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Professur Politische Theorie und Ideengeschichte
Dissertationen

Dissertationen

Abgeschlossene Projekte

Auguren des Geldes. Eine Kulturgeschichte des Finanzjournalismus in Deutschland (1850-1914)

Zwischen den 1850er Jahren und dem Beginn des Ersten Weltkriegs konstituierte sich an der Schnittstelle von Presse und Finanzsektor in Deutschland ein journalistisches Feld, das die gesellschaftliche Kommunikation über finanzielle Themen auf eine genuin neue Weise organisierte und so zu einer wichtigen Einflussgröße in der öffentlichen Wahrnehmung und Deutung finanziellen Geschehens avancierte.

Die Studie zeichnet diese Entstehungsgeschichte des Finanzjournalismus in Deutschland nach. Sie ist dabei nicht allein medien- und journalismusgeschichtlich angelegt, sondern verortet sich auf den Feldern einer politischen Kulturgeschichte und einer kulturhistorisch erweiterten Wirtschaftsgeschichte.

Ihr Erkenntnisinteresse ruht auf zwei Bereichen: erstens auf der Genese, Entwicklung und Professionalisierung eines finanzjournalistischen Feldes, seiner medialen Institutionen und Angebote, seiner Akteurskonstellationen sowie seinen sich wandelnden Normen und alltäglichen Praktiken; zweitens interessiert sich die Arbeit für die politische und handlungsleitende Relevanz, die finanzjournalistische Kommunikation für Staat und Gesellschaft des Kaiserreiches zeitigte und die schließlich auf die Frage nach der (politischen) Wirkmächtigkeit finanzjournalistischer Deutungsangebote zuläuft.

Robert Radu
Stipendiat am Department „Wissen – Kultur – Transformation“ (Universität Rostock)

Kurt Hiller – Der Intellektuelle gegen den Staat, der Staat gegen den Intellektuellen

Der 1885 geborene Kurt Hiller war eine der schillerndsten Personen des 20. Jahrhunderts. Er gilt als einer der Väter des literarischen Expressionismus, kämpft neben Magnus Hirschfeld für die Rechte der Homosexuellen und in der pazifistischen Bewegung. Als einer der Leitautoren der Weltbühne trat er für eine Vereinigung der deutschen Linksparteien ein. Im Londoner Exil wurde er zum Antikommunisten und arbeitete als informeller Mitarbeiter für den MI5. Nach seiner Rückkehr in die Bundesrepublik 1955 wirkte er als Integrationsfigur für neue linkssozialistische Gruppen. Obgleich überzeugter Sozialist propagierte er bis zu seinem Tode 1972 die Herrschaft eines neuen (geistigen) Adels. Die 2014 abgeschlossene Promotion untersucht unter den Perspektiven „class“, „race“ und „gender“ die Diskriminierungserfahrungen Hillers (Antiintellektualismus, Antisemitismus, Homophobie) und deutet davon ausgehend sein intellektuelles Wirken und Denken erstmals in einer Gesamtbiographie.

Daniel Münzner
Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes

Rudolf Olden (1885-1940): Journalist und Pazifist
Vom Unpolitischen zum Paneuropäer. Moralische Erneuerung im Zeichen morderner Kulturkritik

Einem breiteren wissenschaftlichen Fachpublikum dürfte der Journalist, Jurist und Schriftsteller Olden bisher gänzlich unbekannt sein. Dabei vertrat er als Rechtsanwalt u.a. an prominenter Stelle den Pazifisten Carl von Ossietzky während des Weltbühne-Prozesses. Nach Ende des Ersten Weltkrieges in Wien lebend, kehrte er 1926 nach Berlin zurück und wurde im „Berliner Tageblatt“ von Theodor Wolff der politische Leitartikler schlechthin. Gegen den Nationalismus engagierte sich Olden zunehmend in seinen Artikeln für Demokratie und Menschenrechte.

