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Blick zurück - Blick nach vorn: 60 Jahre Bundesrepublik

8. Schleyer-Seminar "Wissenschaft und Praxis im Dialog", das am 11./12. Dezember 2009 in Lichtenwalde stattfand, beschäftigte sich mit Herausforderungen an Außenpolitik, Wirtschaft und Sicherheit

Was erhält man, wenn man in der Vorweihnachtszeit einen ausgewählten Kreis junger Nachwuchswissenschaftler, Assistenten und fortgeschrittener Studierender mit hochkarätigen Referenten aus der Praxis zu einem intensiven Gedankenaustausch für zwei Tage in einem idyllisch gelegenen Tagungshotel zusammenkommen lässt? Ein wahrhaft "intellektuelles Weihnachtsgeschenk" mit Erinnerungswert.

Diese bereits aus der Einladung von Prof. Dr. Beate Neuss, Inhaberin der Professur Internationale Politik der Technischen Universität Chemnitz, hervorgehenden Worte nahmen vorweg, was alle Beteiligten am 11. und 12. Dezember 2009 auf eindrucksvolle Art erleben sollten. Unter dem Titel: "Blick zurück - Blick nach vorn: 60 Jahre Bundesrepublik - Herausforderungen an Außenpolitik, Wirtschaft, Sicherheit" fand nun bereits zum achten Mal ein Universitätsseminar im Rahmen der Förder-Initiative "Wissenschaft und Praxis im Dialog" statt. Aufgeboten wurde ein prominent besetztes und hochkompetentes Portfolio an Referenten. Die Liste reichte vom ehemaligen Landesvater Thüringens Prof. Dr. Bernhard Vogel, über den Leiter der Einsatzgruppe Afghanistan im Einsatzführungskommando der Bundeswehr bis hin zu Vertretern aus dem Bundeskanzleramt und der NATO. Auch eine "Headhunterin" aus einem großen Beratungsunternehmen stand auf der Gästeliste.

Ermöglicht wurde dieses exklusive "Seminar-Bonbon" dank der großzügigen Unterstützung durch die Hanns Martin Schleyer-Stiftung, die auch bereits in den Vorjahren das finanzielle Rückgrat dieses unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden "kleinen Politikforums" war. Der Tagungsort war das in Lichtenwalde bei Chemnitz gelegene Best Western Hotel, das durch seine angenehme Atmosphäre wesentlich dazu beitrug, die beiden Seminartage zu versüßen.

Zum Auftakt des Seminars referierte Prof. Bernhard Vogel. Im Hinblick auf das Thema "60 Jahre Bundesrepublik" war sein Beitrag sicher von besonderem Interesse, schließlich trug Vogel sowohl in Rheinland-Pfalz als auch später in Thüringen Verantwortung als Regierungschef und nimmt damit unter den Ministerpräsidenten in der Bundesrepublik einen besonderen Platz ein. Amüsiert über die Umstände und Ereignisse der damaligen Zeit schilderte er rückblickend seinen Weg in die Erfurter Staatskanzlei, der sich 1992 für ihn selbst völlig überraschend ergab. Nachdem er sich 1988 aus der Landespolitik in Rheinland-Pfalz zurückgezogen hatte, leitete er bis zu seinem Ruf nach Thüringen die Konrad Adenauer-Stiftung, an deren Spitze er 2001 zurückkehrte. Auch die Erfahrungen im politischen Alltag als thüringischer Ministerpräsident muteten zunächst wohl etwas seltsam an und hatten wenig mit der Routine eines westdeutschen Ministerpräsidenten gemein. Es war also durchaus kein leichtes Unterfangen, die unterschiedlichen Ansätze und Ideen des politischen Gestaltens aus Ost und West in einem Kabinett zu vereinen.

Da es nach 60 Jahren Bundesrepublik natürlich auch notwendig und lohnend ist, wirtschaftliche Themen zu diskutieren, setzte das Seminar am Nachmittag an dieser Stelle fort. "Wie kommt die Wirtschaft an geeignetes Personal?", so die Fragestellung. Dazu gab Yvonne Beiertz, Mitarbeiterin der Firma SpencerStuart, eine Reihe interessanter Einblicke in das Thema "Executive Search". Gemeint ist damit das Suchen und Finden der bestmöglichen Führungskräfte für höchste Unternehmenspositionen. Besonders interessant waren hierbei die hohe Zahl der zu erfüllenden Kriterien sowie die Arbeitsweise eines solchen "Head Hunters", die naturgemäß völlig im Verborgenen bleibt. Frau Beiertz betonte dabei nachdrücklich, dass diskretes und vertrauliches Arbeiten in diesem Bereich unerlässlich seien. Personalentscheidungen in den höchsten Ebenen nationaler und internationaler Konzerne sind schließlich von erheblicher Auswirkung und können so auch an den Finanzmärkten die Entwicklung der Unternehmen nachhaltig beeinflussen. Sie verwies ebenfalls darauf, dass die Reputation der mit der Personalsuche beauftragten Unternehmen bereits durch wenige Fehler oder mangelnde Geheimhaltung meist dauerhaft zerstört wird. Abschließend gab sie auch für die anwesenden Studierenden, Absolventen und Doktoranden einige Tipps und Empfehlungen für die eigene Karriereplanung mit auf den Weg.

