besuch der Totenmetten getragen hatte.

Nach Spieß.

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