Unter einem ideengeschichtlichen Erkenntnisinteresse rückt die Studie das Rollenbild des Pazifisten in den Mittelpunkt, zeichnet seine Vorstellungen einer friedlichen Gesellschaft anhand innen- und außenpolitischer Diskurse der Weimarer Republik nach, fragt nach Einflüssen bzw. Prägungen und prüft die Repräsentativität seiner Positionen zwischen 1918 und 1933. Sie folgt dabei der Annahme, dass Olden als politischer Intellektueller wahrzunehmen ist, der sowohl Mit-Produzent sowie Mit-Protagonist der pazifistischen Idee war: Historische Friedensforschung und Intellektuellengeschichte verknüpfen sich in der intellektuellen Biographie.

Sebastian Schäfer
Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung

Parteien und Intellektuelle – zur Rolle und Funktion von „Parteiintellektuellen“ in der Bundesrepublik zwischen Nachkriegsboom und Jahrhundertwende

Intellektuelle Freiheit und politische Zwänge scheinen kaum vereinbar - dennoch ist der "Parteiintellektuelle" nicht nur dem Historiker ein Begriff. Zumeist auf Persönlichkeiten autoritärer Milieus sozialrevolutionärer Parteien gemünzt, wird er zuweilen auch auf Politiker angewendet, deren historische Verortung eine gänzlich andere ist. Mit Augenmerk auf Erhard Eppler (SPD), Peter Glotz (SPD), Kurt Biedenkopf (CDU) und Heiner Geißler (CDU) widmet sich die Studie Persönlichkeiten, die im Ruf des Parteiintellektuellen standen oder von der Öffentlichkeit zumindest als intellektuelle Abweichler vom Stereotyp des Berufspolitikers wahrgenommen wurden. Im Untersuchungszeitraum, der Phase zwischen Nachkriegsboom und Jahrhundertwende, standen sie in politischer Verantwortung als Minister, Generalsekretäre oder Bundesgeschäftsführer ihrer Parteien und beteiligten sich zugleich an zeitgenössischen intellektuellen Debatten. Ihre unterschiedlichen formalen Funktionen wie auch ihre Biographien sind verbunden mit einer (Zeit-)Geschichte des Übergangs keynesianisch inspirierter Sozialstaaten in einer relativ stabilen Nachkriegsordnung zu einer "neuen Unübersichtlichkeit", in der die Merkmale der westlichen Industriegesellschaften zunehmend hinter den in der jüngsten Zeitgeschichtsforschung untersuchten Formationen verblassten.

Das Projekt akzentuiert mit der Verknüpfung von Intellektuellen- und Parteiengeschichte zwei Hauptziele: Die Erstellung eines belastbaren Profils des Parteiintellektuellen in parlamentarischen Demokratien und die Analyse des Beitrags der Parteiintellektuellen zu den Reaktionen der bundesdeutschen Volksparteien auf die Phase nach dem Boom. Der Strukturwandel zog Konsequenzen für die programmatische Ausrichtung der Parteien nach sich, die nun, am Ende der Utopien, die Zukunft denken mussten - unter aktiver Beteiligung ihrer Intellektuellen.

Lars Tschirschwitz
Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft

Laufende Projekte

Ein-Mann-Institutionen: Vom Werden und Wirken der Kritiker der Gruppe 47 in der frühen Bundesrepublik

Über die Gruppe 47 wurde bereits während ihres Bestehens viel geschrieben. Noch mehr allerdings nach ihrem Ende. Was bisher fehlt, ist eine biografie- bzw. erfahrungsgeschichtliche Annäherung an ihre Hauptkritiker. Obgleich Walter Jens, Joachim Kaiser, Walter Höllerer, Marcel Reich-Ranicki und Hans Mayer nicht zu ihren Gründungsmitgliedern zählten, ist ihre Bedeutung für die Gruppe 47 immer wieder betont worden.
Die geplante Promotion möchte der Frage nachgehen, wie die Kritiker individuell und in Beziehung zueinander dazu beitrugen, die Gruppe 47 zu einem bedeutsamen Ort der (literarischen und politischen) Opposition zu machen. Das Forschungsinteresse ergibt sich aus ihrer besonderen – zugleich gruppeninternen wie -externen – Funktion und ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Gruppe. Für den Gruppengründer Hans Werner Richter war Kritik zwar von Beginn der Tagungen an zentral, doch im Laufe der Jahre veränderte sie sich von kollegialer interner Kritik hin zu einer öffentlichen Fachkritik. Diese hatte sowohl Einfluss auf die Herstellung der im Kreise der Gruppe 47 vorgetragenen Texte als auch auf ihren öffentlichen Erfolg.
Die vorgetragene Kritik ermöglichte – so die Arbeitshypothese der vorzulegenden Arbeit – den Autoren die Erschließung einer neuen Öffentlichkeit. Diese war bedingt durch die zunächst mündlich geäußerte und später in verschiedenen Medien (re-)produzierte Kritik, welche Anlass zur Verteidigung oder (Selbst-)Positionierung der jeweils kritisierten Autoren bot.
Es ist das Ziel der Promotion, durch biografische Skizzen das Werden und Wirken der Kritiker in der frühen Bundesrepublik nachzuzeichnen und ihren Einfluss auf die Positionierung der Gruppe als bedeutsamen Ort (literarischer und politischer) Opposition zu untersuchen. Darüber hinaus wird untersucht werden, inwiefern die Kritiker der Gruppe 47 als Medien-Intellektuelle (Axel Schildt) den Diskurs der frühen Bundesrepublik (mit-)prägten.