Am Abend ging es dann inhaltlich an den hochexplosiven Hindukusch in das Feldlager der Bundeswehr. Der Referent, Oberst i.G. René Leitgen, Leiter der "Einsatzgruppe Afghanistan" im Einsatzführungskommando der Bundeswehr zu Potsdam, lieferte dazu ein sehr detailliertes und stellenweise sehr aufwühlendes Lagebild von der konkreten Bedrohungssituation und den sich tatsächlich abspielenden (Fehl-)Entwicklungen im Land ab. Ganz ohne die bekannten in den Medien propagierten, politisch-korrekten Phraseologien über Sinn und Unsinn, Erfolg oder Misserfolg des am Hindukusch stattfindenden Kampfeinsatzes der Bundeswehr, machte er auf zahlreiche "dunkle Flecken" der Berichterstattung aufmerksam und legte die tatsächlichen Gründe für das Unternehmen vor Ort dar. Sehr eindringlich waren seine Ausführungen zu den oftmals verschwiegenen physischen und psychischen Belastungen der sich vor Ort befindenden Soldaten, den Reaktionen, wenn wieder mal eine Rakete in der Nähe des Feldlagers eingeschlagen ist oder den Herausforderungen einer mehrtägigen Erkundungspatrouille in den Bergen des afghanischen Hochlandes. Zugleich machte Oberst i.G. Leitgen auf die Chancen und Grenzen der ressortübergreifenden Zusammenarbeit aufmerksam, wünschte sich eine klarere strategische Ausrichtung des deutschen Engagements und eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz.

Nach dem Abendessen bestand dann die Möglichkeit, die während des Seminars entstandenen Eindrücke, offenen Fragen und unterbrochenen Gesprächsfetzen in einem eigens dafür vorgesehenen Kaminzimmer wieder aufzunehmen und weiterzuspinnen. Das gemütliche Enterieur sorgte für eine stilvolle und noble Atmosphäre der Entspannung und lud zum weltpolitischen Philosophieren am offenen Feuer ein.

Am nächsten Morgen ging es dann weiter mit dem Themengebiet der Militär- und Sicherheitspolitik. Michael Rühle von der "Policiy Planing Unit" im NATO-Hauptquartier referierte über Deutschland und die NATO und bot den Seminarteilnehmern einen informationsreichen und rhetorisch äußerst unterhaltsamen Vortrag. Überaus kenntnisreich und in nonchalanter Manier skizzierte er sechs Jahrzehnte NATO-Geschichte und machte besonders auf die Rolle des transatlantischen Bündnisses als sicherheitspolitischer Assekurant der jungen Bundesrepublik aufmerksam. "Politische Großbaustellen", strukturelle Ineffizienzen und personelle Fehlbesetzungen kamen dabei ebenso zur Sprache wie die derzeitige strategische Identitätskrise der NATO. Zugleich bekräftigte er jedoch die zukünftige Bedeutung der NATO als vitale Werte- und Verteidigungsgemeinschaft auch in Zeiten "globalisierter Unsicherheit" und betonte die Wichtigkeit besonders des deutschen Engagements in den Krisenregionen der Welt. In Anlehnung an die Ausführungen von Oberst Leitgen beklagte auch Rühle das fehlende Bewusstsein für Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik in weiten Teilen der Gesellschaft und warb für einen neuen "Gesellschaftsvertrag" zwischen politischer Führung und Öffentlichkeit.

Zum Abschluss des Seminars konnte mit Dr. Bernhard Kotsch nochmals ein Referent aus dem Zentrum der politischen Entscheidungen in Deutschland, dem Bundeskanzleramt, gewonnen werden. Als Mitarbeiter im Referat "Naher und Mittlerer Osten, Asien, Afrika und Lateinamerika" mit einigen der heikelsten und sicherheitspolitisch relevantesten Regionen der Welt befasst, konnten bereits am Freitagabend in gemütlicher Atmosphäre einige Fragen mit Kotsch erörtert werden, etwa über seine vorherigen Tätigkeiten für das Auswärtige Amt in Mazedonien und dem Senegal. In seinen einleitenden Worten über das Bundeskanzleramt veranschaulichte er die interessanten Beziehungen zu den Fachministerien, die mitunter maßgeblich von Konkurrenzgedanken geprägt sein können. Ein wesentlicher Teil der Arbeit seines Referats konzentriert sich auf den Nahen Osten sowie die Krisenregion Afghanistan und Pakistan, in der laut Kotsch begleitend zur Stabilisierung Afghanistans ein intensiver Kampf um die Kontrolle des pakistanischen Nuklearpotentials geführt werden muss. Besonders skeptisch äußerte er sich zudem zur bisherigen Praxis der deutschen Entwicklungspolitik, besonders gegenüber den afrikanischen Staaten. Aufgrund der breiten Zuständigkeit seiner Abteilung im Kanzleramt wurden in der anschließenden Diskussion dann auch eine Vielzahl von Ländern und Themen angesprochen, angefangen bei der Europäischen Union als außenpolitischer Akteur über das iranische Nuklearprogramm bis hin zur Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Kopenhagen.

Somit bot sich den Seminarteilnehmern zum Abschluss die Möglichkeit, nochmals die aktuellsten Themen der Außen- und Sicherheitspolitik zur Sprache zu bringen und das "intellektuelle Weihnachtsgeschenk" in vollen Zügen zu genießen.

(Autoren: Jakob Kullik und Stephan Köhler)

Mario Steinebach
15.12.2009

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