Tobias Lentzler
Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes

"Und dennoch katholisch?" Zwischen Treue und Kritik. Walter Dirks als katholischer Intellektueller in der Bundesrepublik (1945-1991)

Der katholische Intellektuelle Walter Dirks (1901-1991) zählt zu den bedeutendsten und schaffensstärksten deutschen Publizisten des 20. Jahrhunderts. Er gilt als Schlüsselfigur des linken Katholizismus in Deutschland und agierte als gläubiger Christ und überzeugter Sozialist „zwischen den Stühlen“, „zwischen den Denkansätzen“ und „zwischen den Parteien“.

Als kritischer Beobachter und scharfzüngiger Kommentator kirchlicher, gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen verstand er sich als unabhängige, aber dezidiert katholische Stimme. Zeitgenössisch ist er als solche wahrgenommen worden, die Forschung hat ihn bisher zu Unrecht unter Vernachlässigung der katholischen Perspektive besprochen. Für die Periode der Bundesrepublik fehlt es insgesamt an Untersuchungen zu Walter Dirks und seinem Werk, bis heute steht insbesondere eine systematische Bearbeitung seiner zweiten Lebenshälfte in Hinblick auf das ungeklärte Verhältnis von Kirche, Gesellschaft und Politik in den ereignisreichen Zeiträumen der Nachkriegszeit, des Zweiten Vatikanischen Konzils und der „langen“ 1960er Jahre aus.

Die Dissertation fragt nach dem Intellektuellen Walter Dirks über den Zugriff seines Katholizismus: Wie stand er zu Kirche, Gesellschaft und Politik? Wie korrespondierten seine sozialistischen Ideen mit seiner Katholizität? Wie verstand er sich selbst als Katholik, was bedeutete „Katholischsein“ für ihn?

Entlang aktueller Forschungstrends um Modernisierung und Pluralisierung in Kirche und Gesellschaft versteht sie sich dabei als ideengeschichtlich und biographisch orientierte Studie über das Denken und Wirken des Walter Dirks der Jahre 1945 bis 1991. Sie möchte die Rand- und Außenseiterbiographie des katholischen Intellektuellen Walter Dirks für eine moderne und zeitgeschichtlich orientierte Forschung zur Ideen- und Intellektuellengeschichte fruchtbar machen, die sowohl im Kontext der Wechselwirkungen zwischen Kirche und Politik als auch im Zusammenhang von Debatten um Kontinuität und Umbruch in Kirche und Gesellschaft neben einer biographischen Perspektive auch Allgemeines zeigen kann.

Nicht zuletzt erstrebt die Dissertation in der Verbindung von katholizismus- und ideengeschichtlichen Ansätzen mit denen der Biographieforschung am Beispiel des prominenten katholischen Intellektuellen und Publizisten Walter Dirks neue Perspektiven auf eine Ideengeschichte der Bundesrepublik aufzuzeigen.

Gabriel Rolfes
Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung

Betreuer: Prof. Dr. Alexander Gallus (TU Chemnitz), Prof. Dr. Dominik Geppert (Universität Potsdam)

"Es gibt keine Helden mehr; es gibt nur noch den Chor." - Über das Verhältnis von Masse und Elite als Grundlage des Staates bei José Ortega y Gasset (Arbeitstitel)

Eine der pointiertesten – und auch missverstandenen – Stellungnahmen zum Thema „Masse“ hat Jose Ortega y Gasset geliefert. Sein „Aufstand der Massen“ fasziniert noch heute. Allerdings darf dieses Werk nicht isoliert betrachtet werden, sondern als ein Bestandteil von Ortegas gesamten philosophischen Wirkens. Fernab des Massebegriffs, wie etwa bei Canetti, stellt Ortega das Masse-Sein als eine individuell-psychische Tatsache dar und somit unabhängig von der sozialen Zugehörigkeit. Durch das „Anspruchsdenken“ besetzen Massenmenschen auch Plätze im öffentlichen Raum, weshalb sie

durchaus als Menschenmenge wahrnehmbar erscheinen. Im Forschungsprojekt soll jedoch analysiert werden, wie ein Individuum „Masse“ sein kann und welche Auswirkungen, bspw. potenzielle (politische) Krisen, daraus für die staatliche Organisation resultieren. Das Promotionsvorhabens soll sich anhand der folgenden Forschungsfragen dem Thema annähern: Wie formt das Zusammenspiel zwischen „Masse“ und „Elite“ die Gesellschaft? Zu welchen Schlüssen führt das in der ortegianischen Staatstheorie?

Die Dissertation versteht sich als Beitrag zur Intellectual history eines Denkers, dem manche dieses Attribut absprechen und zum bloßen Literaten deklassieren wollten. Einerseits geht es um die Rekonstruktion des ortegianischen Gedankens als Ausdruck der spannendsten Epochen der Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert, andererseits um das Herausarbeiten ihrer Ursprünge.

Christian Bonn

Oskar Lafontaine – Eine politische Biographie.

An Oskar Lafontaine scheiden sich die Geister. Kaum ein deutscher Politiker der deutschen Nachkriegszeit hat so polarisiert wie der ehemalige SPD-Vorsitzende, Bundesfinanzminister und heutige Fraktionsvorsitzende der LINKEN im Saarland. Und kaum ein Politiker war dabei einerseits Àhnlich erfolg- und einflussreich, und musste andererseits so viele persönliche RÌckschlÀge verkraften. FÌr die disparaten Reaktionen auf seine Person sind aber nicht alleine der streitbare Charakter oder die geschliffene Rhetorik des SaarlÀnders verantwortlich. Ebenso sehr prÀgen die vielfÀltigen Wegmarken und BrÌche seiner politischen Karriere und sein bestÀndiger Streit um die politische Deutungshoheit, um die Definition linker, sozialdemokratischer Politik die Wahrnehmung von Oskar Lafontaine.

Sein außergewöhnliches politisches Wirken und sein persönlicher Auftritt begrÌnden die Frage nach den individuellen, den biographischen Triebfedern dieses Lebens. Welche Motivationen haben dieses politische Leben begrÌndet und durch welche Ereignisse, Werke und Personen wurde es geprÀgt und inspiriert? Und welche EinflÌsse hat dieses politische Leben auf seine Umgebung genommen, in welcher programmatischen Tradition lÀsst sich Lafontaine verorten? Die Darstellung dieser beiden miteinander verwobenen StrÀnge – die Entwicklung des individuellen Lebenswegs Oskar Lafontaines im Wechselspiel mit seiner Umwelt und dem gesellschaftlichen Kontext – und deren Analyse bilden das zentrale Erkenntnisinteresse dieses biographischen Promotionsvorhabens.

Fabian Braun
(Berlin)

Der Wandel des Politischen im nationalsozialistischen Mecklenburg (1933-1939)

Eine Reihe historiographischer Debatten zur Analyse des Nationalsozialismus kreisen auch gegenwärtig um die Frage innerer Dynamik der Gesellschaft – zwischen Zustimmung, Partizipation, Ablehnung und Indifferenz – und damit um Aspekte, Formen und Inhalte politischer Kommunikation. Aktuell stehen hierbei vor allem Diskussionen um die so genannte „Neue Staatlichkeit“ zur Beschreibung von Herrschaftsstrukturen des „Dritten Reiches“ als auch die Kontroverse um Prägekraft und analytischen Nutzen der Forschungskategorie „Volksgemeinschaft" im Zentrum. Gerade im „Gau“ Mecklenburg ereigneten sich in Folge der Machtübernahme und der forcierten Expansion des Rüstungssektors zum Teil einschneidende gesellschaftliche Transformationsprozesse, welche zugleich erhebliches Konfliktpotenzial für das Projekt der Konstituierung einer „Volksgemeinschaft“ bargen. Zugleich sind auf struktureller Ebene mit Blick auf die Position des Reichsstatthalters und Gauleiters Friedrich Hildebrandt, der als Sohn eines Landarbeiters offenbar nicht zuletzt bei etablierten politischen Akteuren teilweise auf Ablehnung und Isolation stieß, spezifische regionale Herrschaftskonstellationen zu erwarten, welche beispielsweise Fragen nach der Stabilität von Cliquen oder den Wegen informeller Kooperation aufwerfen.

Auf der Basis diskursanalytischer und netzwerktheoretischer Überlegungen sollen beide Kontroversen im Rahmen des Dissertationsprojektes verschränkt und somit eine Untersuchung des Politischen und dessen Auswirkungen auf die Gestaltung des Alltags aus der Perspektive regionaler Herrschaftsnetzwerke ermöglicht werden. Hierdurch wird „Volksgemeinschaft“ nicht als vermeintlich linearer Prozess verstanden, sondern gerade im subpolitischen Bereich als ein äußerst instabiles Ergebnis von Aushandlungsprozessen, weshalb die Betrachtung beispielsweise thematischer Verschiebungen umgekehrt einer Untersuchung von Akteurskonstellationen und deren innerer Struktur bedarf, um sich verändernden hegemonialen Verhältnisse anzunähern.

Aline Munkewitz
Stipendiatin der Landesgraduiertenförderung M-V

Die Algorithmisierung des Sozialen

Das qualitative und quantitative Wachstum des Wissenschaftsbetriebes hat im 20. Jahrhundert zu einem erhöhten Bedarf an wissenschaftlicher Expertise in Politik und Gesellschaft geführt. Dieses Szenario bot die ideale Bühne für eine Reihe prominenter Wissenschaftler, die ausgehend von einer unumstrittenen Expertise auf ihrem naturwissenschaftlichen Fachgebiet passiv-kommentierend oder aktiv-beratend auf gesellschaftspolitische Zusammenhänge einzuwirken versuchten. So wählten namentlich etwa John von Neumann und Norbert Wiener aber auch Karl Popper und Heinz von Foerster zum Teil populäre Kanäle, um über die politischen Implikationen ihrer wissenschaftlichen Überzeugungen zu reflektieren. In den ideologisch aufgeladenen Dekaden um die Mitte des Jahrhunderts konnte es nicht ausbleiben, dass diese Theoretiker dabei häufig in Widerspruch miteinander gerieten. Die Dissertation folgt der Idee, dass sich all diese Kontroversen, in denen Naturwissenschaftler über gesellschaftspolitische Fragestellungen stritten, durch eine charakteristische Gemeinsamkeit auszeichnen: In ihnen wurde bewusst oder unbewusst die Frage aufgeworfen, inwieweit es zumindest prinzipiell möglich ist, die empirischen Phänomene vollständig in einer umfassenden Theorie abzubilden. Anhand der historischen Auseinandersetzungen lässt sich zeigen, dass jene Denker, die das Ziel der Wissenschaftsentwicklung in der Errichtung eines einheitlichen und umfassenden Theoriegebäudes erblickten, die politischen Umstände ihrer Zeit bevorzugt anhand dichotomer Muster deuteten, während ihre Kritiker vor einem solchen Vorgehen warnten. In der Dissertation wird argumentiert, dass beide Ansichten, sowohl die zum Wissenschaftsbild als auch die zur dichotomen Politikauffassung, Materialisierungen eines einzigen Bestrebens sind, für welches in der Arbeit der Begriff der „Algorithmisierung“ entwickelt wird.

Als historische Fallbeispiele werden der wissenschaftstheoretische und weltanschauliche Gegensatz zwischen Karl Popper und Otto Neurath, die Diskussionen um die sozialwissenschaftliche Bedeutung der Spieltheorie und die Frage nach der Reichweite kybernetischer Konzepte analysiert. In diesen Debatten spitzten sich die Meinungsverschiedenheiten, was eine adäquate wissenschaftliche Erklärung ist, auf die Frage zu, ob und wie sich Entscheidungen jeglicher Art mithilfe einer generellen Methodologie treffen lassen, die subjektiver Bewertungen nicht bedarf und deshalb unter dem Banner wissenschaftlicher Objektivität steht. Die Dissertation analysiert die Zusammenhänge zwischen den vertretenen wissenschaftstheoretischen und politischen Standpunkten, indem sie die für jede Seite typischen Argumentationsfiguren mitsamt der verwendeten Rhetorik herausarbeitet.

Matthias Hörr
Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes

Die Geschichte der Erwartungen der Öffentlichkeit an die Politik. Eine politik- und kommunikationsgeschichtliche Untersuchung der politischen Entscheidungsfindung in der Bundesrepublik

Erwartungen gehören zu den wirkungsmächtigsten Kulturtechniken des Menschen. Sie bestimmen in wesentlichem Maße unser Urteilen und Handeln in sozialen Kontexten. Eine Vielzahl von Handlungen und Entscheidungen innerhalb gesellschaftlicher Teilsysteme wie etwa der Wirtschaft, Politik aber auch innerhalb kleinerer sozialer Zusammenschlüsse wie Parteien oder Partnerschaften sind als durch Erwartungen geprägt, beeinflusst oder gar bestimmt zu denken. Dennoch bilden Erwartungen bislang kein Analyseinstrument geschichts- oder politikwissenschaftlicher Untersuchungen.

Hier setzt die Arbeit an. Auf Grundlage spezifischer Erwartungen an die Rolle von Spitzenpolitiker/innen möchte die Arbeit dem Aushandlungsprozess dieser Erwartungen in der Bundesrepublik zwischen Massenmedien, Politiker/innen und Bürger/innen als auch dem Einfluss dieser Erwartungen auf das Handeln, Beurteilen und Inszenieren innerhalb des Sozialsystems Politik nachspüren. Durch diese kommunikationszentrierte Herangehensweise ordnet sie sich zum einen an der Schnittstelle zwischen Geschichts- und Politikwissenschaft ein und möchte andererseits einen Beitrag zur neueren Kulturgeschichte des Politischen als auch zur Medienwirkungsforschung in der Bundesrepublik liefern.

Gordon Lemm

Die Intellektuellen und die Deutsche Frage 1980-2000. Ein Kampf um politische Deutungsmacht?

Das Forschungsinteresse der Dissertation zielt auf Rolle und Wirkung von Intellektuellen in der politischen Kultur des geteilten und später vereinten Deutschland der 1980er und 1990er Jahre. Konkret wird in der Arbeit der intellektuelle Diskurs mit Blick auf die Deutsche Einheit über einen Zeitraum von zwanzig Jahren analysiert und Relevanz, Wahrnehmung und Rezeption der intellektuellen Positionen zur Deutschen Frage in Zeiten des Umbruchs und der Transformation zum vereinten Deutschland herausgearbeitet. Zentrale These ist dabei, dass die intellektuellen Debatten zur Deutschen Frage im Einigungsprozess 1989/90 als Kampf um politische Deutungsmacht geführt werden, aus dem die Intellektuellen in ihrer Bedeutung für die politische Kultur Deutschlands schließlich geschwächt hervorgehen. Der dadurch entstandene Bruch im intellektuellen Diskurs beeinflusst Rolle und Wirkung der Intellektuellen in den 1990er Jahren stark und wird als einschneidende Zäsur verstanden und herausgearbeitet.

Der analytische Zugang erfolgt über ausgewählte Persönlichkeiten, die sowohl in ihrer Zuordnung zu historischen Generationen, ihrer Provenienz aus Ost oder West als auch in ihren politischen Prägungen eine möglichst große Vielfalt darstellen, wobei mit der vorgenommenen Auswahl keine Repräsentativität beansprucht wird. Vielmehr werden die Intellektuellen jeweils paarweise als Zugehörige einer Generation untersucht, wobei sie sich möglichst nach Geschlecht, Provenienz und politischem Lager unterscheiden, und stehen so exemplarisch für die jeweilige Generation.

Cornelia Thiele
Gefördert durch Landesgraduiertenförderung Mecklenburg-Vorpommern

Ein ambivalenter Vordenker Europas: Peter Glotz‘ Beiträge zur sozialdemokratischen Deutschland- und Europapolitik

Das Dissertationsprojekt befasst sich mit dem Politiker, Publizisten und Wissenschaftler Peter Glotz. Als eine der sozialdemokratischen Führungsfiguren und engster Mitarbeiter des Parteichefs Willy Brandt hatte er die Politik der SPD in den 1980er Jahren wesentlich mitgeprägt.

Glotz galt über die politischen Lager hinweg und in der medialen Öffentlichkeit als der parteipolitische Intellektuelle schlechthin. Sein Ruf als Parteiintellektueller und sozialdemokratischer „Vordenker“ wurde auch durch sein Streben begünstigt, langfristige theoretisch-strategische Überlegungen in die Parteiarbeit miteinzubringen und der deutschen Sozialdemokratie - fast dreißig Jahre nach Verabschiedung des Godesberger Programms und angesichts neuer ökologischer und sozialer Herausforderungen - ein neues identitätsstiftendes Selbstverständnis zu geben. Zeugnis legt etwa die große Zahl seiner Publikationen und Beiträge zur Rolle der SPD als moderne Volkspartei ab. Ein vergleichbares publizistisches Schaffen konnte seinerzeit kaum ein anderer deutscher Politiker in aktiver Verantwortung vorweisen. Auch nach seinem Rückzug aus der aktiven Politik 1996 und bis zu seinem Tode 2005 blieb Glotz ein engagierter Bürger und vielgefragter Ratgeber.

Das zeitgeschichtliche Erkenntnisinteresse der Studie gilt - über die Person von Peter Glotz hinaus - dem bislang recht blassen und unscharfen Begriff des Parteiintellektuellen, dessen induktive Erschließung ein Ziel dieser Arbeit ist. Indem der Parteiintellektuelle als Teil der politischen Elite begreifbar gemacht wird, soll ein Beitrag zur Intellektuellengeschichte geleistet werden, wenn etwa seine Relevanz für die politischen Parteien und die Motive seines Engagements untersucht werden. Zu diskutieren ist insbesondere das unvermeidbare Spannungsverhältnis, in dem sich der Parteiintellektuelle bewegt: Wie ist die postulierte geistige Autonomie des Intellektuellen mit den Zwängen und Kompromissnotwendigkeiten des Parteiapparats vereinbar?

Robert Liniek
Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung

Transnationale Intellektuelle der Bundesrepublik.
Ralf Dahrendorf und Hermann Lübbe im Dualismus zwischen Affirmation und Negation

Der Intellektuelle als öffentlicher Akteur wird zumeist in einem national begrenzten Handlungs-, Artikulations- und Popularitätsraum wahrgenommen. Doch gerade die neuere Entwicklung des Intellektuellen seit dem Paradigmenwechsel von 1945 läutete eine Phase intensiver, grenzüberschreitender Interaktion jener Sozialfigur ein. Auch die frühe Bundesrepublik mit ihrer klaren Orientierung und Zuordnung zu den westlich geprägten Nationen vollzog einen semantischen wie sozialstrukturellen Wandel und nutzte den Typus des Intellektuellen als Affirmation ihres Staates. Basierend auf einem höheren Maß an Liberalität, beschritten ausgewählte Vertreter dieses Typus den „freiwilligen Weg“ in die europäische Emigration, ohne die geistige wie öffentliche Verbindung zu ihrer Heimat aufzugeben.

Die Studie möchte anhand von Ralf Dahrendorf und Hermann Lübbe die Entwicklung zweier deutscher „transnationaler Intellektueller“ darlegen und deren Interaktion in ihrer neuen Wahlheimat, aber auch ihre ungebrochene diskursive Einbindung in die Bundesrepublik sichtbar machen. Es gilt die Charakteristika dieser transnationalen Intellektuellen zu verdeutlichen und ihren Stellenwert im Rahmen einer europäischen Integration zum Ausdruck zu bringen.

Tony Strunz